»Dort arbeite ich, wie ich arbeiten muss«

Ein Frankfurter Buntbuch führt zu Franz Fühmann nach Märkisch Buchholz, einer Stadt, so groß wie ein Dorf

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 6 Min.
Einsiedelei olé! Fühmanns »Häuslein klein« irgendwo im Wald neben der kleinsten Stadt Brandenburgs
Einsiedelei olé! Fühmanns »Häuslein klein« irgendwo im Wald neben der kleinsten Stadt Brandenburgs

Wer ihn das erste Mal in Märkisch Buchholz besuchte, bekam vorher eine genaue Wegbeschreibung. Man würde ihn sonst nicht finden, in der kleinsten Stadt Brandenburgs mit knapp 900 Einwohnern. Das Häuschen, in dem er lebte und arbeitete, stand mitten im Wald. Ringsum fast nur Kiefern. Keine Straße, kein Zaun, nichts, woran man sich orientieren konnte.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Der Weg führte durch den Ort auf einen Plattenweg, vorbei an einer Hühnerfarm, dann ein Waldweg, Sand, Schlaglöcher, irgendwann das Schild »Ortsende« (»aber das störe euch nicht«), also weiter, immer weiter, auch wenn nun jeder denken musste, da könne doch kein Mensch wohnen. Links schließlich eine Villa (»die ists nicht«), endlich Reste eines Betonpfeilerzauns, »dahinter liegt ein Häuslein klein«, kaum sichtbar. »Dort sitzt der Asoziale an seiner Maschine«, schrieb Franz Fühmann im Herbst 1977 an Margarete Hannsmann, die sich mit HAP Grieshaber angekündigt hatte, »vor ihm eine Plastik von Wieland Förster, an der Wand ein bisschen Goya und Bergwerk, und im Kopf Öde, und im Herzen Trauer. Dort klopft ihr an und wenn ein schöner Tag ist, gehen wir in die Pilze.«

Früher lud er meist in seine Berliner Wohnung am Strausberger Platz. Früher, da war Fühmann noch der wuchtige Mann mit dem runden Schädel, der wackere Kulturfunktionär einer Blockpartei und Nationalpreisträger, Verfasser der verfilmten Novelle »Kameraden« und der Reportage »Kabelkran und Blauer Peter«, den sie 1964 zur zweiten Bitterfelder Konferenz geschickt hatten, damit er sich dort das weitere Rüstzeug für die künftige Arbeit hole. Doch da war er schon auf dem eigenen Weg, weg vom Dogmatismus, dann auch vom Alkohol und von der Leibesfülle, um eines Tages, zur Verblüffung selbst guter (manchmal auch erschrockener) Freunde, als ein anderer wiederzukehren, als hagere, asketische Erscheinung. Der Lebensmittelpunkt wurde mehr und mehr Märkisch Buchholz.

Paul Alfred Kleinert hat dem Schriftsteller (1922-1984) aus dem Sudetenland, der gute drei Jahre am Jesuitenkonvikt bei Wien zugebracht hat, jetzt das 70. Heft der Frankfurter Buntbücher gewidmet. Es führt, schön illustriert, in die märkische Einsiedelei, erzählt, wie Fühmann sich hier sein Refugium schuf, wie er dort lebte und arbeitete, im Dorf zunächst als der seltsame Fremde bestaunt, der stets in vollgestopften Beuteln Bücher und Obst transportierte, mal zu Fuß, mal auf dem Fahrrad.

Kleinert, Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber, ist Mitbegründer des internationalen Franz-Fühmann-Freundeskreises, der sich rührend und mit großem Einsatz darum kümmert, dass dieser singuläre Schriftsteller, von dem Christa Wolf sagte, dass er »sich immer neu von Grund auf in Frage stellte«, nicht aus dem Bewusstsein der Nachwelt verschwindet. Er war eine unüberhörbare Stimme der DDR-Literatur und hatte in der DDR seine Leser und Bewunderer. Verlegt (und geschätzt in kleinen Zirkeln) wurde er auch im Westen, aber heimisch geworden ist er dort nie, leicht erkennbar an den wechselnden Verlagen: Diogenes, Wagenbach, Luchterhand, Suhrkamp, Hoffmann und Campe.

Berlin war Fühmann zu laut. Er kriege dort keine Luft, meinte er, und werde zu oft gestört. Hier, mitten im Wald, sei er mutterseelenallein: »Dort habe ich kein Telephon, kein Auto und in den seltensten Fällen Besucher. Dort arbeite ich, wie ich arbeiten muss: Im Schnitt stehe ich gegen halb sechs Uhr auf und arbeite bis um 15, 16 Uhr hart am Manuskript.« Er war anspruchslos: »zwei Zimmerchen, eine Kochstelle, ein halber Keller, das Klohäusl draußen. Einen Brunnen habe ich mir graben lassen - mehr brauche ich nicht.«

Neben dem Haus gab es eine Blechgarage, da hatte er die wichtigsten Bücher untergebracht, und dort stand auch der Tisch, an dem er später schrieb. Auf die riesige Bibliothek (heute in den Historischen Sammlungen der Berliner Zentral- und Landesbibliothek in der Breiten Straße aufgestellt) musste er hier freilich verzichten.

