Figurenvielfalt

Zwei Bildhauer: Gerd Jaeger und Wilfried Fitzenreiter

  • Peter H. Feist
  • Lesedauer: 5 Min.
Figürliche Plastik ist - so wie entsprechende Malerei - wieder im Kommen. Ihre Autoren sind zwar eine Minderheitsfraktion unter den Kunstproduzenten und haben es außerdem aus verschiedenen Gründen immer schwerer beim Publikum als Maler, aber niemand sollte mehr sagen, dass sich die menschliche Gestalt als ein Anliegen von Bildhauern endgültig erledigt habe. Sie bleibt uns Menschen einfach zu interessant, zu wichtig. Die Berliner Kunsthandelsgalerie am Gendarmenmarkt vertritt diese Position seit längerem sehr wirkungsvoll und unterstreicht das zur Zeit mit einer Ausstellung des Dresdener Bildhauers Gerd Jaeger, der am Sonntag seinen 80. Geburtstag begeht. Außerdem wird hier von einem weiteren ostdeutschen Bildhauer die Rede sein, der tags darauf 75 Jahre alt wird, ohne dass bei ihm auf eine aktuelle Ausstellung verwiesen werden kann. Beide haben jahrzehntelang das Ihre beigetragen, um hierzulande Niveau und Ansehen der Bildhauerkunst zu festigen. Von Jaegers staunenswerter Produktivität, die sich in den neunziger Jahren auch auf die Malerei ausdehnte, kann nur eine begrenzte Auswahl geboten werden. Vorwiegend kleinere Plastiken in Bronze oder Zement und Zeichnungen bzw. Aquarelle machen seine in viele Richtungen gehende Formerkundungen seit den fünfziger Jahren bis 2005 nacherlebbar. Jaeger studierte nach Krieg und Gefangenschaft in Weimar und Dresden, wurde Assistent bei Walter Arnold und dann dessen Nachfolger bis 1994 in der Ausbildung von Bildhauern an der Dresdener Hochschule. Die in der DDR maßgebliche Kunstauffassung begünstigte zwei Anliegen, die von jeher für die Gattung Plastik bzw. Skulptur im Mittelpunkt standen: die Wiedergabe der menschlichen Gestalt und des Antlitzes und eine breite Wirkung in den öffentlichen, gesellschaftlich genutzten Raum hinein, was Bildstoffe verlangt, die eine für die Gesellschaft wichtige Bedeutung haben. Von Jaegers Arbeiten für den öffentlichen Raum sei hier nur an die fünf zweiflügeligen Türen zum Dresdener Kulturpalast mit flachen, figurenreichen Reliefs zur Geschichte dieser Stadt erinnert, die 1967-69 entstanden. In der Ausstellung finden sich neben einigen frühen Porträts vor allem Beispiele für die lebhafte Suche des Bildhauers nach gestalterischen Mitteln, die frische Aufmerksamkeit auch für geläufige Themen wecken konnten. Die internationale Moderne wurde nach Anregungen abgefragt. Das setzten Künstler gegen skeptische, abgrenzende Bedenken durch. Aus der zweiten Hälfte der sechziger Jahre sind mehrere gleichzeitig entstandene, Bewegung suggerierende Aktfiguren und hauptsächlich Torsi zu vergleichen, die verschiedene Grade und verschiedene Arten der Verformung der natürlichen Erscheinung erprobten und den menschlichen Körper in verschiedenen Haltungen als Aussagemittel über Grundsituationen unserer Existenz zum Sprechen bringen. Bei solcher stilistischen Mannigfaltigkeit blieb es auch später, ebenso wie bei einem motivischen Nebeneinander von Lebensbejahung und dem Mitempfinden mit dem Leid von Gewaltopfern. Eine »Sitzende auf hohem Sockel« von 1979 erinnert mit ihren üppigen Brüsten und Schenkeln an prähistorische Fruchtbarkeitsidole, der »Schrei« aus dem Folgejahr ist ein