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Unter Hetzern
Vier Monate lang infiltrierte der unabhängige Journalist Vincent Bresson die Kampagne Éric Zemmours. Dabei geht es um offen praktizierten Rassismus und Kollaborationen mit Neonazis. Der als Wahlkämpfer getarnte Journalist enthüllt, wie Zemmour auf Stimmenfang geht
Ich bin offensichtlich schlecht, was politische Prognosen angeht«, sagt Vincent Bresson, freier Journalist, der unter anderem für Zeitungen wie »Le Monde« oder »Street Press« arbeitet. Niemals hätte der 27-Jährige mit Trump an der Spitze der amerikanischen Regierung gerechnet, und genauso heftig trifft ihn der Schock, als im September und Oktober 2021 auf einmal die Umfragewerte für Éric Zemmour, rechter Kandidat bei den französischen Präsidentschaftswahlen, durch die Decke gehen. 15 Prozent der französischen Bürger hätten dem Autor Zemmour zu diesem Zeitpunkt ihre Stimme gegeben. Ein enormes Ergebnis für den politischen Neuling. Bisher war er vor allem für rassistische, misogyne und antisemitische Äußerungen in TV-Auftritten und in seinen Büchern bekannt. Für einige wurde er angezeigt und wegen Volksverhetzung rechtskräftig verurteilt.
Das wirft Fragen auf. Bresson will wissen: Wer sind diese Menschen, die ihn wählen würden? Und mit welchen Methoden erarbeitet sich ein solcher Kandidat realistische Chancen auf das französische Präsidentschaftsamt?
Vincent Bresson trägt eine Brille mit dunkler Fassung, Drei-Tage-Bart und Wuschelfrisur. Er ist ein unauffälliger Typ. Perfekt für eine verdeckte Recherche. Er schließt sich unter dem Pseudonym Vincent Carayon der »Génération Z« (Z für Zemmour) an. Eine Armee von jungen, intelligenten und eifrigen Pro-Zemmour-Aktivisten, »die die Wahlkampf-Maschinerie am Laufen halten«. Sie sind zwischen 18 und 30 Jahre alt, Digital Natives, fast immer weiß, katholisch und haben einen klassischen französischen Namen. So wie er. »Sie sind zahlreich und entschlossen«, schreibt er in seinem Buch und taucht in das rechtsradikale Universum ein. »Ich habe es nur meiner Freundin gesagt. Meine Eltern haben aus Sicherheitsgründen erst am Vorabend der Publikation des Buches davon erfahren«, sagt Bresson.
September. Ein paar Klicks auf der offiziellen Website der aktivistischen Gruppe, ein paar Unterhaltungen auf dem Messengerdienst Discord - und wenige SMS und eine Einladung für einen verschlüsselten Telegram-Chat später ist Bresson beziehungsweise Carayon Teil der »GenZ«. »Es war eigentlich erschreckend leicht. Es gab keine Kontrolle, ob ich auch wirklich der bin, für den ich mich ausgebe«, sagt er.
Es dauert nicht lange und Bresson kleistert die ersten Zemmour-Plakate in Nacht-und-Nebel-Aktionen an die Mauern der schicken Pariser Viertel. Bereits bei diesen ersten Begegnungen mit seinen Kameraden wird klar, welcher Ton hier die Musik macht. Das N-Wort wird ohne Skrupel genutzt, kein Einwand, nicht mal ein Stirnrunzeln. Als ein Schwarzer Fahrer den jungen Aktivisten die neue Lieferung an Flyern und Plakaten aushändigt, kommen Bemerkungen wie: »Wenn der wüsste, was er da transportiert hat«, und die Gruppe lacht.
Das Doppelleben wird für Bresson zur Belastung. Eines Abends geht er mit seinem Bruder, grün-links politisiert, im selben Viertel essen, in dem er später mit der »GenZ« Plakate aufhängt. Das Risiko beim Rollenwechsel erkannt zu werden, war hoch. Vincent Bresson ist gelegentlicher Partyraucher, doch nach ein paar Wochen in der Haut von Vincent Carayon raucht er Kette. »Ich bin normalerweise jemand, der natürlich und schnell auf Dinge reagiert. Doch während der Infiltrierung war ich ständig am Kalkulieren und Abwägen, was ich sagen muss, wie ich reagieren muss, um in meiner Rolle zu bleiben. Ich hatte große Angst, es könnte schiefgehen.«
Eine »sehr nette« Mission
Nach knapp einem Monat ist er Mitglied in zwölf Telegram-Gruppen und antwortet auf viele der Aufrufe, die nach freiwilligen Helfern fahnden. »Suchen Aktivisten für eine Nacht in Paris. Das wird euch interessieren, ich zähle auf euch. (eine sehr nette Mission ;)) Bitte privat antworten«, lautet eines dieser Gesuche. Auch diesmal stellt sich Vincent Carayon als Freiwilliger zur Verfügung.
In dieser »sehr netten Mission« geht es um nichts weniger, als das Wahlkampfbüro und Hauptquartier der »GenZ« im 8. Arrondissement zu hüten. Vor Ort übernachten, sicherstellen, dass sich niemand unbefugten Zutritt verschafft - vor allem keine schnüffelnden Journalisten - und in einem Heft Uhrzeit und Name notieren, wenn andere Mitglieder vorbeikommen. Und einfach so findet sich ein Undercover-Journalist alleine mit den Schlüsseln zum Dreh- und Angelpunkt eines potenziellen zukünftigen Präsidenten wieder. Doch in den Dokumenten zu wühlen kommt für Bresson nicht infrage. Er will die Rolle des Beobachters spielen, nicht die eines Saboteurs.
