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Russische Frauenrechtlerinnen sagen Nein zu Schlägern
Die Moskauer Nichtregierungsorganisation Nasiliju.net (Nein zu Gewalt) unterstützt Opfer von häuslicher Gewalt. Doch der Staat behindert die Arbeit der Initiative
Die Zahlen sind erschreckend: 66 Prozent der in Russland ermordeten Frauen wurden Opfer häuslicher Gewalt. In 53 Prozent der Fälle verübte der Lebenspartner die Tat, die restlichen Taten gingen auf das Konto von Familienangehörigen. Diese Angaben entstammen dem Projekt »Algorithmus des Lichts« mehrerer russischer Frauenrechtsorganisationen. Zusammen entwickelten die Initiativen ein Programm zur Analyse von Gerichtsurteilen wegen Mordes, Totschlags und Körperverletzung mit Todesfolge von Frauen. Gewaltdelikte ohne tödlichen Ausgang werden in der Analyse nicht berücksichtigt. Der Zeitraum der Untersuchung umfasst die Jahre von 2011 bis 2019. In dieser Spanne verloren 12 209 Frauen ihr Leben in einem Umfeld, das pauschal gern als sicher bezeichnet wird.
Zur Vorgeschichte: Im Jahr 2017 wurde der Tatbestand der einfachen Körperverletzung naher Angehöriger aus dem russischen Strafrecht entfernt - und zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft. Die Zuständigkeit für solche Delikte ging an die lokalen Polizeistellen über. Beamte sollen nun auffällig gewordenen Schlägern Programme zur Gewaltprävention anbieten, um noch schwerere Straftaten zu verhindern. Der Staat stellt den Schritt als Erfolg dar: Der Umfang häuslicher Gewalt gehe seit dem konstant zurück, meldete das Innenministerium knapp zwei Jahre nach der Reform.
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Menschenrechtsorganisationen und Expertinnen beobachten indes genau das Gegenteil: Die Zahl der Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten sei gestiegen. In der Regel kämen die Schläger mit einer geringen Geldstrafe von nur rund 60 Euro davon. Zu Strafverfahren gegen Gewalttäter komme es dagegen nur noch selten. Erst Mehrfachtäter könnten belangt werden. Eine verlässliche Statistik fehlt jedoch.
Bereits vor den juristischen Änderungen gründeten Frauenrechtler 2015 das Moskauer Zentrum Nein zu Gewalt (nasiliu.net), welches Opfern häuslicher Gewalt hilft und seit April 2018 als Nichtregierungsorganisation registriert ist. Etwa 20 hauptamtliche Mitarbeiter sind in dem Projekt tätig, eine Reihe ehrenamtlich engagierter Menschen unterstützt es. Das Team bietet psychologische und juristische Hilfe für Betroffene von Gewalt an. Außerdem werden Aufklärungs- und Bildungsveranstaltungen für spezielle Zielgruppen wie Journalistinnen und Journalisten organisiert.
Seit August des vergangenen Jahres macht das Zentrum niedrigschwellige Angebote an Gewaltopfer, die eine sichere Unterkunft benötigen. »Wir haben für diese Fälle eine telefonische Hotline eingerichtet, die rund um die Uhr besetzt ist«, erklärt Sofia Sidorowa im Gespräch mit »nd«. Sie ist Projektleiterin und betont, dass das Zentrum einen innovativen Weg gefunden habe, um ohne bürokratische Hürden schnell und unkompliziert zu helfen. Wer möchte, wird in ein Hostel begleitet. »Die Adressen bleiben geheim, nur einige Wenige bei uns im Zentrum kennen sie.« Die maximale Verweildauer liegt bei 21 Tagen, innerhalb dieser Zeit können sich die Frauen mit den vielfältigen Aktivitäten im Zentrum vertraut machen, zu denen auch Yoga-Kurse gehören. Freiwillige stehen bereit, um die Frauen zur Polizei oder bei Behördengängen zu begleiten.
»Anfangs gab es viel Unverständnis für unsere Arbeit«, erzählt Sofia Sidorowa. Inzwischen habe sich jedoch der gesellschaftliche Kontext verändert, die Sensibilität für Fragen sexualisierter Gewalt sei in manchen Kreisen deutlich gewachsen. »Jetzt finden Debatten statt, die vor sechs oder sieben Jahren noch undenkbar waren.« Soweit die positiven Nachrichten. Das Zentrum hat jedoch auch mit hohen Hindernissen zu kämpfen, weil es Ende 2020 als »ausländischer Agent« eingestuft wurde. Dieser Status erschwert die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen, ein gemeinsames Projekt mit der städtischen Sozialabteilung konnte nicht mehr fortgeführt werden. »Leider ist die Kontaktbereitschaft bei staatlichen Behörden uns gegenüber extrem gesunken.«
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Es wäre schon eine Erleichterung, wenn es endlich zur Verabschiedung eines seit Jahren geplanten Gesetzes zum Umgang mit häuslicher Gewalt käme. Körperverletzung als Folge häuslicher Gewalt müsse auch von den Behörden anerkannt werden. Für Sofia Sidorowa ist klar, dass es eine Gesetzesgrundlage braucht, um systematische Unterstützung für Gewaltopfer leisten zu können. Auch für die Betroffenen seien klare Rahmenbedingungen von zentraler Bedeutung. Ein Gesetz biete neue Instrumente, die für mehr Sicherheit sorgen könnten - beispielsweise klar definierte Regeln, auf deren Basis potenziellen Tätern untersagt wird, sich dem Opfer zu nähern. »Wir benötigen eine konzeptionelle und klare Vorgabe des Staates, damit das Gesetz auch umgesetzt wird.«
Ob der politische Wille dafür ausreicht, ist fraglich, zumindest aber kommt jetzt wieder Bewegung in die Gesetzesdebatte. Im Dezember verpflichtete der Europäische Menschenrechtsgerichtshof Russland dazu, Maßnahmen im Kampf gegen häusliche Gewalt zu ergreifen. Geklagt hatten vier russische Frauen. Einer von ihnen, Margarita Gratschowa, hatte ihr Mann beide Hände abgehackt - aus Eifersucht.
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