Kontroverse nach Kompromiss

Am Mittwoch beginnen die Beratungen über das neue Infektionsschutzgesetz

Schlechtes Timing: An diesem Mittwoch berät der Bundestag in erster Lesung über das neue, abgemilderte Infektionsschutzgesetz - gleichzeitig hat die Sieben-Tage-Inzidenz bei den bestätigten Corona-Fällen einen neuen Höchstwert von 1585,4 erreicht. Die stolze Zahl von 198 888 Neuinfektionen haben die lokalen Gesundheitsämter binnen 24 Stunden dem Robert-Koch-Institut gemeldet.

Trotz dieser Entwicklung soll die Novelle bereits am Freitag von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden. Die Eile hat einen formalen Grund: Das aktuell gültige Infektionsschutzgesetz beinhaltet bestimmte Maßnahmen speziell gegen die Corona-Pandemie, die bis 19. März befristet sind. Diese einfach zu verlängern, steht nicht zur Debatte, da der Bund und die Ministerpräsidenten der Länder einen Stufenplan beschlossen haben, laut dem fristgemäß bis zum 20. März viele Maßnahmen aufgehoben werden sollen. Über Wochen wurde darüber diskutiert, was genau im novellierten Infektionsschutzgesetz stehen soll. Neben den Details der Lockerungen geht es um die Grundsatzfrage, wie viel der Bund überhaupt noch regeln soll oder ob die Länder weitgehende Verfügungsgewalt erhalten.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Im Gesetzentwurf, auf den sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und sein Justizkollege Marco Buschmann (FDP) geeinigt haben, steht eine Reihe von Basismaßnahmen, die beibehalten werden sollen. Dazu zählen die Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr, in Krankenhäusern und Pflegeheimen sowie Testmöglichkeiten. Kontaktbeschränkungen oder 2G- und 3G-Regeln, wie sie lange Zeit im Einzelhandel, in Bahnen und bei Veranstaltungen in Innenräumen galten, soll es flächendeckend nicht mehr geben. Hier einigten sich die beiden Minister nach langer Kontroverse erst in der vergangenen Woche auf einen Kompromiss: eine auf sechs Monate befristete Hotspot-Regelung. Wo es eine »sich dynamisch ausbreitende Infektionslage« gibt, können lokal deutlich strengere Maßnahmen verhängt werden - von genereller Maskenpflicht und Abstandsregeln über 2G und 3G bis hin zur Testpflicht in Schulen und Pflegeheimen.

Der Liberale Buschmann spricht von einem »idealen Kompromiss, um einerseits so viel Normalität wie möglich für die Bürgerinnen und Bürger zu bekommen und andererseits handlungsfähig zu sein, wenn es tatsächlich eine konkrete Gefahrensituation gibt«. SPD-Mann Lauterbach hätte gern strengere Regelungen ins Gesetz geschrieben, kann aber auch mit dem Hotspot-Passus leben. Einen »Freedom Day« am 20. März werde es damit nicht geben, wie er erneut betonte.

Lauterbach forderte am Dienstag zudem die Bundesländer auf, die mögliche Übergangsfrist bis zum 2. April bei der Lockerung der Schutzmaßnahmen zu nutzen, wie es etwa Brandenburg und Thüringen beschlossen haben. Auch Bayern macht davon Gebrauch. Die Landesregierung in München überlegt darüber hinaus, den gesamten Freistaat zum Hotspot zu erklären, und bezeichnet dies als »Sonderweg«. Diese Formulierung dürfte mehr der innerbayerischen Profilierung der CSU dienen, denn dies wäre auch im Sinne von Bundesgesundheitsminister Lauterbach. Die Frage ist nur, ob auch die Gerichte diese Auslegung durch das neue Infektionsschutzgesetz gedeckt sehen.

Ulkigerweise untergräbt der Vorstoß der CSU ausgerechnet die Oppositionsstrategie der Union im Bundestag, die mit Blick auf die Hotspot-Regelung einen drohenden »Flickenteppich« anprangert. Diesen könnte schon die Ministerpräsidentenkonferenz mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) an diesem Donnerstag verhindern, wo über die Umsetzung beraten wird.

Doch auch in der Bundesregierung sorgt der Passus weiter für Zündstoff. Der Grund: Er ist schwammig formuliert. Lauterbach möchte ihn generell bei hohen Inzidenzen angewendet sehen, wie sie derzeit fast überall gemeldet werden. Das Justizministerium spricht hingegen in einem internen Papier, über das die »Welt« berichtete, von einem »Ausnahmecharakter« der Hotspot-Regelung, deren Anwendung nur »unter hohen Hürden« möglich sei. Dies sei nämlich nur bei drohender Überlastung der Krankenhäuser möglich - und die gibt es mit der Omikron-Variante des Coronavirus absehbar nicht mehr.

Zuspitzen wird sich der Streit aller Voraussicht nach spätestens mit dem Ende der Hotspot-Regelung am 23. September. Vor der kalten Jahreszeit dürfte Lauterbach sicher auf strengere Maßnahmen dringen. Der FDP-Politiker Stephan Thomae hingegen verspricht, die Menschen könnten sich sicher sein, »dass alle Corona-Maßnahmen im Herbst auslaufen, sollte die Lage nicht eine Neubewertung erfordern«.

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