- Berlin
- Abriss bezahlbarer Wohnungen
Abreißen für die Rendite
Die Aktionswoche Mietenwahnsinn widmet sich unter anderem dem Thema Wohnraumvernichtung
Diesen Freitag beginnt in Berlin die Aktionswoche Mietenwahnsinn. Bis zum Samstag der Folgewoche werden zahlreiche Demonstrationen, Aktionen und Diskussionen die wohnungspolitische Debatte in den Mittelpunkt stellen. Ein besonderer Schwerpunkt der Woche aus Anlass des europäischen Housing Action Day am Samstag, bei dem es auch in zahlreichen deutschen Städten Demonstrationen geben wird, ist in Berlin das Thema Abriss. »Es ist die günstigste Methode, neues Betongold zu schaffen, indem man alten Wohnraum zerstört und hochpreisig baut«, sagt Kim Meyer vom Berliner Bündnis Mietenwahnsinn zu »nd«. »Jedes neue Haus ist eine Klimakatastrophe. Ein nachhaltiges Haus ist eines, dass 100 Jahre alt ist«, so Meyer weiter. »Das Mantra Bauen, Bauen, Bauen schützt keine einzige Bestandsmieter*in, sondern bietet nur den Besserverdienenden eine Anlagemöglichkeit und zerstört dabei noch die so wichtige grüne Infrastruktur durch Abriss und Versiegelung«, heißt es im Aufruf zur Aktionswoche. Damit stehen die Initiativen diametral den Vorstellungen der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) entgegen. Die Mieterbewegung wird sich daher auch diesen Freitag an der Fridays-for-Future-Klimademonstration beteiligen.
In Berlin ist die Anzahl der Abrissanträge in den vergangenen Jahren gestiegen, wie die Antwort der Stadtentwicklungsverwaltung auf eine Schriftliche Anfrage des Linke-Wohnungsexperten im Abgeordnetenhaus, Niklas Schenker, zeigt. Wurden 2018 noch Anträge für den Abriss von 369 Wohnungen gestellt, waren im Jahr 2021 bereits 516 Wohnungen betroffen. Insgesamt wurden in den vier Jahren 1724 Anträge gestellt, von denen rund 60 Prozent genehmigt worden sind. Für 420 weitere Wohnungen sind sogenannte Negativatteste ausgestellt worden, denen zufolge für einen Abriss keine Genehmigung nötig ist.
Das ist der Fall, wenn es sich beispielsweise um Wohnheime handelt. Einen speziellen Fall stellt auch der Abriss mehrerer Häuser in der Tegeler Straße im Weddinger Mettmannkiez dar. Dort möchte der Chemiekonzern Bayer sein Werksgelände erweitern. Da die Fläche bereits seit Jahrzehnten als Gewerbegebiet ausgewiesen ist, greift laut Bezirksamt Mitte das Zweckentfremdungsverbot nicht. »Im Falle der Beantragung einer gewerblichen oder industriellen Nutzung an der Stelle des Wohnens kann hier das Wohnen planungsrechtlich nicht gesichert werden«, erklärt der Bezirk auf die Schriftliche Anfrage der Linke-Abgeordneten Niklas Schenker und Tobias Schulze. Ein namhafter Jurist widerspricht im Gespräch mit »nd« jedoch dieser Ansicht. »Wenn es einmal eine Baugenehmigung als reguläres Wohnhaus gegeben hat, dann greift das Zweckentfremdungsverbot und Ersatzwohnraum muss zur Verfügung gestellt werden«, erklärt er. Für zwei Wohnhäuser ist der Abriss genehmigt, nur die zunächst unzulänglich durchgeführte naturschutzrechtliche Untersuchung, ob Fledermäuse in bereits entmieteten Häusern wohnen, stoppte die Bagger zunächst. Für die restlichen Häuser konnte Bayer nach Ansicht des Bezirksamts bisher »nicht plausibel« darstellen, warum der Abriss jetzt notwendig ist.
