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Einer der wenigen Helden
Paul Auster hat die Biografie von Stephen Crane, einem seiner Vorbilder, verfasst - eine lange, wichtige Flammenrede
Jede Zeit und mit ihr jede Literatur hat ihre Flammenköpfe, das heißt Rasende, die rauschend, rasant und fulminant durch sie hindurcheilen, als könnten sie sich in sie einbrennen. Dass sich ihre unbändige Antriebskraft und Rastlosigkeit oft einem prometheischen oder sisyphusartigen Leiden - einer inneren Unruhe angesichts der allzu begrenzten Erdenzeit - verdankt, ist das Tragische, das ihr Leben mit nur noch mehr Faszination begleitet.
Es ist seltsam, dass das Werk häufig in Gefahr gerät, vergessen zu werden, wenn die Flamme dieser Personen verloschen ist. Ebenso seltsam ist es, dass bei der Verteidigung des Werkes häufig das Biografische unterschätzt wird - so, als ginge es darum, die eine Flamme gegen die andere zu verteidigen.
Paul Auster, der Meister des Verwirrens und Verwickelns von Realität und Fiktion, geschickter Erzähler autobiografischer, biografischer und autofiktionaler Geschichten, Lyriker und Übersetzer, hat eine flammende Biografie von Stephen Crane vorgelegt. Sie ist 1200 Seiten lang und erscheint rund 120 Jahre nach Cranes schrecklich frühem Tuberkulose-Tod mit 28 Jahren.
Indem Auster die verdienstvolle Aufgabe übernimmt, die Flamme Cranes wieder zu entfachen, gibt er diesen gleichzeitig als einen seiner literarischen Helden zu erkennen. Er preist ihn als »Amerikas Antwort auf Keats und Shelley, auf Schubert und Mozart«. Wichtig ist ihm dabei, dass er nicht als Wissenschaftler und Experte auftritt, sondern als Leser und Autor, denn nicht die Wissenschaft hat Crane vergessen, sondern die Allgemeinheit.
Wenn Auster gegen Ende seines Buches davon spricht, dass es Zeit ist, Stephen Crane »aus seinem Grab zu holen«, dann auch, weil es ihm darum geht, mit Crane zu zeigen, dass wir Solidarität und Miteinander nötiger haben als Krieg und Kapital. Auster lässt seinen Helden auferstehen, indem er ihn zum Protagonisten einer langen, abenteuerlichen Erzählung macht.
Crane kam unerwartet in die Welt. Der Abstand zu seinen 13 Geschwistern im stark vom Methodismus geprägten Elternhaus war so groß, dass er gezwungen war, sich die Welt auf eigene Faust zu erschließen. Schnell bemerkt er die Unaufrichtigkeiten und Ungerechtigkeiten um sich herum, ein Ausgrenzen und Ausbeuten der Armen und Fremden. Die Welt Ende des 19. Jahrhunderts, die Auster nachzeichnet, ist nicht die prunkvolle des Fin de Siècle, sondern eine der Ignoranz, der Wut und der Korruption.
Crane besitzt nicht nur den unerschütterlichen Glauben an Gerechtigkeit, er besitzt auch den verständnisvollen Blick für das Kleine und Schwache, ein unstillbares Fernweh und die starre Überzeugung, etwas erleben zu müssen, um darüber schreiben zu können. Da er nur vom Schreiben - und vom Schreiben allein - leben will, ist er gezwungen, von der Hand in den Mund zu leben, was ihn in die Gesellschaft derjenigen führt, die ebenso wie er um ihr Überleben kämpfen: Künstler, Prostituierte, Bergarbeiter, Seemänner, Soldaten.
Dieser nicht enden wollende Kampf ums Überleben schlägt sich in seinen journalistischen Arbeiten ebenso nieder wie in seinen zahlreichen literarischen Texten. Es ist verblüffend, mit wie viel Feuer und künstlerischer Reife Crane mit Texten wie »Maggie«, »The Red Badge of Courage« oder »George’s Mother« die literarische Bühne betritt. Wie Auster ausführlich, aber nie langatmig zeigt, entwickelt Crane eine distanzierte Erzählperspektive, die Bilder wie aus einer Kamera aneinanderreiht, ohne ein Urteil über das Tun und Leiden der Leute zu liefern, die seinen Blick kreuzen.
Als großer Wurf entpuppt sich rasch die Kriegsgeschichte »The Red Badge of Courage«, die Hemingway »eins der besten Bücher unserer Literatur« nannte, eine brillante Demaskierung dessen, was es bedeutet, in den Krieg zu ziehen, ein hoffnungsloses Sichverlieren in Mutlosigkeit, Verrat und Hilflosigkeit.
Diese Art des »reinen Erzählens«, die den Lesern nicht vorschreibt, was sie von den Ereignissen und Geschehnissen zu denken haben, und die die Möglichkeit gibt, zu eigenen Urteilen zu gelangen, macht Crane schlagartig berühmt. Doch weder behagt ihm diese Bekanntheit, noch schwächt sie seine Überzeugung, er werde eines frühen Todes sterben, noch kann er sich davon etwas kaufen. Seine Unfähigkeit, mit Geld umzugehen, wird ihn bis zum Ende begleiten.
Sie ist auch dann noch eine kalte und unbarmherzige Gefährtin, als er mit der aufopferungsvollen Cora Taylor in England einen neuen Lebensabschnitt begonnen und eine neue künstlerische Reife erlangt hat, die sich in Erzählungen wie »The Monster«, »The Blue Hotel« oder »The Open Boat« zeigt. Dabei schildert Auster die permanente Geldnot als eine den Hals zuschnürende Kraft, die auch Schriftstellerfreunde wie Joseph Conrad fest in Beschlag hält und die ihn letztlich das Leben kosten wird.
Es ist beeindruckend, wie genau Auster das rasante Leben Cranes nachzeichnet, wie er dessen Spuren zurückverfolgt, seine journalistischen Berichte erläutert, die häufig Kriegsberichte sind, und wie er, die literarischen Arbeiten erklärend, diese selbst zur eigenen Erzählung macht, die häufig das Erzählte spiegelt. Wenn er über Crane schreibt, »sein immer wachsames Auge ist ständig in Bewegung, in einem Absatz geht es um ein winziges Detail, im nächsten um ein ganzes Panorama«, dann gilt dies auch für Auster selbst.
Der junge Wallace Stevens bemerkte im Anschluss an die zur Farce geratene Trauerfeier Stephen Cranes: »Es gibt wenige Heldenverehrer. Und daher wenige Helden.« Auster zeigt sich als glänzender Heldenverehrer. Ihm ist eine wichtige, gründliche und trotz ihrer Länge sehr lesbare Biografie gelungen, die auf wunderbare Weise über ihren Gegenstand hinausgeht. Sie ist ein flammendes Plädoyer für Bildung, soziale Gerechtigkeit und offenes Miteinander, denn »wir alle sind füreinander verantwortlich, und wenn wir diese Verantwortung nicht übernehmen, wird das Leben auf Erden zur Hölle. Das war Cranes bedeutendste Erkenntnis. Kein amerikanischer Schriftsteller seither hat jemals etwas formuliert, das darüber hinausreicht.«
Paul Auster: In Flammen. Leben und Werk des Stephen Crane. A. d.amerik. Engl. v. Werner Schmitz. Rowohlt, 1200 S., geb., 34 €.
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