Schreiben, ein Werk schaffen war für Fühmann ein »absoluter Wert«, dem er alles unterordnete: Familie, Freunde, die eigene Gesundheit. Unglaublich, ja unfassbar, mit welcher Energie und Konsequenz, mit wie viel eiserner Disziplin, nachzulesen in den Briefen, er seine Fronarbeit an der Schreibmaschine versah, vom frühen Morgen manchmal bis in die Abendstunden, sogar bei Eiseskälte.

Seit Neujahr säße er hier draußen, schrieb er am 11. Januar 1979 an Marlies Menge, und es sah böse aus: »knietief Schnee, 20 Grad minus, und nur 2 Eimerchen Kohle, und der große Holzstapel tief im Weiß, und dann fraß der Ofen Holz …, das kann man sich nicht ausdenken, was das Ding frißt, wenn man nur mit Holz heizt … Und dann passierte was Schönes, es sprach sich rum …« Erst kam der Pastor, dann die Gärtnersfrau, dann die Lehrerin, und alle brachten ihm Kohle, und auch die Schule gab noch von ihrem Vorrat ab. Er war gerettet und fand es »wirklich rührend«.

Nichts konnte ihn aus seiner Einöde vertreiben, nicht die Düsenjäger, die über seinen Kopf hinwegdonnerten, und auch Wetterextreme nicht. An heißen Tagen hatte er die Füße in einer Wasserschüssel und um den Kopf ein feuchtes, kühlendes Tuch, bei grimmiger Kälte tippte er in Decken gehüllt und mit eiskalten Fingern, weil er ohne frische Luft nicht existieren konnte.

Und wenn dann nach fünf Tagen vielleicht eine Seite geschafft war, die womöglich noch den Eindruck machte, als könnte sie seinen kritischen Anfechtungen widerstehen, war schon viel gewonnen.

»Ich sitze jetzt die 7. Woche am 2. Teil von meinem Trakl-Essay«, heißt es 1978, »hatte in den ersten Tagen ca. 14 Seiten, und bin seitdem eigentlich damit beschäftigt, sie wieder einzureißen und wegzuschmeißen. Jetzt bin ich rückwärts auf S. 2 und habe noch das stolze Gefühl, dass S. 1 steht, aber das wird wahrscheinlich übermorgen auch dahin sein.« Immerzu dieser qualvolle Kampf mit den Sätzen, der nie ermüdende Wille, dem eigenen Anspruch gerecht zu werden, verknüpft mit bitteren Niederlagen, wenn er mit einem Vorwort oder seinem Bergwerk-Projekt nicht zurande kam. Und gleichzeitig die wuchernden Zweifel, ob sich all die Schinderei überhaupt lohne. Aber noch zuletzt, im Krankenhaus, gezeichnet von mehreren Operationen, griff er, kaum aus der Narkose erwacht, nach seinen Papieren und machte weiter.

Kleinert hat umsichtig und kenntnisreich alles zusammengetragen, was über Fühmann, seinen Arbeitsplatz im Wald, seine Intentionen, seine Bücher, die Strapazen, die er auf sich nahm, den Einsatz für junge Dichter, seine Rigorosität, sein Engagement für geistig Behinderte und den Widerstand gegen staatliche Repressionen nach der Biermann-Ausbürgerung zu sagen ist. Und der Verlag für Berlin-Brandenburg, der die schöne Reihe des Kleist-Museums in Frankfurt/Oder herausgibt, verschafft dem sympathischen Bericht mit vielen, zum Teil seitengroßen Fotos eine wunderbare Anschaulichkeit. Lose eingelegt ins Heft ist das Faksimile eines unveröffentlichten Fühmann-Briefes an Anke Knieper vom 26. Mai 1981. Das Schreiben enthält auf zwei Seiten eine ausführliche Wegbeschreibung, garniert mit einer in Rot und Schwarz gehaltenen Skizze.

Paul Alfred Kleinert: Ein »österreichischer Schriftsteller« im Brandenburgischen - Franz Fühmann in Märkisch Buchholz, Frankfurter Buntbücher Nr. 70. Hg. v. Kleist-Museum, Frankfurt/Oder, Verlag für Berlin-Brandenburg, 32 S., br. m. Schutzumschlag, 8 €.

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