Und niemand sagt mal Danke

Lob mit Hindernissen: Eine Berliner Einrichtung zeigt, wie gute Pflege gelingen kann

Kurzer Ausflug an die frische Luft: Altenpflegerin Grit Dorn und Elvira Jacobitz in der Gartenanlage des Pflegewohnzentrums Wuhlepark in Berlin-Kaulsdorf
Kurzer Ausflug an die frische Luft: Altenpflegerin Grit Dorn und Elvira Jacobitz in der Gartenanlage des Pflegewohnzentrums Wuhlepark in Berlin-Kaulsdorf

Die Pflege von alten und kranken Menschen hat in Deutschland einen schweren Stand - in Krankenhäusern, Heimen und ambulant. Viele, die dort Tag um Tag schuften, werden nur schlecht bezahlt. Teams sind zu klein, Zeit für Kranke und Pflegebedürftige ist knapp. Oft kann nur für deren Grundbedürfnisse gesorgt werden. Seit 2017 versucht ein Wettbewerb, hier ein wenig gegenzusteuern und Anerkennung zur vermitteln: »Deutschlands beliebteste Pflegeprofis« werden ausgezeichnet. Aus der Taufe gehoben wurde das Projekt vom Verband der Privaten Krankenversicherungen.

Das Pflegewohnzentrum Wuhlepark

Das Pflegewohnzentrum Wuhlepark ist einer von fünf Standorten der Pflegewohnzentrum Kaulsdorf-Nord gGmbH, die Mitglied des Paritätischen Berlin ist. Zu der gemeinnützigen GmbH gehören außerdem zwei weitere stationäre Einrichtungen, ein ambulanter Pflegedienst und drei Tagespflegestätten.

In den beiden Gebäuden des Pflegewohnzentrums Wuhlepark gibt es insgesamt 296 Plätze, davon 238 in Einzelzimmern. Die Bewohner haben die Pflegegrade zwei bis fünf. Ein Drittel der Bewohner erhält Hilfe zur Pflege vom Sozialamt. Das heißt, dass die Renten nicht ausreichen, um die Kosten zu tragen. Auf der Warteliste für die Einrichtung stehen etwa 270 Namen - das ist aber eine prophylaktische Warteliste von Menschen, die noch keinen akuten Bedarf haben.

Bis Mitte 1994 gehörten die Gebäude dem Bezirksamt. Dann wurden sie von der Ende 1993 gegründeten gGmbH übernommen. Zwischen 1998 und 2002 wurde die Einrichtung vollständig saniert. Das Heim ist seit 2003 auch Ausbildungsbetrieb für die Altenpflege. uhe

Wenn Alleinleben zu riskant wird

Bei der letzten Runde Ende 2021 belegten zwei Teams und eine Pflegekraft aus Kliniken die ersten Plätze. Die durchaus nominierten Beschäftigten aus Pflegeheimen gingen leer aus. Auch in Berlin wurde ein Krankenhausteam Landessieger. Aufgefallen ist das Marina Kreisel, nicht zuletzt, weil ihre Mutter Elvira Jacobitz im Pflegewohnzentrum Wuhlepark in Berlin, einer Einrichtung der Kaulsdorf-Nord gGmbH, betreut wird. Und zwar so gut, dass die Familie das zuständige Pflegeteam für die Auszeichnung vorschlug. Einerseits gönnt Kreisel, die als Rentnerin in der Nähe Berlins lebt, den Geehrten die Auszeichnung. Aber sie möchte, dass die Pflege in Heimen ebenfalls eine Chance hat. Mit ihrer Meinung wandte sie sich an die Organisatoren des Wettbewerbs. Darüber hinaus auch an das »nd«, um ihre Wertschätzung öffentlich zu machen.

Das gelobte Pflegeteam findet sich in der Bansiner Straße in Berlin-Kaulsdorf, mitten in einem Wohngebiet. Hier stehen zwei der DDR-typischen Pflegeheim-Gebäude. Verbunden sind sie seit der Sanierung 2002 über ein lichtes Atrium aus Holz und Glas - ein architektonischer Glücksgriff. Im Eingangsbereich laden Sitzgruppen ein, in einer Voliere piepsen und zirpen Wellensittiche, einige gut gefüllte Bücherregale machen neugierig. Umgeben sind die Häuser von einer Gartenanlage. Auch wenn das Bauliche nicht unwichtig ist: Wie geht es den Bewohnern hier?

