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Die japanischen Großväter von Crispr
Hinter dem Chemienobelpreis für das Gentech-Verfahren Crispr/Cas9 stecken noch etliche nicht geehrte Forscher
Der Erfolg hat seit Ende 2020 zwei noble Mütter: Jennifer Doudna (USA) und die Französin Emanuelle Charpentier in Berlin. Sie wurden für die »Entwicklung einer Methode des Genom-Editierens« mit dem Chemie-Nobelpreis geehrt. Wieso fand man Crispr aber erst jetzt? Hatte sich das genial adaptive Immunsystem der Bakterien so gut versteckt oder wurde einfach nicht danach gesucht?
Aus meiner Sicht gibt es gleich vier Erst-Entdeckergruppen: in Japan, Spanien, in einer Joghurtfirma und in Litauen. Alle sind kaum bekannt und nur eine einzige davon war, zumindest teilweise, in den USA. Erstaunlich!
Beginnen wir mit Japan. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre gab es an der Universität von Osaka ein mikrobiologisches Labor unter Leitung von Atsuo Nakata. Dort arbeitete der 26-jährige Japaner Yoshizumi Ishino an seiner Doktorarbeit.
Ishino fand nach fünf langen Monaten des Entzifferns (Sequenzierens) der DNA des Darmbakteriums Escherichia coli etwas sehr Seltsames: Die auf den ersten Blick recht sinnlose Abfolge der Gen-»Buchstaben« …ATCCTAGGCTTTAAATTTCGGATCCCTA… Fünf gleiche (homologe) DNA-Sequenzen von jeweils 29 Nucleotiden Länge! Die verteilten sich über die gesamte DNA der Bakterien. Und die fünf homologen 29er DNA-Stücke konzentrierten sich alle in Gruppen (Clustern), die sich zudem wiederholten (repeats).
Hatte Ishino etwa einen gravierenden Fehler beim Experiment gemacht? Fünf Monate Arbeit im Labor für die Katz’? Als guter Lehrer stärkte Nakata das Selbstbewusstsein seines geknickten Zöglings: »Unbedingt sofort publizieren!« Nakata nannte die DNA-Merkwürdigkeiten »clustered repeats«. Und weil sie regelmäßig angeordnet waren »regularly«. Und noch eine Merkwürdigkeit: Es handelte sich bei den Sequenzen um sogenannte Palindrome. Das heißt, von vorwärts und rückwärts gelesen hatten sie die gleiche Abfolge der Nucleotide A, T, C und G.
So wie bei den Namen »Anna« oder »Otto« oder dem etwas schrägen Palindrom-Satz, der mir aus meiner Kindheit erinnerlich ist: »Ella rüffelte Detlef für alle.« (Lesen Sie mal rückwärts!)
Nebenbei: Das angeblich längste Palindrom-Wort der Welt ist das finnische »Saippuakivikauppias« (zu Deutsch Specksteinhändler). Es fand sich allerdings in keinem Wörterbuch. Kennt eine Leserin oder ein Leser Finnen?
1987 druckte das US-amerikanische »Journal of Bacteriology« tatsächlich die Ergebnisse Ishinos und Nakatas ab, quasi eine der Geburtsurkunden für Crispr! Der letzte Satz der Artikels lautete bescheiden: »Die biologische Bedeutung der clustered repeats ist noch unbekannt.«
Yoshizumi Ishino verteidigte später erfolgreich seine Doktorarbeit und Atsuo Nakata ging in den verdienten Ruhestand. Ich habe den bescheidenen Crispr-Pionier später mal in Fukuoka getroffen. Wie wir heute wissen, war diese Arbeit Ishinos und Nakatas der »Funke, aus dem die Flamme der Revolution schlagen sollte«, der heutigen Crispr-Revolution!
Nun kennen Sie auch die wahre Geschichte eines Teils des heutigen »knusprigen« Namens Crispr/Cas9: Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats/Crispr-associated protein 9.
Eine ausführlichere Fassung dieses Texts findet sich unter https://www.esanum.de/fachbereichsseite-tech-digital/feeds/tech-digital/posts/crisprcas9-kennen-sie-die-wahre-geschichte-teil-i
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