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Friedensrufe an Fassaden

Schüler beteiligen sich mit großformatigen Bannern am Chemnitzer Friedenstag

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.
Klares Zeichen am Chemnitzer Theater
Klares Zeichen am Chemnitzer Theater

An der Fassade des Chemnitzer Opernhauses hängen dieser Tage drei Banner. Das mittlere ist in den Landesfarben der Ukraine gehalten und fordert in fünf Sprachen schlicht: Frieden. Daneben hängt eines, das in kräftigen Farben drei Gesichter zeigt, dazu das Signet der Friedensbewegung und ein Zitat von Nelson Mandela: »Es kann auf der Welt kein wichtigeres Anliegen geben als das Streben nach Frieden.«

Das Banner wirkt wie eine eindringliche Reaktion auf den Krieg, den Russland seit gut einer Woche in der Ukraine führt. Der Eindruck trügt jedoch: Die Arbeit daran begann schon in den Herbstferien. Das Bild ist Teil eines Schüler*innenprojekts anlässlich des Chemnitzer Friedenstages, der seit 21 Jahren an jedem 5. März begangen wird, in diesem Jahr aber besondere Dringlichkeit erhält. »Was in der Ukraine jetzt geschieht, ist bestürzend«, sagt Sabine Kühnrich von der AG Friedenstag. Es verstärke noch einmal die Kernbotschaft der Veranstaltung, die die Sängerin so formuliert: »Krieg soll nicht sein. Er ist immer ungerecht und bringt Leid über die Zivilbevölkerung.«

Anlass des Chemnitzer Friedenstages sind Leid und Zerstörung, die vor 77 Jahren die sächsische Stadt trafen. Diese wurde kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges von den Alliierten aus der Luft angegriffen und zu 80 Prozent zerstört. Im Bombenhagel starben rund 4000 Menschen, davon allein 2100 in der Nacht vom 5. zum 6. März 1945. An die Opfer wurde Jahr für Jahr erinnert. Allerdings kam dabei kaum zur Sprache, welche Vorgeschichte die Angriffe hatten. Neonazis machten sich das zunutze und relativierten mit Hinweis auf die Bombardements deutsche Kriegsschuld. Dem wollten sich Menschen wie Kühnrich und Studentenpfarrer Hans-Jochen Vogel widersetzen. Es gelte, ein »Abgleiten« des Gedenkens in »inhaltsleere Rituale« zu verhindern, schrieben sie 2002 in einem Aufruf. Vielmehr sollten an den Jahrestagen »friedensstiftende kulturelle und politische Impulse für die Stadt und von der Stadt« ausgehen.

Bemerkenswert ist, wie kreativ und beharrlich dieses Anliegen seit elf Jahren auch von Schüler*innen unterstützt wird – mit sieben Meter langen Bannern, wie sie auch dieses Jahr wieder an markanten Gebäuden zu sehen sind. Das erste habe noch an der Fassade der Montessori-Schule gehangen, erinnert sich deren Leiter Marc-Oliver Winkel: »Darauf stand: ›Stell dir vor, es ist Frieden, und alle machen mit‹.« Es begründete eine beeindruckende Tradition: Inzwischen sind 213 Banner gestaltet worden, »die meisten davon an unserer Schule«, sagt Winkel.

Die Aktion geht auf Anregungen der Chemnitzer Bürgerinitiative »Aktion C« zurück und bewirkt, dass sich Schüler*innen intensiv mit geschichtlichen, sozialen und politischen Themen beschäftigen. Der Begriff »Frieden« wird dabei weit gefasst, sagt Katharina Kästel-Sasse, die als Pädagogin in den Klassenstufen 5 und 6 arbeitet. Die Schüler griffen auch Fragen wie Umweltschutz, Rassismus, Geschlechterverhältnisse oder Massentierhaltung auf. Die Bildsprache ist vielfältig. Man wolle »keine rein plakativen Motive«, sagt Kästel-Sasse. Selbst Friedenstauben finden sich eher selten.

