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Wissenschaft: Unerwünschtes Wissen
Wer braucht noch Forschung? Dem TV ist sie zu öde. Trump schafft sie ab. Und Christian Drosten hat keinen Bock mehr, der Esel zu sein
Christian Drosten war in Deutschland der präsenteste Wissenschaftler der Pandemie. Das war er nicht grundlos: Für Corona-Viren ist er einer der führenden Experten weltweit. Was er in Interviews oder im vom NDR produzierten Podcast »Corona-Update« erklärte, war Stand der Dinge, was die Forschung anbelangt. Er erklärte es so, dass auch Lai*innen es verstehen konnten, und versuchte nichtsdestotrotz, nicht unterkomplex zu bleiben. Das war eine Gratwanderung, die ihm oft, aber nicht immer gelang. Es ist auch Drosten zu verdanken, dass Deutschland gut durch die erste Welle kam, die – man vergisst es schnell – so viele Opfer gefordert hat in anderen Teilen der Welt.
In einem aktuellen Podcast der »Zeit« sagt Drosten nun, dass er mit dieser Erfahrung die Arbeit nicht mehr auf sich nehmen würde, die deutsche Öffentlichkeit aufzuklären. Sein Leben, sagt er, würde niemals wieder so werden wie vor der Pandemie. Für seine Arbeit hat er persönlich einen hohen Preis bezahlt: Er ist nicht nur online immer wieder angegangen worden. Er wurde im Urlaub angegriffen, im Beisein seiner Familie.
Menschlich ist es zu verstehen, dass Christian Drosten das Wohl des eigenen Zirkels über das einer Öffentlichkeit stellt, die sich für Wissenschaft interessiert. Es ist ein verheerendes Zeugnis für diese Öffentlichkeit, für diese Gesellschaft, dass sie ihre kompetentesten Wissenschaftler*innen zum Schweigen verdammt. Drosten deutet in dem Podcast an, wann und warum er sich anders entschieden hätte: Gerade die Interventionen von Leuten, die so getan hätten, als wären sie Corona-Experten, es aber nicht waren, haben direkt auf sein Hasskonto eingezahlt. »Man fragt sich schon: Warum muss man das auf sich nehmen, wenn man im Nachhinein von den unqualifiziertesten Seiten attackiert wird, aus den unqualifiziertesten Gründen, und man sich kaum dagegen verteidigen kann. Man macht sich ja nur zum Esel, warum sollte man das tun?« Unschwer zu erkennen, wer damit gemeint ist, auch wenn Drosten die Namen nicht nennt: Jonas Schmidt-Chanasit, Klaus Stöhr und vor allem Hendrik Streeck lagen derart oft fundamental daneben, dass die Frage erlaubt sein muss, was sie sich eigentlich davon erhofft haben. Erreicht haben sie immerhin eine Erschütterung des Glaubens an wissenschaftliche Erkenntnis: Ein System, das solche Experten hervorbringt, kann nicht viel taugen.
Angefüttert wurden diese Experten von jenem Medienbetrieb, der nicht der Wirklichkeit verpflichtet ist, sondern diskursiv agiert: Es müssen auch andere Meinungen zugelassen werden. Deswegen erschienen die drei Genannten so oft in Artikeln: nicht als worst case der Wissenschaft, sondern als legitime fundierte andere Meinung. Dass ihre Meinung oft hinten und vorne niemals zusammenhielt, ist aus dieser Perspektive unerheblich. Es geht nicht um die Wahrheit, die ist eh nie zu erlangen. Es geht auch nicht um eine Wirklichkeit, die zu erlangen sehr viel Mühe kostet. Es geht um Öffentlichkeit. Und nichts beschädigt die Wissenschaft mehr, als wenn die Öffentlichkeit merkt, dass manche selbsternannte Experten in ihrem Bedürfnis zu scheinen – nichts sind. Und dafür noch nicht einmal bestraft werden mit allgemeiner Verachtung, sondern ihre Karriere fortführen dürfen. Sie brauchen aber diese Position im Medienbetrieb, um Drittmittel zu akquirieren.
