• Kultur
  • Hans-Otto-Theater Potsdam

Kampf ohne Blut

Am Hans-Otto-Theater Potsdam hat Christoph Mehler »Michael Kohlhaas« zur Premiere gebracht

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 7 Min.

Kanonpflege geht immer mit Selbstvergewisserung einher. Einen deutschen Klassiker zu inszenieren, bedeutet auch, eine Kontinuität zum heutigen Deutschland zu ziehen. Dramaturgen bringen dieses Vorhaben gerne auf die Formel, ein Stück sei »jetzt gerade aktuell« oder sogar »so aktuell wie nie«, was historisch in den meisten Fällen höchst fragwürdig sein mag, wenig über das Werk aussagt, aber durchaus Aufschlüsse über die Gegenwart zulässt. Wenn wir heute auf der Suche nach einem Stoff auf diesen oder jenen Klassiker verfallen, erzählt vielleicht nicht dieser selbst, wohl aber die Entscheidung für ihn durchaus etwas über unsere Zeit. Einer dieser Stoffe der Stunde ist Heinrich von Kleists »Michael Kohlhaas«, erstveröffentlicht im Jahr 1808. Die Novelle wurde zuletzt häufig adaptiert, nun auch von Regisseur Christoph Mehler am Hans-Otto-Theater Potsdam.

Dem Rosshändler Kohlhaas werden an der Grenze zu den Ländereien des Junkers Tronka zwei Pferde abgenommen, als Pfand für eine angeblich zu entrichtende Steuer. Diese Steuer aber gibt es nicht, Tronka hat sie erfunden, um Beute zu machen. Und nicht nur das: Kohlhaas’ Pferde werden auf dem Feld eingesetzt und geschunden, sein Knecht, als er sich gegen die Behandlung auflehnt, verprügelt und fortgejagt. Kohlhaas ist empört. Er zeigt den Junker an, doch der hat Verbündete in den höchsten Kreisen. Als seine Frau bei dem Versuch stirbt, sich für sein Recht einzusetzen, verkauft der Rosshändler Hab und Gut, um gegen Tronka in den Krieg zu ziehen. Er mordet und brandschatzt, fordert den Kopf des Junkers. Aus Angst vor den Unruhen verspricht der sächsische Kurfürst dem Kohlhaas Amnestie, auch ein Gerichtsverfahren wegen der Pferde soll endlich aufgenommen werden. Doch politische Ränkespiele führen dazu, dass Kohlhaas selbst erneut auf der Anklagebank landet. Der Tod ist ihm sicher, es sei denn, er spielte seinen letzten Trumpf aus. Kohlhaas besitzt einen Zettel, auf dem eine Wahrsagerin das Schicksal der sächsischen Adelslinie vorausgesagt hat. Doch anstatt den wertvollen Zettel an den Kurfürsten zu übergeben und so sein Leben zu retten, schluckt er ihn vor dessen Angesicht herunter. Eine letzte Genugtuung, dann wird er enthauptet.

Kleist erzählt von Unrecht und Intrigen, aber auch von Starrsinnigkeit und Verblendung, von einer Spirale aus Gewalt und Gegengewalt, und er verhandelt die Frage nach der Legitimität von Widerstand. Ein Wort, das in den letzten Jahren wieder oft auf deutschen Straßen zu hören war, beschworen von Pegida-Anhängern, Querdenkern, radikalen Impfgegnern. Ist der Kohlhaas geistig mit ihnen verwandt? Am Hans-Otto-Theater halten sie sich mit derlei Vergleichen zurück.

Zu Anfang verhüllt ein halbtransparenter Vorhang die Bühne, das Ensemble dahinter ist nur schemenhaft zu erkennen. Später wird er erneut heruntergelassen, wenn Kohlhaas seinen Rachefeldzug beginnt. Mit Stöcken dreschen er und seine Söldner dann gegen die dicke Plane, die Aufschläge laut und trocken, als schlügen sie eine Trommel, die das Publikum zu den Waffen ruft, in den Kampf gegen die korrupten Eliten. Einzig, es sind nur Schemen, die hier trommeln, ihre Mordlust ist nur zu erahnen. Anders als im Original, denn Kleist spart nicht an drastischen Gewaltschilderungen. Bei ihm fließt Blut und spritzt Hirn aus gespaltenen Köpfen, ganze Familien fallen der Rache des Kohlhaas in der Novelle zum Opfer. Dabei zeichnet ihn Kleist selbst auch als sorgenden Vater und liebenden Ehemann. Er ist nicht einfach ein Irrer, er hat seine Gründe. Auf der Bühne hingegen verbleibt diese Motivation im Modus einer halbgaren Behauptung. Kohlhaas ist hier sehr schnell bei den Waffen, als habe er sich gar nicht entschieden, sondern müsse einfach einem Schicksal folgen.

