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Aus dem Takt gebracht
Alles lief nach Plan bei den Parteitagen von CDU und SPD in NRW – bis Mitglieder über Rassismus und Vielfalt reden wollten
Samstagmorgen um 10 Uhr in einem kleinen Studio in Werne sowie in der Grugahalle in Essen. SPD und CDU beginnen ihre Landesparteitage vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen am 15. Mai. Der Plan, den beide Parteien haben, ist eigentlich relativ simpel. Bei der SPD soll Spitzenkandidat Thomas Kutschaty im Mittelpunkt stehen. Bei der CDU Ministerpräsident Hendrik Wüst. Das funktioniert auch ganz gut. Nachdem die Parteitagsformalitäten erledigt sind, beginnen beide fast zeitgleich mit ihren Reden. Kutschaty spricht darüber, wie er NRW sozialer gestalten will. Statt wie bisher 60 Talentschulen, an denen Kinder besonders gefördert werden, soll es mit der SPD 1000 dieser Schulen geben. Allgemein wirft Kutschaty viel mit Zahlen um sich, 100 000 Wohnungen pro Jahr sollen gebaut werden, ein Viertel davon öffentlich gefördert. Viel spricht der ehemalige Justizminister auch über seine Herkunft: Einem »Eisenbahner-Sohn aus dem Essener Norden« sei der Aufstieg nicht in die Wiege gelegt worden, erzählt er. Seine Aufstiegsgeschichte soll für alle Menschen in Nordrhein-Westfalen gelten. Das kommt bei der SPD gut an, 96,8 Prozent der Delegierten wollen mit ihm an der Spitze die Wahl gewinnen.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Bei der CDU erhält Hendrik Wüst sogar 99,1 Prozent, das beste Ergebnis eines Spitzenkandidaten, wie Generalsekretär Josef Hovenjürgen erklärt. Und einschränkend hinzufügt, man habe nur bis ins Jahr 2000 zurück recherchieren können. Wüst stellt in seiner Rede die Arbeit der schwarz-gelben Landesregierung in den vergangenen fünf Jahren heraus. NRW sei nicht mehr das wirtschaftliche Schlusslicht in Deutschland, und die Arbeit von Innenminister Herbert Reul habe das Land sicherer gemacht, so zwei seiner Kernbotschaften. Auch Soziales betont Wüst. Zu den gestiegenen Energiepreisen sagt er: »Eine warme Wohnung darf kein Luxus sein.« Sehr ähnlich äußert sich Thomas Kutschaty. Auch beim Thema Klimakrise setzen beide ähnliche Akzente. Diese müsse angegangen werden, NRW müsse aber Industrieland bleiben.
Nach der Rede von Hendrik Wüst stand bei der CDU eigentlich nur noch auf dem Programm, die 136-köpfige Liste abzunicken, die vom Landesvorstand vorgeschlagen war. Doch Deniz Güner aus Duisburg-Marxloh machte den Parteioberen einen Strich durch die Rechnung. Als es um Platz zwölf auf der Landesliste ging, für den der erzkatholische Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminski, gesetzt war, meldete er sich für eine Gegenkandidatur. In seiner Vorstellungsrede kritisierte Güner die mangelnde Vielfalt in der CDU. Im Bundestag hätte sogar die AfD einen höheren Migrantenanteil. »Das ist etwas, wofür ich mich schäme«, so Güner. Die CDU müsse Strukturen schaffen, in denen auch Migranten Erfolg haben können. Den Platz von Liminski habe er sich ausgesucht, weil dieser einen neuen Wahlkreis bekommen hatte, nachdem er bei der Bewerbung für einen Direktwahlkreis gescheitert war. Güner vermutet, ihm hätte wohl niemand einen zweiten Wahlkreis gegeben. Die Vorstellung des erkrankten Liminski übernahm CDU-Chef Wüst persönlich. Er betonte, wie wichtig Liminski für die reibungslose Arbeit der Landesregierung sei. Erwartungsgemäß unterlag Güner bei der anschließenden Wahl – fast 80 Prozent der Delegierten wählten den gesetzten Kandidaten.
Auch der SPD-Parteitag wurde am Nachmittag von einer ungeplanten Debatte durcheinandergebracht. Mit einem Antrag zum Jahrestag der Anschläge von Hanau forderten die Jusos einen Perspektivwechsel. Der Blick Betroffener von Rassismus müsse in den Mittelpunkt gerückt, der »rassistische Normalzustand« beendet werden. Auch »rassistische Polizeigewalt« wurde kritisiert. Der Antragskommission ging das alles hingegen zu weit. Man müsse in den Worten »abrüsten«, erklärte die Generalsekretärin Nadja Lüders. In einer einstündigen Aussprache wurde hart diskutiert. Die Parteispitze sah vor allem die Gefahr, Wähler durch einen zu deutlichen Beschluss zu verschrecken. Jusos kritisierten, dass es zu oft weichgespülte und folgenlose Positionen gegen Rassismus gegeben habe. Am Ende einigte man sich dann auf einen Kompromiss, und die SPD konnte ihre 129-köpfige Liste für die Landtagswahl wählen. Ganz ohne spontane Gegenkandidaten.
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