»Die Bestrebungen der Bayer AG, ohne ersichtliche Gründe die intakten Wohnhäuser abzureißen, sind ein Skandal. Die vom Bezirksamt zu verantwortenden kurzfristigen Einladungsfristen für die Sitzungen Runder Tische und die Weigerung, eine unabhängige Moderation zu gewährleisten, machen das Verfahren zur traurigen Farce«, sagt die Grünen-Wohnungspolitikerin Katrin Schmidberger zu »nd«. »Die Gründerzeithäuser abzureißen für womöglich eine Baustellenzufahrt, ist nicht nur gegenüber den Mieter*innen unverantwortlich, sondern insbesondere auch angesichts des Klimawandels politisch nicht akzeptabel«, unterstreicht Schmidberger.
»Der Abriss von Wohnraum ist in Zeiten von Wohnungsnot und Klimakrise ein Riesenskandal. Der starke Anstieg von Abrissanträgen ist ein Warnsignal«, sagt Niklas Schenker zu »nd«. »Viele Abrisse passieren leider still und heimlich. Häuser werden nach und nach entmietet, verbunden mit jahrelangem Leerstand. Umso wichtiger sind Initiativen, wie in der Habersaathstraße oder dem Mettmannkiez«, sagt Schenker. In der Habersaathstraße in Mitte hatte die Initiative Leerstand Hab-ich-saath zum Jahreswechsel erreicht, dass Obdach- und Wohnungslose in die jahrelang leer stehenden Wohnungen einziehen konnten. Doch die Regelung gilt nur bis April. Der Investor möchte weiterhin abreißen und hochpreisig neu bauen.
Abrisspläne gibt es auch am Kreuzberger Hafenplatz in unmittelbarer Nachbarschaft des Potsdamer Platzes. Bereits 2017 entfiel die Bindung der in den 1970er Jahren errichteten Sozialwohnungen. Der stufenförmige Hauptbau soll erhalten werden, die Bebauung entlang der Köthener Straße abgerissen werden. Ein Bauvorbescheid erlaubt den Neubau von mehreren fünf- bis siebgeschossigen Gebäuden.
Die Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksverordnete Gaby Gottwald (Linke) hat herausgefunden, dass beim dem Komplex und Vorhaben, für das noch keine Baugenehmigung beantragt worden ist, neben Projektentwickler Artprojekt nun auch die Hedera Bauwert von Geschäftsführer Ioannis Moraitis involviert ist. Man habe sich zu einer gemeinsamen Projektgesellschaft zusammengeschlossen, heißt es von der Hedera. »Ein Typ, den ich seit vielen Jahren beobachte«, sagt Gottwald zu »nd«. Die Kündigung des Gemüseladens Bizim Bakkal im von ihme gekauften Haus Wrangelstraße 77 führte zur Gründung der inzwischen stadtweit bekannten Initiative Bizim Kiez. Aufteilen, entmieten, verkaufen, so sah das Geschäftsmodell aus. Seit einiger Zeit befasse sich »gar nicht mehr mit der Sanierung von Bestandsgebäuden«, heißt es. Luxussanierungen habe man auch in der Vergangenheit nicht durchgeführt, »weil wir Wohnungen nach Ankauf stets im ›Rohzustand‹ an potentielle Eigentümer verkauft«, so Moraitis.
Hohen Leerstand gibt es auch am Hafenplatz in Kreuzberg. An den Adressen Köthener Straße 29 bis 32 betrifft es laut einer noch nicht veröffentlichen Antwort des Bezirksamts auf Anfrage von Gottwald ein Wohnheim. Dort greift die Zweckentfremdung nicht. Für 78 Wohnungen in der Köthener Straße 28 und am Hafenplatz 6 und 7 laufen noch Verfahren. Teilweise seien Mietverträge vorgelegt worden, aber noch keine Mietzahlungen belegt, heißt es vom Amt. Für die Neubauten gibt es keinerlei Verpflichtung zur Errichtung von Sozialwohnungen.
»Die Vorschriften im Zweckentfremdungsverbotsgesetz reichen offenbar nicht aus, um Abrisse unattraktiv zu machen«, konstatiert Niklas Schenker. Dazu droht die Mietobergrenze von 7,92 Euro pro Quadratmeter für Ersatzwohnraum gerichtlich aufgehoben zu werden. Ein Urteil wird für den Sommer erwartet. »Das könnte Abrissgeschehen weiter anheizen. Dafür müssen Vorkehrungen getroffen werden. Es braucht einen gesetzlich verankerten Abrissstopp«, fordert Schenker.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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