schrundig modellierter, schwankend liegender Torso irgendeines Gemarterten, und bei der »Aufrechten Figur mit geneigtem Kopf« von 1990, die einem Gekreuzigten ähnelt, kommt eine scharfkantige Expressivität hinzu. Thematische Festlegung durch Werktitel wird vermieden. Das Vertrauen in die Ausdruckskraft einer konstruktiven und dynamischen gegenstandslosen Formbewegung zeigt sich in neueren graphischen Arbeiten, wie auch in Malereien. Jaeger nahm logischerweise an dem Wettstreit von Künstlern innerhalb der Kunstszene der DDR um Lösungen für verwandte Probleme teil. Einzelnes ähnelt Arbeiten von Wieland Förster, der sich seinerseits in seiner Laudatio zur Ausstellungseröffnung der Ermutigungen erinnerte, die er bei Studienbeginn durch Jaeger erfuhr, als Andere noch einen sehr engen, dogmatischen Realismus erzwingen wollten. Der fünf Jahre jüngere Wilfried Fitzenreiter kam aus einer anderen Schule als Jaeger und schlug andere Wege ein, wobei viele Anliegen dennoch übereinstimmten. Der als Steinmetz Ausgebildete, daher technisch ganz Sichere studierte in Halle bei Gustav Weidanz und Gerhard Lichtenfeld und war Meisterschüler Heinrich Drakes in Berlin, wo er seither freischaffend lebt. Nur einige Jahre lang unterrichtete er auch an der Hochschule in Berlin-Weißensee, konnte aber den dort vorherrschenden Auffassungen bald nicht mehr zustimmen. Von Anfang an war ihm die gründlichst studierte griechisch-antike Plastik die Leitschnur seiner Kunstauffassung. Dort fand er eine einzigartige und kulturhistorisch erstmalige Genauigkeit im Erfassen der Funktionen von Gelenken und Muskeln, harmonische Proportionen und auch plastisch präziseste Ornamentik. Fitzenreiter liess sich nie beirren durch expressive Umformungen, die außer-europäischer oder »primitiver« Kunst entlehnt werden konnten. Dabei vermied er weitgehend die vom »klassischen« Erbe drohende glättende Idealisierung, weil er auch bei lebensgroßen Aktfiguren strikt vom individuellen Modell ausging, und weil er nach lebhafter Bewegung seiner Gestalten strebte. Die konnten dann vor allem in Reliefs auch etwas überlang und überschlank geformt sein. Seine realistische Absicht benötigte keine vordergründig politischen Themen. Er setzte auf den Wert des sportlich kräftigen oder des erotisch anziehenden Körpers, z.B. mittels des traditionsreichen Stoffes vom Schönheitsurteil des Paris. Erst die Erfahrungen nach der Wende in Deutschland ließen Fitzenreiter kritisch und polemisch werden. Dazu bleiben ihm nur Kleinplastiken, die gern Gegenwartsfragen mittels antiker Motive kommentieren, und vor allem kleinste Reliefs. Er hat seit seiner Studienzeit Plaketten, Medaillen und sogar Gemmen, winzige Edelsteinschnitzereien, die schon rein handwerklich wahre Wunderwerke sind, zu einem besonderen Arbeitsfeld gemacht. Porträts, die zu Jubiläen in Auftrag gegeben werden, und neuerdings geradezu karikaturistische Bildeinfälle gegen aktuelle Untaten wie Kosovo- oder Irakkrieg, die den speziellen Sammlern dieser Kunstgattung angeboten werden, entstehen in reicher Fülle. Sie hätten mehr Aufmerksamkeit, mehr Ausstellungsmöglichkeit verdient, als ihnen derzeit zuteil wird. Gerd Jaeger, Galerie am Gendarmenmarkt, Berlin-Mitte, Taubenstr. 20, bis 7.10., Mi-So 14-20 Uhr.
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