Elvira Jacobitz wurde vor wenigen Tagen 96 Jahre alt. Sie kommt mit dem Rollator den langen Gang entlang - offenes Gesicht, kurze, schneeweiße Haare, wache Augen. Als sie in ihrer letzten eigenen Wohnung in Berlin-Marzahn zum ersten Mal gestürzt war und es nicht mehr zum Telefon schaffte, hatte sie sich entschieden, in ein Pflegeheim zu ziehen. Bis es so weit war, stürzte sie noch einmal. Inzwischen lebt sie seit fünf Jahren in der Bansiner Straße. Die Angebote dort, wie Singen, Spielen oder Sport, nimmt sie kaum an. Sie sagt selbst: »Ich bin so müde vom Leben.« Ihr Ehemann verstarb bereits vor 13 Jahren. Acht Jahre lebte sie noch allein in ihrer Wohnung, bereits mit einer Pflegestufe, von einem ambulanten Dienst versorgt.

1926 in Berlin geboren und aufgewachsen, besuchte Jacobitz acht Jahre die Schule. Danach wurde sie als Bürogehilfin ausgebildet - bei der Steindruckerei Paul Pittius, die unter anderem Glückwunschkarten herstellte. Ihre Chefin (und Prokuristin der Firma) war Mary Gerold, geschiedene Ehefrau von Kurt Tucholsky. Verantwortung trug Jacobitz hier schon als ganz junge Frau. »Frau Gerold hat mich mit dem Scheck zur Bank geschickt, und ich habe die Löhne für alle Mitarbeiter abgeholt«, erinnert sie sich. 1944 wurde die Berlinerin zum Arbeitsdienst nach Österreich geschickt. Später arbeitete sie als Bürokraft in der Knorr-Bremse, dem großen Werk am Berliner Ostkreuz, in dem heute die Rentenversicherung sitzt, dann unter anderem als Telefonistin bei der Post.

Und ihr Leben heute? Morgens gibt es Hilfe beim Waschen und Anziehen, ihr Bett wird gemacht, sie bekommt Augentropfen. Mit ihrem Rollator ist die 96-Jährige selbstständig im Haus unterwegs. »Anfangs wirkte sie sehr distanziert«, erinnert sich die Leiterin des Wohnbereichs, Susanne Jacob. »Aber sie hat Vertrauen gefasst, sie wollte ja selbst hier einziehen.« Es könnte aber sein, dass sich Jacobitz nach ihren Stürzen nur in etwas Notwendiges gefügt hat. Ihre jüngere Tochter Uta Siebert berichtet, dass die Mutter gern in ihrem Zimmer im Sessel sitze und in den Park schaue. Und Glückwunschrunden zum Geburtstag gar nicht leiden könne.

Andererseits beobachtet die Rentnerin ihre Umgebung im Wohnbereich aufmerksam und macht sich ihre Gedanken - dass das Hörgerät mal wieder gereinigt und geprüft werden muss, zum Beispiel. Und mit wem unter den Mitbewohnern sie sich darüber austauschen könnte. Wie viel ihr Heimplatz kostet, dass das seit Jahresbeginn einige Hundert Euro weniger an Eigenleistung sind. Und wie ihre neue Nachbarin zu einem Festnetzanschluss kommen kann.

Freundschaften mit Gleichaltrigen gab es durchaus, aber ihre frühere Nachbarin und gute Freundin im Heim ist vor zwei Jahren gestorben. Die jüngere Tochter und der Schwiegersohn besuchen sie regelmäßig. Beide Töchter sind ebenfalls schon in Rente, beide haben sich immer mal wieder für die Interessen der Mutter in der Pflege eingesetzt, wenn sie das Essen nicht geeignet fanden oder in der Mittagspause die Zimmer mit Musik beschallt wurden.