Kolloboration mit Schlägertrupps
Die Undercover-Mission wird zum Vollzeitjob. Vincent Bresson ist nun nicht mehr nur Teil der »Twitter-Wache«, einer Gruppe, die Twitter nach unerwünschten Kommentaren, vertraulichen Informationen oder sonstigen Erwähnungen in Verbindung mit Zemmour durchkämmt. Die Operation »Wikizédia« hat die Aufgabe, Wikipedia zu »zemmourisieren«, das heißt: Die Wikipedia-Seite zu seinen Gunsten umzuschreiben. Wörter wie »radikal«, »rassistisch« und ähnliche verschwinden zu lassen und Pro-Zemmour-Content unauffällig zu streuen und zu verlinken. Diese Aktion wird aber nicht von irgendwelchen stümperhaften Schreiberlingen durchgeführt. Samuel Lafont, Direktor für digitale Strategie in der Zemmour-Kampagne, leitet diese »Einheit«, in der beispielsweise jemand unter dem Pseudonym »Cheep« arbeitet. Dieser »Cheep« ist auf Platz 64 der Top-Schreiber der französischen Wikipedia - ein angesehener Account, der seit mehr als 15 Jahren tätig ist und über 150 000 Artikel verfasst oder ergänzt hat.
Mit seinen Kameraden tourt Vincent Carayon durch Frankreich, immer an den Fersen Zemmours, um bei dessen Auftritten, den »Meetings«, dabei zu sein. Im Dezember, bei einer dieser Kundgebungen in Villepinte, einem Vorort nordöstlich von Paris, eskaliert die Situation. Menschen schreien, Stühle fliegen durch die Luft. »Die Antworten auf meine Frage, was der Grund für diese Gewaltausschreitungen sei, überraschten mich. Man sprach von ›legitimer Gewalt‹ und ›Provokation‹.«
Was genau geschah, kann nicht rekonstruiert werden. Nachdem Bresson mit der Polizei gesprochen hat, wird klar: Aktivisten des Vereins SOS Racisme, die sich eingeschleust hatten, wurden von Mitgliedern der Zouaves Paris (ZVP), einer gewaltbereiten rechtsextremen Gruppierung, die Nazi-Ideologien verbreitet, heftig attackiert. Eine Videoaufnahme zeigt das blutüberströmte Gesicht einer Aktivistin. Ob die ZVP zum Treffen eingeladen war, ist nicht belegt. Allerdings existiert eine weitere Aufnahme, in der zu hören ist, wie sich ein »GenZ«-Aktivist für »den guten Job« bei der ZVP bedankt.
Kurz vorm Jahreswechsel hält Éric Zemmour ein Meeting ab, um allen Aktivisten für ihren Einsatz zu danken und ihnen einen guten Rutsch ins neue Jahr zu wünschen. Bei dieser Gelegenheit schießt Vincent Bresson ein Selfie, Arm in Arm mit »le Z«, wie ihn seine Anhänger nennen. Danach steigt er aus, arbeitet den ganzen Januar an seinem Buch, das Mitte Februar 2022 erscheint. Seit der Publikation hat sich einiges verändert. Die Administratoren von Wikipedia gerieten unter Druck und beschlossen durchzugreifen. Sie verbannten einige der Schreiber von der Plattform und erhöhten die Sicherheitsstandards der Seite Zemmours, um »einen Editierkrieg zu vermeiden«.
Im rechtsextremen Labor
Von Lyon aus breitet sich ein nationalistischer Kulturkampf in ganz Frankreich aus
Aktuell versucht Bresson im Hintergrund zu bleiben. Er sei vielleicht ein bisschen paranoid, sagt er, versucht aufzupassen, »wobei ich nicht weiß, wie nötig das wirklich ist«. Aber sicher ist sicher. Er schaut wenig bis gar nicht in die Messenger seiner Social-Media-Kanäle, um sich selbst zu schützen. Es gibt die Nachrichten voller Hass und Drohungen, aber auch andere, die nur um ein Gespräch bitten. Er antwortet nicht. Das 8. Arrondissement meidet er. Ansonsten beantwortet Bresson die vielen journalistischen Anfragen, die er seit der Publikation erhält. Das Interesse ausländischer Medien übersteigt aber deutlich das der französischen, sagt er. Zemmour fasziniert offenbar über Landesgrenzen hinaus.
Ob er sein Ziel erreicht hat? »Die ganze Sache ging sehr viel weiter als gedacht. Ich glaube, diese Informationen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, die ich aber während meiner Recherche zutage fördern konnte, sind wichtig, für die Bevölkerung, die bald wählen wird.«
Wen wird Vincent Bresson selbst im April wählen? Niemanden, sagt er. Auch wenn er nicht glaubt, dass purer objektiver Journalismus möglich ist, will er zumindest versuchen, so neutral und unabhängig wie möglich zu bleiben. »Andernfalls könnte ich politische Themen nicht so behandeln, wie ich es jetzt tue.«
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