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  • Antisemitismus und Israel

Bedingter Universalismus

Klaus Holz und Thomas Haury registrieren ein unglückliches Bewusstsein unter Linken gegenüber Israel

  • Peter Ullrich
  • Lesedauer: 4 Min.

Schon der Titel ist für »Israelkritiker« sicherlich eine Provokation: Antisemitismus gegen Israel. Doch wer undifferenzierte analytische Grobschlächtigkeit wie im berüchtigten 3 D-Test auf Dämonisierung, Delegitimierung und doppelte Standards vermutet, wird enttäuscht. Klaus Holz und Thomas Haury gehören seit Jahrzehnten zu den profundesten Kennern des Antisemitismus und seiner antiisraelischen Ausprägungen, doch nicht zu denen, die jede spitze Kritik, auch faktische falsche und überzogene, in rein moralischer statt analytischer Kommunikation einfach dem Antisemitismus zuordnen.

Die beiden Autoren begreifen Antisemitismus als eine spezifisch moderne, wenngleich gegen die Moderne gerichtete, Sinnstruktur, deren antijüdisches Feindbild vor allem eine Funktion für die Stabilisierung des Selbstbildes als Wir-Gruppe hat. Inhalt des Buches ist die Analyse der Fälle, in denen die Sicht auf Israel diese Muster reproduziert. Das ist auch bei Israel und dem Zionismus gegenüber distanzierten Positionen keineswegs zwingend, aber leider auch nicht selten, und vor allem die politischen Lager übergreifend, immer wieder der Fall. Holz und Haury nehmen in ruhigem und sachlichem Ton einige für die aktuellen Diskussionen um Antisemitismus dezidiert zugespitzte Positionen ein.

Gegen die Rede vom »neuen Antisemitismus« betonen sie, dass die Struktur des judenfeindlichen Weltbildes konstant ist, auch wenn sie sich an neue Gegebenheiten anpasst oder vor neuen Legitimationsherausforderungen seht. Ebenso ist auch der postnazistische Antisemitismus - »sekundären Antisemitismus« nennt ihn die Forschung häufig - ihrer Ansicht nach kein anderer, sondern strukturell der gleiche, der mit den gleichen Methoden eine neue Problematik bearbeitet: das Schuldabwehrbedürfnis. Zu diesen Mustern gehört die alte Täter-Opfer-Umkehr: Judenfeinde sehen sich selbst als Opfer der Juden. National gesinnte Deutsche bedienen sich dieser Umkehr angesichts der Rechtfertigungsproblematik des Antisemitismus durch Auschwitz, aber neu ist sie keineswegs.

Wir finden sie auch schon in seiner Frühzeit im 19. Jahrhundert. Hier kommt aber Israel ins Spiel: mit der Täter-Opfer-Umkehr in Israel die neuen Nazis auszumachen, passt für den Antisemitismus »geradezu perfekt«, so Holz und Haury. Dass das dämonisierte Gegenüber als jüdisch und als nationalsozialistisch gebrandmarkt wird, macht die Position in verschiedenen politischen Spektren anschlussfähig.

Konstanz betrifft auch weitere Aspekte: der Antisemitismus war schon von Anfang an einer jüdischen Nationalbewegung und (potenziellen) Staatlichkeit gegenüber grundsätzlich feindlich eingestellt, auch wenn es strategische positive antijüdische Bezugnahmen auf den Zionismus gab und gibt. Diesen stellen die Autoren sachlich, nüchtern und korrekt in seiner bis heute konstitutiven und tragischen Ambivalenz vor: als Befreiungsbewegung und Nationalismus/Kolonialismus, also in seinen eng verwobenen emanzipatorischen und antiemanzipatorischen Aspekten. Allerdings - dies ist eine der spannendsten Thesen des Bandes - führe die Bindung des antisemitischen Musters an einen spezifischen Kontext, an einen realen Konflikt mit einer mehr oder weniger »jüdischen Seite«, dazu, dass der Weltanschauungscharakter des Antisemitismus - also seine Tendenz, alles ungeliebte Moderne verschwörungstheoretisch zu erklären - abgeschwächt wird.

Die einzelnen Kapitel widmen sich dem postnazistischen Antisemitismus, dem Antisemitismus von links, dem islamistischen Antisemitismus, der (antirassistischen) Identitätspolitik, dem christlichen Antijudaismus und der neuen Rechten. Spannend für die linke Debatte ist der Fluchtpunkt der Reflexionen der beiden Autoren: Sowohl im identitätspolitischen, postkolonialen Antirassismus als auch in Teilen der Antisemitismuskritik machen sie ein entfremdetes »unglückliches Bewusstsein« aus, das universalistischen Befreiungshoffnungen entgegensteht.

Es besteht in der Unfähigkeit, die Begrenztheit des eigenen Standortes kritisch zu reflektieren und die je andere Kritik dialektisch mitzudenken. Verdeutlicht wird dies an Judith Butler, die im Buch anhand ihrer Texte als klar nicht antisemitisch, aber zugleich unfähig zu einer Diagnose und Kritik des Antisemitismus vorgestellt wird. Spiegelbildlich dazu stehen die ebenso identitätspolitischen antideutschen oder israelsolidarischen Linken.

Dem setzen Holz und Haury einen »bedingten Universalismus« entgegen, der einen antisemitismuskritischen und rassismuskritischen Imperativ in der gegenseitigen Bedingtheit der beiden notwendig enthalten müsse. Dem kann man sich nur anschließen und zur Lektüre des ausgewogen und doch Standpunkt beziehenden, äußerst anregenden Werks auffordern.

Klaus Holz/Thomas Haury: Antisemitismus gegen Israel. Hamburger Edition, 424 S., geb., 35 €.

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