- Kultur
- Leander Haußmann und Gregor Gysi
Abgrund mit Revuetreppe
Leander Haußmann zu Gast in Gregor Gysis Gesprächsreihe am Deutschen Theater Berlin
Es war vor Jahren eine rührende Szene am Schauspiel Bochum. Der Darsteller der Titelrolle – Ibsens John Gabriel Borkman – empfängt am Ende das »Bravo!« des Publikums, hinzu kommt nun der Regisseur, jäh schwillt ein »Buh!«. Der Getroffene winkt ab, ein wenig ist diese abwinkende Hand eine Faust. Da nimmt der ältere Hauptakteur den jüngeren Regisseur in den Arm. Ezard Haußmann und Leander Haußmann. Vater und Sohn.
Leander Haußmann nun zu Gast in Gregor Gysis Gesprächsreihe am Deutschen Theater Berlin. Der Theater- und Filmregisseur, Jahrgang 1959, ist ein Plauderer, in dessen Seele spürbar der Melancholiker die Macht übernimmt. Der Schnauzbart scheint zu wachsen, will aber Menjoubärtchen bleiben. Der Eleganzschwung wird vielleicht etwas müder, wie bei einem langsam alternden Kaffeehauskellner, aber der Komödiant serviert seine Becher süßester Galligkeit noch immer mit Häubchen von Schlagsahne.
Also plaudert er. Vom Schauspieler-Vater, bei dem in depressiven Phasen gesagt wurde: »Papa liegt oben im Zimmer und grübelt.« Von der kriegstraumatisierten Mutter, die sich noch beim Ostseeurlaub am Strand, wenn Flugzeuge nicht sehr hoch vorüberflogen, ängstlich in den Sand warf. Von der Großmutter, die eine Weile unglücklich mit Hermann Hesse verheiratet war, »zudem noch in dessen ›Steppenwolf‹-Krise«. Die Haußmanns – eine Familie, in der man ins Altersheim nach Weimar ging, »um Goethe näher zu sein«.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Du spürst auch im Gysi-Gespräch den Glanz und das Elend der Branche. Komödianten! Sie finden keine Ruhe, denn sie müssen dem Erfolg nachreisen; sie müssen ihre Unsicherheit verstecken, denn Erfolg ist nicht bestimmbar. »Ich habe 16 Filme gemacht, bin aber nach wie vor nur der Mann von der ›Sonnenallee‹.« Erzählt’s abwinkend, und im Abwinken liegen zwei Dinge: immer noch ein wenig Schmerz darüber, wie Leben und Werk reduziert werden, aber mehr noch Gelassenheit. »Alles hat seine Zeit, gegen bestimmte Urteile kommst du nicht an, und was soll’s auch, mein Thema ist: Vergebung.« Sagt der Mann, der gern seine Sehnsucht gesteht, geliebt zu werden. Achtung, Verletzungsgefahr! Haußmann lacht aus Wunden heraus. Deshalb bewundert er seinen Freund Frank Castorf: »Er verachtet so herrlich, deshalb mögen ihn alle.«
Haußmann lernte Drucker, in der Betriebsberufsschule des ND, »Rudi Arndt«; ausgerechnet die Schule des Parteiblatts war »ein Ort der Außenseiter und des harten Schnapses«. Herauszuhören die Freude am Gegensätzlichen: In jedem Glitzer steckt Schmutz, in jeder Katastrophe ein Witz, also ist alles, worüber man lacht, nicht nur lustig.
Vater Ezard wurde von zahlreichen Stasi-Spitzeln beäugt und begleitet. Einer kündigte, er hielt die mürbenden Sauftouren mit dem Oberservierten nicht mehr aus. Und als die Familie nach dem Ende der DDR über der väterlichen Stasi-Akte wie über einer Familienchronik saß und sich amüsierte, fiel der Blick der Mutter auf den Liebesbrief einer fremden Frau. Von Vater Haußmann einst zerrissen, von der Stasi wieder fein säuberlich zusammengeklebt. Die Stimmung frostete erwartungsgemäß ein.
Leander Haußmann hat eine Zeit lang die schönsten Pop-Märchen inszeniert. Aber auch sogenannte Skandale – in Weimar, in München, in Wien, in Bochum, wo er fünf Jahre Intendant war. Lust an Leid paart sich bei ihm mit Lust an Light. Im Innern der Stücke, nämlich in deren Blut- und Nervenbahnen, spielt er schnösellustig Gespensterbahn mit lauter Lachmasken. Regie mit der Patinakratzbürste. Aber Haußmanns Gabe: Klamauk mutiert blitzartig zu Kunst. Just der Zweifel an der überlieferten Wahrheit bringt manchmal die größte Wahrhaftigkeit hervor.
Er schimpft gegen den Anstieg der »Denunziationsbereitschaft« – in Zeiten größerer Regulierungen und Einschränkungen steige die »in Deutschland offenbar sehr verlässlich«. Schimpft ebenso auf diesen »blöden Stolz der Westdeutschen, nichts über uns aus dem Osten zu wissen«. Das Leben in der DDR habe zwar einen »ewig schlecht gelaunten Alltag« hervorgebracht, aber »wir haben gelacht, haben wie die Hippies gelebt und uns fröhlich getrunken«.
Plötzlich der Satz: »Ich kenne meine politische Einstellung nicht.« Ein großartiger Satz gegen alle, die überall und sofort mit Meinung in uns hineinpoltern. »Ich mag Leute nicht, die fortwährend ihre Faust gegen den Himmel wuchten und mich mit einer Klarheit verblüffen, die ich einfach nicht hinkriege.« Das ist der Verweis auf die vielen Ansichten, die in einem Menschen Platz haben. Demokratie braucht nicht erst Gemeinschaft, Vielfalt tobt in uns selber. »Armselig die, die das von Berufs wegen nicht zugeben dürfen. Kommentatoren, Politiker.« Ein Blick zu Gysi: »Aber du bist ja kein Politiker.« Gysi etwas verwundert. Haußmann: »Du bist Entertainer.« Applaus. Klingt wie Dankbarkeit, dass Linkssein nicht automatisch und immer in Sorgenfalten versinken und die Lebensfreude damit ersticken muss.
Dieser Künstler hat in »schönen Jahren« gern »die große Fresse« gehabt, ist gut damit »durchgekommen«. Und dann spricht er darüber, dass im Leben zwangsläufig »alles erstarrt«, irgendwann habe man sich doch erledigt »und ist befreit von der Last, außerordentlich sein zu wollen«. Von da an könne man neu beginnen. Und dann redet er über seine Ängste. Existenzielle Ängste angesichts der Welt. Ängste, die den Trotz anfachen. Für eine verstärkte Verschwörung der Heiterkeit. Wenn schon Abgrund, dann mit Revuetreppe. »Komödien!«, ruft Haußmann. Und bekommt Applaus.
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