- Berlin
- Corona und Schulen
Protest der Schattenfamilien
Berliner Eltern wehren sich gegen Aufweichung der Corona-Maßnahmen an den Schulen
Die Nummer ist durch, das weiß auch Vera Grote. Erst das Ende der Kontaktnachverfolgung und Quarantäneregelungen, nun die Rückkehr der Präsenzpflicht: »Mir ist klar, dass für die Berliner Schulen schon wieder das große Lied der Lockerungen - wir sagen: der Aufweichung aller Schutzmaßnahmen - gesungen wird«, sagt die Mutter von zwei Kindern aus Treptow-Köpenick zu »nd«.
Insbesondere die Wiedereinführung der Anwesenheitspflicht für Schülerinnen und Schüler in den Klassenräumen wollten Vera Grote und ihre Mitstreiter von der Initiative Kinderdurchseuchung Stoppen sowie andere Gruppen von Eltern, Erziehern und Bildungsaktivisten verhindern. Umsonst. Die bis Ende Februar befristete Möglichkeit, Schüler angesichts des Infektionsgeschehens sicherheitshalber zu Hause zu lassen, wird nicht verlängert. Ab 1. März gilt an Berlins Schulen wieder die Präsenzpflicht. So hat es die Senatsbildungsverwaltung entschieden.
Vera Grote will ebenso wie die anderen Eltern ihrer Initiative trotzdem weiterkämpfen. »Bei einer Inzidenz von aktuell über 1000 in Berlin und mehr als 1700 in der Altersgruppe der 5- bis 14-Jährigen muss es Eltern und Schülerinnen und Schülern möglich sein, selbst zu entscheiden, ob in Präsenz oder aus der Distanz am Unterricht teilgenommen wird«, sagt Grote.
Auch an der Umsetzung des Corona-Stufenplans für die Schulen lässt die Kommunikationsberaterin kein gutes Haar. Egal wie hoch die Infektionszahlen vor Ort seien, kaum eine Schule werde in Stufe Gelb eingruppiert und somit in den Wechselunterricht geschickt. »Wofür dann all die schönen Pläne?«, fragt Grote. »Ich stelle einen Schutzschild her, und dann lege ich den zum Bestaunen in die Vitrine. Das ist doch verrückt.«
In der Bildungsverwaltung sieht man das freilich anders. Beim Stufenplan sowieso (»nd« berichtete). Aber auch mit Blick auf die Präsenzpflicht. »Jetzt hört das ja Gott sei Dank wieder auf«, gab sich Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) erleichtert, als sie am Dienstag angekündigte, dass man die Präsenzpflichtregelung nun auslaufen lässt.
Erneut verwies Busse zur Begründung auf die Berufsschüler, die von der Aussetzung der Anwesenheitspflicht häufiger Gebrauch machen als andere: »Das sind Jugendliche, Erwachsene, wo wir jetzt nicht davon ausgehen können, dass die Eltern besorgt wären und ihr Kind zu Hause gelassen hätten.« Auch richtete sich ihr Blick wieder auf die Schulschwänzer. So höre man von Kindern und Jugendlichen, die »zu Hause geblieben sind, die sonst auch gern zu Hause geblieben sind«. Um dann hinzuzufügen: »Das können wir jetzt nicht genau belegen.«
Nicht zuletzt die Sorgen von Schattenfamilien, Familien mit dauerhaft schwer beziehungsweise riskant erkrankten Kindern oder Elternteilen, würden in den Überlegungen der Verwaltung kaum auftauchen, sagt Vera Grote. Sie werde ihre jüngere Tochter, die an einer Vorerkrankung leidet, weiterhin von der Präsenzpflicht befreien. Notwendig ist hierfür ein »qualifiziertes« ärztliches Attest, das von der Schulleitung akzeptiert wird. Grote sagt, an der Schule ihrer Tochter gebe es damit keine Probleme. »Generell geht es aber nicht an, dass Eltern und Kinder gezwungen werden, sich mit Blick auf ihre Erkrankungen nackig zu machen vor den Schulleitungen.«
Grote und ihre Mitstreiter machen nun mobil in Berlin. Am Donnerstagnachmittag haben sie dem Vorsitzenden des Petitionsausschusses des Abgeordnetenhauses, Maik Penn (CDU), bereits eine Petition mit über 3000 Unterschriften übergeben, um der Forderung nach einer weiterhin ausgesetzten Präsenzpflicht und der Kritik an den aus ihrer Sicht zu laschen Infektionsschutzmaßnahmen an den Schulen Nachdruck zu verleihen. Am Sonntag will man gemeinsam mit der Initiative Sichere Bildung Jetzt, dem Berliner Elternbündnis und dem Landesverband sozialpädagogischer Fachkräfte vor dem Roten Rathaus demonstrieren. »Ich verstehe einfach nicht, dass man sich entschieden hat, mit der Gesundheit unserer Kinder so zu zocken«, sagt Vera Grote.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.