Anders als in den USA, wo Wissenschaft tatsächlich unter hohem politischen Druck steht und die Identitätspolitik der Rechten die Freiheit der Forschung nicht nur bedroht, sondern wirklich abschafft, ist die Krise in Deutschland (noch) nicht umfassend: Die seit 2014 jährlich erhobene Umfrage »Wissenschaftsbarometer« offenbart über diesen Zeitraum ein stabiles Vertrauen der Bevölkerung in die Forschung. »55 Prozent der Befragten«, heißt es in der Evaluation für 2024, »vertrauen voll und ganz oder eher Wissenschaft und Forschung. Der Anteil an Befragten, der Wissenschaft und Forschung eher nicht oder gar nicht vertraut, liegt bei neun Prozent.«
Es gibt allerdings einen Ausreißer: 2021, also in jenem Jahr, als die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie alle Lebensbereiche betrafen, lag die Anzahl jener, die der Forschung eher nicht oder gar nicht vertrauten, bei 13 Prozent. Das deckt sich mit der aktuellen Studie »Trust in Science and Science-Related Populism« (TISP), die 72 000 Personen in 68 Ländern befragte. Demnach halten 75 Prozent der Befragten wissenschaftliche Methoden für den besten Weg, um herauszufinden, ob eine Aussage richtig oder falsch ist. Die Autor*innen konstatieren: »Die meisten Menschen vertrauen Wissenschaftler*innen und stimmen zu, dass Wissenschaftler*innen sich stärker in gesellschaftliche und politische Belange einmischen sollten.«
Es gibt derzeit also keinen prinzipiellen Vertrauensverlust in die Wissenschaft, weder global noch in Deutschland. Es gibt allerdings Zeichen dafür, dass das Vertrauen brüchig ist: Während der Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie sank die Zustimmung zu bestimmten Maßnahmen, die die Freiheit der Menschen einschränkten, teilweise drastisch; wobei sich hier die Frage stellt, ob es sich um eine reine Ablehnung konkreter Maßnahmen handelte oder ob das grundsätzliche Vertrauen in eine Politik erschüttert war, die ihr Handeln danach ausrichtete, auf keinen Fall die Wirtschaft und den Bereich der Arbeit zu beschränken, während der Bereich der Freizeit und der Kultur stark reguliert wurde.
Es ist überhaupt ein entscheidendes Problem, dass sich während der Pandemie politische Entscheidungsträger*innen bei unpopulären Entscheidungen hinter den Wissenschaftler*innen versteckten. Der Verweis auf Datenlagen, die keinen Spielraum mehr lassen, hat Letztere stark exponiert und sie auch ins Visier radikaler Kleingruppen gerückt. Dass Drosten jetzt die Bilanz zieht, er hätte sich nicht derart exponieren sollen, ist besorgniserregend, aber laut einer Untersuchung der Mainzer Kommunikationswissenschaftlerin Nayla Fawzi offenbar kein Einzelfall.
Es steht auch zu befürchten, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft diese im Zweifel nicht davor schützt, vollständig übergangen zu werden. Die rechtsextreme Doktrin der Trump-Regierung, die unter dem Credo, »woke Politik auszurotten« und »die amerikanische Tradition und westliche Zivilisation zu verteidigen«, aus allen Bereichen Geld abzieht, die nicht ideologisch konform sind, bedroht das Vertrauen der Amerikaner*innen in die Forschung. Der Kahlschlag betrifft dabei nicht nur einzelne Disziplinen, sondern den gesamten Bereich: Sowohl die Grundlagenforschung betreibende National Science Foundation (NSF) als auch die National Institutes of Health (NIH) sind gezwungen, Personal zu entlassen. Allein die NIH sollen vier Milliarden Dollar einsparen. Die Konsequenzen beträfen uns alle: »Die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden würde sich verzögern, die Möglichkeit, kommende Generationen führender Wissenschaftler*innen auszubilden, würde sinken«, konstatiert der Präsident der Harvard University, Alan Garber.
Angesichts der bevorstehenden Krisen sind das beunruhigende Aussichten.
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