- Wirtschaft und Umwelt
- Grenzen des Wachstums
Mangel an Kapitalismuskritik
In der deutschen Linken wurde weniger Wachstum lange nur mit weniger Lohnarbeit und damit mehr Arbeitslosigkeit verbunden
Er gilt heute als Urknall der grünen Bewegung: der 1972 erschienene Bericht »Die Grenzen des Wachstums« der Wissenschaftler Dennis Meadows, Donella Meadows und Jørgen Randers vom »Club of Rome«. Dieses Geschichtsbild stimmt jedoch nicht so ganz, wie der Historiker Joachim Radkau betont: »Der Umweltboom begann eindeutig Jahre davor; erst auf den Wogen dieser neuen Strömung konnte diese Studie zum Welt-Bestseller werden.« Der Bericht löste zunächst auch keine Diskussion unter der breiten Masse aus, wie es die Verfasser erhofft hatten. Allerdings wurde er international unter Intellektuellen und politisch Aktiven kontrovers diskutiert.
Auch in der deutschen Linken redete man nun über Grenzen des Wachstums, allerdings mit wenig Begeisterung und zumeist recht distanziert. Das lag an zwei Gründen: Erstens war der »Club of Rome« ein elitärer, intransparenter Zirkel von Wissenschaftlern und Industriellen und zweitens richteten sich die Forderungen nach einem Ende des Wachstums an die ganze Welt und nicht nur an die kapitalistischen Staaten. Die ökologische Schuldenlast wurde damit undifferenziert auf alle Länder verteilt, auch auf die »realsozialistischen« und den Süden.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Vor einem halben Jahrhundert waren linke Wachstumskritiker eine exotische Minderheit. Während es im Anarchismus zumindest eine ökologische Traditionslinie gab, galt das Thema unter Marxisten bestenfalls als »Nebenwiderspruch« und Folge der kapitalistischen Produktionsweise. Für den Sozialismus beziehungsweise Kommunismus, egal ob »real existierend« oder als Vision, wurde Wachstum nicht hinterfragt. Die Lösung der ökologischen Frage wurde vertagt auf die Zeit nach dem Sieg über den Kapitalismus. Bis dahin sollte die Umwelt warten, es wurden andere Prioritäten gesetzt. Maßnahmen zum Schutz der Natur gefährdeten vermeintlich den eigenen Erfolg im Systemwettstreit mit dem Westen. Zudem basierte die Idee des Kommunismus auch auf einem Wohlstandsversprechen für alle.
Wer Wachstum kritisierte, konnte demnach kein Marxist sein. In diesem Standpunkt waren sich erstaunlicherweise die sonst zerstrittenen linken Flügel und Sekten einig. Eine ergebnisoffene, nüchterne Analyse der computergestützten Prognosen des »Club of Rome«-Berichts fand bei ihnen kaum statt, ein Lesen im Hinblick auf progressive Impulse ebenso wenig. Dabei lassen sich einige Forderungen von links aufgreifen: weniger Waren produzieren und transportieren, Arbeitszeitverkürzung auf Basis von Produktivitätssteigerungen oder mehr gesellschaftliche Planung und Lenkung der Produktion seien hier genannt. Von der Bewahrung der Lebensgrundlagen ganz abgesehen.
Stattdessen wurde die Studie in Frage gestellt: Für die bundesdeutsche Linke spielte die Verteidigung von Industrie-Arbeitsplätzen eine große Rolle. Weniger Wachstum würde auch weniger Lohnarbeit bedeuten, so die Lesart. Von linksradikalen Gruppen bis zur SPD galt es, die Arbeiterklasse zu vertreten, also auch deren Jobs.
Der Westen befand sich zudem in der ersten Wirtschaftsflaute seit Kriegsende, während die DDR-Wirtschaft prosperierte. SED und DKP vermuteten deshalb, dass sich hinter der medial geführten Ökodebatte eine Strategie gegen das hohe Wirtschaftswachstum im Osten verberge, das nun moralisch delegitimiert werden sollte. Andererseits griffen in der DDR linke Kritiker der SED die Debatte mit dem Ziel auf, die ökologische Frage in den Marxismus zu integrieren. Ihnen schwebte ein anderer Sozialismus vor. Sie beklagten, dass die Partei in Bezug auf Konsum und Wirtschaftspolitik den Westen als Vorbild habe und diesen mittels ökonomischer Hochrüstung überholen wolle - was nicht möglich sei. Sie plädierten für einen Sozialismus, der den Fokus auf andere Werte legt, auf Bildung, Emanzipation, Kunst, Nachhaltigkeit oder Recycling. Robert Havemann entwarf eine anarchistisch anmutende Utopie, in der Maschinen und Technik das Lebensnotwendige herstellen, während sich die Menschen ihrer individuellen Entfaltung widmen können. Rudolf Bahro forderte ein Ende der Hierarchien in Staat und Gesellschaft und eine »Kulturrevolution« für allgemeine Emanzipation. Wolfgang Harich schließlich plädierte für eine globale Ökodiktatur, die Bedarfe genau feststellen und auf dieser Basis produzieren und zuteilen könne, so dass enorme Ressourcen eingespart würden. All diese Vorschläge stießen bei der SED auf Ablehnung.
Harich und Bahro landeten Ende der 70er Jahre in der Bundesrepublik. Beide beteiligten sich unabhängig voneinander an der Entstehung der grünen Partei. Harich gab dieses Unterfangen bereits nach zwei Jahren auf und kehrte 1981 in die DDR zurück. Bahro hielt bis Mitte der 80er durch und musste sich dann den Realos um Joschka Fischer geschlagen geben. Aus dem heterogenen Sammelbecken der Gründungszeit, das von rechtskonservativen bis hin zu anarchistischen Kräften allerlei Oppositionelles versammelt hatte, war eine regierungsfähige Partei geworden. Für öko-marxistische Gedanken gab es kaum Bedarf. Der »Umweltboom« hatte sich in gut 15 Jahren vom Intellektuellendiskurs zum Massenthema entwickelt, das in der Folge auch von etablierten politischen Kräften übernommen werden musste.
Zum 50. »Geburtstag« des Meadows-Berichts lässt sich feststellen, dass er wichtige Impulse für eine Diskussion setzte, die nachhaltig die politische Landschaft verändern sollte. Auf Seiten der Linken wurde dabei früh versäumt, das Thema stärker und dabei kapitalismuskritisch aufzugreifen.
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