Grit Dorn ist eine der drei examinierten Altenpflegerinnen im Wohnbereich. Über Elvira Jacobitz sagt sie spontan: »Sie ist so herrlich normal.« Wie auch von anderen Heimbewohnern kennt Dorn die Familien, die Kinder ein wenig - wie auch die alten Leute von Dorns Kindern wissen. Im Laufe der Jahre entsteht ein Vertrauensverhältnis. Die 96-Jährige sei interessiert, schaue Nachrichten, hole sich Bücher aus dem Regal im Erdgeschoss. Einmal konnte sie ein Buch nicht weiter lesen, es ging um Gewalt gegen Frauen. Aber sie wollte unbedingt wissen, ob der Täter am Ende bestraft wurde - Dorn las das Buch zu Ende und konnte sie beruhigen. »Frau Jacobitz ist sehr hilfsbereit, holt zum Beispiel mal für jemanden anders den Rollator.« Gefallen haben der Seniorin auch die Weihnachtsbäume und die »schöne Weihnachtsfeier« im letzten Jahr. »Und niemand sagt mal Dankeschön«, meinte sie damals zu ihrer Tochter Uta. »Das kannst du ruhig an die Zeitung schreiben.«

Dorn wollte ursprünglich Krankenschwester werden. 1996, nach ihrem Schulabschluss, weckte ein Praktikum ihr Interesse an der Altenpflege. Nun arbeitet sie schon 20 Jahre in der Bansiner Straße. So kennt sie auch Jacobitz, seit diese hier einzog. »Anfangs war sie noch sehr selbstständig, hat sich ganz allein versorgt. Sie ging noch häufig in die Cafeteria zum Essen.« Im Zuge von Pandemiemaßnahmen wurde dieser Bereich geschlossen.

»Es entsteht eine ganz andere Bindung, wenn wir die Lebensgeschichte der Menschen hier kennen. Die Zeit, auch mal zu quatschen, muss einfach sein.« Die examinierten Pflegekräfte können das selten leisten, das ist eher der Auftrag der Alltagsbegleiterinnen. »Das gab es früher nicht und ist eine Entlastung für die Fachkräfte.« Dorn ist verantwortlich für die Pflegeplanung, für alles, was in Sachen Gesundheit und Arztbesuchen geregelt werden muss. Belastend wird ihre Arbeit durch immer höhere Ansprüche in der Pflegeplanung. So muss etwa einmal wöchentlich ein Begutachtungsbogen für jeden Heimbewohner ausgefüllt werden, entsprechend den Anforderungen des Qualitätsmanagements und den Ansprüchen der Pflegekassen. Zuviel solcher Bürokratie trägt laut Dorn dazu bei, dass sie für die einzelnen Pflegebedürftigen weniger Zeit hat. »Vor allem dann, wenn ich drei Situationen gleichzeitig bewältigen muss.« Etwa, wenn im Wohnbereich die Arztbesuche des Tages alle gleichzeitig stattfinden.

Fünf Pflegeassistenten gibt es außer den drei Fachkräften und den beiden Alltagsbegleiterinnen, die für die Bedürfnisse von 22 Menschen im Wohnbereich da sind. Teils fühle es sich, auch durch das gute Verhältnis untereinander, fast an wie in einer Wohngemeinschaft. Oder wie in einer zweiten Familie. Dorn erzählt zum Beispiel, dass Jüngere vor Jahren im Freiwilligen Sozialen Jahr in das Heim kamen und heute einen Wohnbereich leiten. »Für die körperlich schweren Arbeiten haben wir Hilfsmittel - und wir helfen uns gegenseitig.« Wenn ihr nach der Schichtübergabe noch etwas einfällt, ruft sie durchaus noch mal die Kollegen an. Also alles nicht so schlecht, aber: »Mehr Geld wäre schon gut.« Am Ende des Monats bleibe vom Verdienst »plus minus null«.

Ebenfalls im Wohnbereich lebt der 72-jährige Bernd Draber. Seit vier Jahren wird er im Pflegewohnzentrum versorgt. Der große, füllige Mann wirkt älter als er ist, er sitzt im Rollstuhl, erklärt, was mit seinen Knien ist und dass er Parkinson hat. »In der Physiotherapie laufe ich auch ein Stück, einmal den Gang herunter. Aber dann bin ich völlig k.o.« Dennoch strahlt Draber eine große Gelassenheit aus: »Hier haben sie mir wieder auf die Beine geholfen.« Zuletzt in der eigenen Wohnung war er bettlägerig. Nur mit ambulanter Pflege war seine Versorgung nicht mehr zu sichern. Das Lebensende war das jedoch noch nicht, wie die meisten erwartet hätten. Nein, mit regelmäßiger Physio-, Ergo- und Logopädie konnte Draber wieder selbstständiger werden. Eine Wundschwester sorgte dafür, dass sein Dekubitus, die aufgelegenen Stellen am Körper, wieder abheilten. Mit dem Elektrorollstuhl macht der Rentner größere Runden in dem Wohngebiet, in dem er bis vor einigen Jahren selbst noch lebte. Er fährt einkaufen. Und er ist gern mit dem Mobildienst in Berlin unterwegs, lässt sich zum Tegeler See oder zum Wannsee bringen, besucht Bekannte. Einiges davon ist in den langen Pandemiemonaten zu kurz gekommen. Quarantänezeiten machten es noch schlimmer.

