- Politik
- Vertrauensabstimmung
Libyen wieder im Kalten Krieg
Zwei Premiers streiten, wer die Regierung führen darf. Die Uno versucht zu vermitteln. Der Ukraine-Krieg macht sich bemerkbar
Mit der Vertrauensabstimmung für die Ministerriege von Fathi Baschagha hat Libyens Parlament vergangene Woche eine neue Regierung installiert. Nach dem Scheitern der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Dezember hat Libyen damit wieder zwei Regierungen. Denn der seit einem Jahr in Tripolis regierende Premierminister Abdelhamid Dbaiba will sein Amt nicht niederlegen und wirft Parlamentschef Saleh illegale Machenschaften vor.
Mit der Bildung zweier politischer Lager wie zur Zeit der 18-monatigen Belagerung von Tripolis ist der zerbrechliche Friedensprozess wohl gescheitert. Afrikas ölreichstes Land könnte erster Nebenkriegsschauplatz im Schatten des Ukraine-Krieges zwischen Russland, der EU und der Türkei werden.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Der Geschäftsmann Dbaiba gilt als Verbündeter Ankaras, wirbt um die Gunst der EU und der UN-Mission (Unsmil). Der ebenfalls aus der Hafenstadt Misrata stammende ehemalige Innenminister Fathi Baschagha paktiert dagegen mit Feldmarschall Khalifa Haftar, der mit seiner Libysch-arabischen-Armee (LNA) immer noch weite Teile Ostlibyens kontrolliert. Zusammen mit Militärberatern und Söldnern der russischen Sicherheitsfirma Wagner wollte der 78-jährige Haftar im April 2019 die in Westlibyen gelegene Hauptstadt erobern. Doch der Angriff scheiterte wegen der von der dortigen Regierung erbetenen massiven Militärhilfe aus der Türkei.
Mit den für vergangenen Dezember geplanten Wahlen sollte die verbliebene Ost-West-Spaltung vieler Institutionen wie Zentralbank, Armee und vieler Ministerien beendet werden. Doch durch die Allianzen im Ukraine-Krieg könnte der Machtkampf der beiden Regierungschefs die Spaltung noch verstärken. Moderne russische Mig-29-Kampfjets und Spezialisten von Wagner sind auf den zentrallibyschen Flughäfen Temenhint und Jufra stationiert und damit in Reichweite des sogenannten Ölhalbmondes. Die Pipelines und Bohrtürme Zentral- und Ostlibyens stellen rund 30 Prozent der Gasversorgung Italiens sicher und sind wichtige Energielieferanten anderer europäischer Länder.
Uno sucht nach Kompromiss
Weil die wichtigsten Milizen in Tripolis und der türkische Präsident Erdogan angekündigt haben, die Baschagha-Regierung nicht anzuerkennen, rechnen Beobachter damit, dass dieser sich mit seinen 29 Ministern in Sirte niederlassen wird. Sirte steht unter der Kontrolle von Haftars Armee, Einwohner beobachten dort immer wieder russische Offiziere der Wagner Gruppe.
Stefanie Williams, die Sonderbeauftragte der UN-Mission für Libyen, hat beide Regierungschefs mehrmals getroffen. Obwohl sie Dbaiba auf einer Konferenz der Vereinten Nationen ins Amt verholfen hat, tritt sie für einen Ausgleich zwischen den beiden Lagern ein. Die Vereinten Nationen dürften nur wenig Einfluss auf die weiteren Entwicklungen in Libyen haben, denn die Unsmil ist derzeit ohne Missionschefin. Gegenüber libyschen Delegationen tritt die Amerikanerin Williams zwar so auf, tatsächlich ist sie aber nur Beraterin von UN-Generalsekretär Antonio Guterres für Libyen. Russland hatte im UN-Sicherheitsrat die Ernennung von Williams als Missionschefin per Veto verhindert.
Doch sowohl internationale Diplomaten als auch die Parteien in Libyen sehen in der Uno die einzige Chance, den Friedensprozess wiederzubeleben und eine Rückkehr des Krieges zu verhindern. Stephanie Williams schlug am Donnerstag vor, dass die in Ostlibyen tagenden Parlamentarier und der sogenannte Staatsrat in Tripolis jeweils sechs Vertreter in ein von ihr geleitetes Dialogforum entsenden. Den 2,9 Millionen bereits zur Wahl registrierten Libyern sei man einen Kompromiss schuldig, sagte die 45-Jährige. Ihr Vorschlag zeigt, wie sehr sich die meist im benachbarten Tunesien stationierten Diplomaten von der Realität entfernt haben. »Es gibt keinen Grund, dass die von ihr erwähnten Präsidentschaftswahlen nicht genauso krachend scheitern wie im Dezember«, sagt der Journalist Mutaz Ali.
Beobachter wie Ali befürchten, dass Russland eine Eskalation in Libyen nur recht sein könnte, auch wegen des steigenden Ölpreises der in Libyen üppig vorhandenen Sorte Brent. Als am Donnerstag die Scharara-Ölförderanlagen bei Sirte von einer Miliz mit Waffengewalt stillgelegt wurden, schoss der Barrel-Preis auf 120 Dollar. Zuvor hatten westlibysche Unterstützer von Premier Dbaiba den Außenminister der Parallelregierung zeitweilig verhaftet. Milizen in Tripolis fuhren aus Angst vor einem erneuten Angriff am Sonntag mit entsicherten Waffen durch die Stadt. Augenzeugen berichten, Einheiten der russischen Söldnertruppe Wagner seien in der ostlibyschen Hafenstadt Bomba eingetroffen sein. Von dort könne man die Schifffahrtsrouten des Mittelmeers angreifen, warnt ein Sicherheitsexperte in Tripolis.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.