Wie die Schüler*innen die Banner gestalten, bleibt ihnen weitgehend selbst überlassen: »Wir greifen höchstens ein, wenn es etwa um die Bildaufteilung geht«, sagt Winkel. Das ist angesichts der extremen Hochformate eine Herausforderung, ebenso wie das Übertragen der Entwürfe auf die große Fläche. »Das ist auch körperlich anspruchsvoll«, sagt Kästel-Sasse. In jedem Banner steckten 60 bis 80 Stunden Arbeit – die, wie die Lehrer anmerken, in den Ferien geleistet wird. Dennoch sei das Interesse, an dem Projekt teilzunehmen, groß und ungebrochen.

Dieses beschränkt sich nicht allein auf die künstlerische Gestaltung einer Fläche. »In jedem Banner stecken umfangreiche Recherchen«, sagt Winkel. Ein eindrückliches Beispiel dafür ist ein Motiv, das der jüdischen Künstlerin Alice Glaser gewidmet ist. Sie gründete 1927 in Chemnitz einen Montessori-Kindergarten für jüdische Kinder, wurde 1941 aber deportiert. In ihrer Heimatstadt war sie in Vergessenheit geraten. Ein Hinweis eines Historikers führte dazu, dass Kästel-Sasse mit Kolleg*innen und Schüler*innen zu recherchieren begann. Dabei stießen sie auf viele biografische Details und konnten sogar Kontakt zu Nachfahren herstellen. Das Projekt mündete in der Verlegung eines Stolpersteins für Alice Glaser, der auf dem ihr gewidmeten Banner abgebildet ist. »Die Geschichte«, sagt Kästel-Sasse, »wurde plötzlich sehr lebendig.«

Das gilt auf andere Weise auch für das Thema Krieg und Frieden. Es wurde bereits durch den Krieg in Syrien und die davon ausgelöste Fluchtbewegung greifbar. Die Arbeit an entsprechenden Bannern brachte Schüler*innen und Lehrer*innen in Kontakt mit Menschen, die in Chemnitz in Flüchtlingsunterkünften leben mussten; es seien Hilfsangebote und Patenschaften entstanden, sagt Winkel. Auch einige Schüler*innen der Montessori-Schule flohen einst vor dem Krieg aus Syrien; zwei von ihnen haben eines der Banner gestaltet, die dieses Jahr zum Friedenstag am Rathaus hängen.

Bei der Beschäftigung mit solch schwierigen Themen wie Krieg und Holocaust sei es wichtig, eine »kindgerechte« Form der Annäherung zu finden, betont Winkel. Grausame Bilder von Zerstörung oder schockierende Details über die Vernichtungslager seien nicht der richtige Weg. Man wolle »keine Ängste schüren«, sagt der Schulleiter. Es gehe um emotionale und persönliche Annäherung: »Stell dir vor, du müsstest deine Stadt verlassen. Stell dir vor, du würdest mit 14 in ein Gefängnis gesteckt.«

Die künstlerischen Ergebnisse solcher Überlegungen finden viel Zuspruch in der Stadt und darüber hinaus. Chemnitzer Friedensbanner waren schon bei einem bundesweit ausgestrahlten Fernsehgottesdienst zu sehen; zudem gab es Anfragen für Ausstellungen selbst aus dem Ausland.

Ein Banner zum Krieg in der Ukraine gibt es bisher nicht. Noch können die Pädagogen überhaupt nur ahnen, was die Schüler*innen angesichts der dramatischen Ereignisse denken und fühlen. Zumindest in den Klassen 5 und 6 hätten sie sich vorab geeinigt, nur auf Gesprächswünsche der Kinder zu reagieren, sagt Kästel-Sasse. Am ersten Tag nach den Ferien kam aber – nichts. Es sei, vermutet die Pädagogin, »Ausdruck der Starre, die auch viele von uns Erwachsenen jetzt befallen hat« – und die auch viele Besucher*innen des Chemnitzer Friedenstags an diesem Samstag verspüren dürften. Vielleicht lässt man statt dessen die Banner sprechen. Wie heißt es am Opernhaus? Es gebe »kein wichtigeres Anliegen« als das Streben nach Frieden.

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