Leasingkräfte kennen Bewohner kaum

Draber freut sich dennoch seines Lebens: Stolz zeigt auf Bilder von seinen Reisen und auf Teile seiner Flaggensammlung. Zu diesem Hobby hat er schon einen Vortrag im Heim gehalten - der interessierte auch seine Mitbewohnerin Jacobitz. Sein Zimmer jetzt sei für ihn groß genug, er konnte eigene Möbel aufstellen. Und am besten: Seine Lebensgefährtin wohnt nebenan, sie haben ein sogenanntes Schmetterlingszimmer, eine kleine Wohneinheit, die mit einem gemeinsamen Vorraum vom langen Flur abgetrennt ist. Zuvor war Draber sein Leben lang Single. Nach einem schweren Unfall vor 50 Jahren konnte er nur noch im Sitzen arbeiten. Von Wassersport und Camping hielt ihn das nicht ab; noch heute schreibt er Bekannten Briefe und versucht, sie trotz der Pandemieauflagen zu treffen.

Wohnbereichsleiterin Jacob wollte eigentlich nie in die Altenpflege, aber vor 15 Jahren fand die examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin keine Stelle in einer Klinik. So kam sie in die Bansiner Straße, seit 2014 ist sie Wohnbereichsleiterin. Die 38-Jährige sorgt dafür, dass die Bewohner ihren Alltag auch bei schwindender Selbstständigkeit bewältigen können. »Die Herausforderung ist, ihre Ressourcen zu fördern - auch wenn es mal länger dauert.« Manchmal sei das Problem, dass Menschen mit der Idee ins Heim kämen, alles würde jetzt für sie gemacht. Das sind alles Fremde, heißt es zudem anfangs. Aber dann legt sich die Skepsis, sie finden Anschluss. Zwei Betreuungsassistentinnen können mit auf Ausflüge gehen, ein Kleinbus steht dafür bereit. Trotz der Corona-Situation versuchte Jacob mit ihren Kolleginnen und Kollegen, Normalität in das Leben mit Masken und Tests zu bringen. Fast täglich gebe es Angebote, Auftritte von Chor oder Blaskapelle, Abgesandte eines Kleintierhofes kommen zu Besuch. Nur in Quarantänezeiten muss das meiste ausfallen, neben dem Coronavirus war das Heim in diesem Jahr bereits vom Norovirus betroffen.

Die üblichen Probleme der Pflege machen keinen Bogen um die Einrichtung. Es fehlen auch hier Mitarbeiter. Bei Bedarf werden Leasingkräfte eingesetzt. Die kennen die Bewohner nicht, können nicht so gut auf deren Bedürfnisse eingehen. Und, das bereitet den Stammkräften großes Unbehagen: »Sie verdienen so viel mehr.« Auch Jacob befürchtet, dass die bessere Vergütung Kollegen aus der Belegschaft herausziehen könnte. Was sie an ihrem Beruf mag: Die verschiedenen Lebensgeschichten der Menschen, die ein hohes Alter erreicht haben. »Wenn sie auch nicht mehr so fit sind - sie waren auch einmal jung, sie haben sehr viel erlebt.« Auch wenn bei einigen die Schrecken des Krieges dazu gehören, denkt Jacob trotzdem: »Die meisten hatten ein gutes Leben.« Pflegeeinrichtungen können dazu beitragen, dass ein solches Leben im Guten endet: In einer Umgebung, in der Menschen beruflich Verantwortung übernehmen, wo Bedürfnisse respektiert und auch Wünsche erfüllt werden. Das ist nicht alles, was im Alter gebraucht wird, aber schon viel.

Übrigens findet der eingangs genannte Pflegeprofi-Wettbewerb alle zwei Jahre statt, die nächste Runde startet 2023. Die Konzeption soll überdacht werden, schrieb der ausrichtende Verband an Marina Kreisel und bedankte sich für ihre Hinweise. Sie könnten helfen, die Bedeutung der Altenpflege wieder stärker herauszustellen.

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