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Die Türkei spielt Friedenstaube
Im Krieg Russlands gegen die Ukraine stehen für die Regierung in Ankara wirtschafts- und geopolitischen Interessen auf dem Spiel
Schlüge der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan in diesen Tagen eine deutsche Zeitung auf, wäre er mit Sicherheit hoch erfreut über die Berichterstattung. Nachdem sich auf seine Initiative der russische und der ukrainische Außenminister, Sergej Lawrow und Dmytro Kuleba, am Rande des Antalya Diplomacy Forums trafen, wird er als »idealer Vermittler« im Ukraine-Krieg gelobt. Und das, obwohl bei dem Treffen am Donnerstag in Antalya gar kein konkreter Erfolg erzielt wurde. Dennoch wird nun gefordert, die deutsche und europäische Politik gegenüber der Türkei anzupassen und das Land wieder stärker in das westliche Allianzsystem einzubinden. Doch der Sonnenschein von Antalya sollte nicht über die geopolitischen Interessen des Gastgebers hinwegtäuschen. Die türkische Regierung verfolgt seit längerem die Strategie eines Balanceakts zwischen den Nato-Ländern und Russland, denn ihr längerfristiges Ziel ist es, selbst eine starke Regionalmacht zu werden. Ihre Position im Ukraine-Krieg könnte sie dem einen Schritt näherbringen.
Diplomatisches Defilee
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
In der Türkei geben sich aktuell die Diplomat*innen die Klinke in die Hand. Erdoğan selbst sagte, er habe sich schon mit rund 30 Staatsoberhäuptern getroffen mit dem Ziel, Frieden und Stabilität in der Region wiederherzustellen. Von besonderer Bedeutung war das Telefonat mit US-Präsident Joe Biden am Freitag, der die diplomatischen Bemühungen der Türkei lobte und sich über eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen austauschte. Seit seinem Amtsantritt hatte Biden ein eher distanziertes Verhältnis zu seinem türkischen Kollegen bewahrt. Noch im Wahlkampf nannte er Erdoğan einen »Autokraten« und forderte, die politische Opposition zu unterstützen. Am Montag wird Bundeskanzler Olaf Scholz in Ankara erwartet und die Ukraine wird mit großer Wahrscheinlichkeit ein Diskussionsthema sein.
Dieses hohe Aufkommen an diplomatischem Austausch stärkt die Rolle der türkischen Regierung in der internationalen Arena zu einem Zeitpunkt, an dem innenpolitisch alles andere als Burgfrieden herrscht. Die massive Inflation führt zu permanent steigenden Lebenshaltungskosten, wodurch der Unmut gegen die Regierung wächst. Der Parteivorsitzende der größten Oppositionspartei CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, hatte die Bevölkerung dazu aufgerufen, die Stromrechnungen nicht mehr zu zahlen; immer wieder brechen spontane Proteste und wilde Streiks aus. Ein andauernder Konflikt in der Ukraine hätte auch Folgen für die türkische Bevölkerung, denn die Türkei importiert große Mengen Weizen aus Russland und der Ukraine. Eine weitere Preissteigerung für Brot durch ausfallende Ernte träfe die türkische Bevölkerung direkt, die ohnehin schon zunehmend auf das kommunal subventionierte »Volksbrot« angewiesen ist. Die Türkei ist ebenso abhängig von russischem Erdgas und zu einem bedeutenden Teil auch vom Tourismus aus Russland und der Ukraine.
Türkisches Kriegsgerät für die Ukraine
Der Darstellung der Türkei als friedvollem Vermittler im Ukraine-Konflikt widerspricht auch der Export von Bayraktar-TB2-Kampfdrohnen, für die sich das ukrainische Verteidigungsministerium auf Twitter bedankte. Laut »Middle East Eye« ist der Export von Kriegsgerät aus der Türkei in die Ukraine in den ersten zwei Monaten des Jahres um 5000 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Grüne und SPD hatten bis 2021 eine Ächtung solcher autonomen Waffensysteme gefordert, rückten von dieser Position jedoch ab. Ebenso scheint es sich mit der völkerrechtswidrigen Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien zu verhalten, die die Grünen in der Nato thematisieren wollten: Nun geht es um Geschlossenheit. Anfang März hatte sich Außenministerin Annalena Baerbock beim Nato-Gipfel mit ihrem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu getroffen, sich für die starke deutsch-türkische Partnerschaft bedankt und beteuert: »In der Russland-Krise stehen wir zusammen.«
Doch wer die Türkei in diesem Konflikt als Vermittlerin, ja sogar als Friedenstaube präsentiert, der macht den Bock zum Gärtner. Nicht die ukrainischen Zivilist*innen sind es, um die sich die türkische Regierung sorgt, sondern die eigenen wirtschafts-, innen- und geopolitischen Interessen. Bereits in der Vergangenheit wurde deutlich: Außenpolitische Interventionen der Türkei können zur vorübergehenden Beilegung innenpolitischer Konflikte beitragen. So ist es auffällig ruhig im progressiven Lager, Kritik an der Ukraine-Politik der AKP ist kaum zu hören. Lediglich die CHP wirft Erdoğan vor, sich nicht härter gegen Russland zu positionieren, doch auch sie kann kaum an einer Eskalation des Konflikts interessiert sein. Die türkische Regierung füllt an dieser Stelle ein internationales diplomatisches Vakuum aus, hofft, dadurch außen- und innenpolitisch ihr Ansehen zu verbessern. Und so lange alle anderen mitspielen, könnte dieser Plan auch aufgehen.
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