Bühnenbildner Stefano Di Buduo zeichnet auch für die Videoarbeiten verantwortlich, die im Hintergrund im Einklang mit der Musik (David Rimsky-Korsakow) für Atmosphäre sorgen. Zwei Pferde im starken Kontrast bäumen sich da da auf, später meint man Wellen zu erkennen, ein Sturm kommt auf, doch ist es kein Sturm berechtigter Entrüstung. Kein Grund wird hier deutlich benannt für den Aufruhr der Seelen in Sachsen und Brandenburg. Es dräut und donnert gewaltig, doch eben aus dem Grund, aus dem der Donner nun mal donnert. In der Mitte der Bühne dreht sich eine Scheibe, transparente Zylinder fahren immer wieder auf diese hinab, nehmen die Figuren in Beschlag und gefangen.

Es geht der zweistündigen Inszenierung weniger darum, die Geschichte eines Rachefeldzugs zu erzählen, als um die Dynamik der aus ihr folgenden Isolation, um die Verengung von Handlungsmacht. Am Anfang waren alle Figuren noch frei zu tun, was ihnen beliebt. Je weiter die Handlung fortschreitet, umso weniger Optionen bleiben ihnen. Kohlhaas’ letzter Racheakt, das Verschlingen der Prophezeiung, darf so schlicht als folgerichtig verstanden werden. Spielte er seine Karte aus, könnte sie ihm das Leben bewahren. Doch es fehlt ihm die Größe, das zu tun. Denn das würde heißen, aus der Determination auszusteigen, aus dem ewigen Spiel von Aktion und Gegenaktion.

Nach Kohlhaas’ Hinrichtung legen sich alle Figuren zu ihm in die Mitte der Bühne, ebenfalls gestorben, bar all ihrer Möglichkeiten. Regisseur Christoph Mehler legt den Fokus somit auf die Beschaffenheit solcher Konflikte, die kein Ende finden, weil keiner der Beteiligten über die Fähigkeit verfügt, von der eigenen Position zu abstrahieren. Die Potsdamer Inszenierung leistet genau diese Abstraktion: Sie zoomt aus den Figuren heraus, führt ihre Beweggründe nur auf, ohne sie diese reflektieren zu lassen. Der Abend ist nicht auf die Darstellung von Zeter und Mordio angewiesen, weil er einen ruhigen Blick auf den Konflikt als solchen bereiten will. Ein aktueller Bezug zu deutschen Problemen ist damit insofern zur Ansicht gebracht, als sich diese Art von Konflikten auch in jenen Krisen der Gegenwart zeigt, in denen Gruppen aufeinandertreffen, die weniger politische Positionen trennen, als dass sie vielmehr geeint sind im gegeneinander gerichteten Ressentiment. Die Wut selbst, das Beharren auf dem eigenen Recht und Rechthaben, das Gefühl singulärer Legitimität werden so zum eigentlichen Motor von Auseinandersetzungen. All das will bestätigt werden, ganz ungeachtet davon, ob dieser Kampf um das Selbstbild die eigenen Handlungsoptionen verringert und in die Vereinzelung führt. Den Idealtypus dessen finden wir in Anhängern von Verschwörungstheorien, die den Rückzug in eine irrationale Welt dem Einsatz für eine bessere vorziehen.

Das soll nicht bedeuten, dass der Potsdamer Kohlhaas ein Querdenker ist. Die Inszenierung will eher eine Laborsituation simulieren, sie interessiert sich mehr für die Struktur gesellschaftlicher Kämpfe als für eine psychologische Spielweise, die den Figuren Raum gäbe, sich selbst zu erklären. Arne Lenk hält sich in seiner Rolle als Kohlhaas zurück, markiert dessen Beweggründe eher, als dass er sie ausspielte. Ohnehin agiert das Ensemble zurückhaltend. Die Schauspieler stehen viel herum, überlassen dem Klang der Sprache Kleists die Aufgabe, Rhythmus hineinzubringen, wo Statik vorherrscht.

Die Fassung aber weist Schwächen auf. »Michael Kohlhaas« ist eine Novelle, und das bleibt sie über weite Strecken des Abends auch. Mehler und sein Dramaturg Christopher Hanf haben Handlung und Personal entschlossen zusammengestrichen und Dialoge montiert, wo sie konnten. Ein passables Theaterstück ist ihre Adaption aber nicht geworden. Josephine Schumann füllt als Erzählerin die Lücken der Geschichte, auch andere Ensemblemitglieder treten immer wieder aus ihren Rollen heraus, um das Publikum auf Stand zu bringen. Der prosaische Ton rückt die Geschichte in die gebotene Entfernung, um sie auf ihren Modellcharakter für die Gegenwart zu überprüfen. Er verhindert aber auch Spannung und Einfühlung in die Charaktere. Schemen bleiben sie bis zum Schluss, Anlässe für Gedanken über die gesellschaftliche Lage, aber keine lebendigen Figuren. Wohl auch deshalb fließt an diesem Abend kein Tropfen Blut. Sie haben keines zu vergießen.

Nächste Vorstellungen: 11., 12., 20. und 25.2.

www.hansottotheater.de

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.