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Das natürliche warme Gefühl des Mannes
Im neuesten Band der Wolfgang-Koeppen-Werkausgabe sind erstmals sämtliche seiner Feuilletontexte versammelt
Wolfgang Koeppen ist einer unserer größten Schriftsteller», teilte im Jahr 1971 die «Frankfurter Rundschau» mit: «Er ist es auch, weil er so lange geschwiegen hat und vielleicht noch lange schweigen wird.» Geschwiegen – im Sinne von: Keine Texte mehr für die Öffentlichkeit produziert – hat der große Schriftsteller dann noch bis zu seinem Tod. Im Jahr 1996 starb er im Alter von 89 Jahren.
Sieht man von Gesprächen und Interviews mit ihm einmal ab, war das Schweigen Koeppens über Jahrzehnte hinweg sehr laut. Als kritischer Dichter der Moderne, als welcher er vom Feuilleton gehandelt wurde, war er verstummt. Nach 1954 ist nie wieder ein Roman von ihm herausgekommen. Zwar schrieb er, dank Freunden, die beim Rundfunk arbeiteten, noch einige Reisereportagen fürs Radio, doch seine Produktivität als Romanautor war spätestens mit Beginn der 1960er Jahre versiegt. Sein von 1957 bis 1995 währender Briefwechsel mit seinem Verleger Siegfried Unseld, eine eindrucksvolle Dokumentensammlung, legt Zeugnis davon ab, wie es einem Schriftsteller, der nicht mehr schreiben will, gelingen kann, von immer wieder neu angekündigten, aber nie geschriebenen Romanen zu leben. 40 Jahre erhielt Koeppen von Unseld Honorarvorschüsse für einen Roman, der nie entstand.
Seine zwischen 1951 und 1954 publizierte Nachkriegs-Romantrilogie «Tauben im Gras / Das Treibhaus / Tod in Rom» zählt heute zum Kanon der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts, vor allem ihretwegen gilt Koeppen heute als bedeutender Autor. Er habe, sagte er selbst einmal, «diese Romane sehr, sehr schnell geschrieben, weil ich sie fertigbringen wollte». Sie sollen jeweils in wenigen Wochen entstanden sein. Bei ihrem Erscheinen trafen sie auf eine stockkonservative deutsche Leserschaft, die die Blut-und-Boden-Schinken und die Nazi-Trivialliteratur gewohnt war und mit der Moderne, mit literarischen Techniken wie der Montage, dem Bewusstseinsstrom und dem inneren Monolog, wenig oder gar nichts anfangen konnte. Hinzu kam, dass der Schriftsteller auch mit den Themen seiner Trilogie – den Wirren und dem Elend der Nachkriegszeit, der Verdrängung der NS-Verbrechen und der Restauration, die dafür sorgte, dass die Nazis wieder in Amt und Würden kamen – nicht gerade den Bedürfnissen der postnationalsozialistischen bundesdeutschen Gesellschaft entgegenkam.
Davon allerdings, was Wolfgang Koeppen in der Weimarer Republik und zu Beginn der NS-Zeit trieb und dass er in den 20er und 30er Jahren als Journalist äußerst produktiv war, war bis vor einigen Jahren nur wenig die Rede.
Der kürzlich herausgekommene Band 13 der auf 16 Bände angelegten Koeppen-Werkausgabe, die im Suhrkamp-Verlag erscheint, versammelt nun erstmals sämtliche feuilletonistischen Zeitungstexte, die der Autor in jungen Jahren verfasste. Koeppen, der keinen Schulabschluss hatte, arbeitete in den 1920ern zunächst «als Hilfskoch, Fabrikarbeiter, Platzanweiser oder auch als Prüfer von ›Osram‹-Glühlampen» (NDR) und wollte eigentlich zum Theater. Nur «aus Geldnot» habe er seinerzeit dann damit begonnen, sich «journalistisch zu betätigen», so teilte Koeppen einmal mit. In späteren autobiografischen Aufzeichnungen reflektierte er über diese Zeit: «(…) Berlin war liberal und provokant, ich wollte teilhaben, ich atmete diese Luft, Berlin entzückte den Kopf, aber es füllte den Magen nicht. Überall der letzte Schrei; doch ein junger Mensch galt nichts. Wovon leben? Es gab keine Möglichkeit eines Jobs. Und hätte es einen Job gegeben, Tausende wären ihm nachgelaufen.»
40 Jahre erhielt Koeppen von Unseld Honorarvorschüsse für einen Roman, der nie entstand.
Dem aufschlussreichen Kommentarteil des neuen Bandes ist zu entnehmen, dass der angehende Autor anfangs «mal für kommunistische, mal für Boulevard-Blätter geschrieben und sich damit durchgeschlagen» hat, bis er 1931 zunächst freier Mitarbeiter, später Feuilletonredakteur beim linksliberalen «Berliner Börsen-Courier» wurde, wo er überwiegend das «feuilletonistische Tagesgeschäft betrieb». Das heißt: Er schrieb Kurzreportagen, Buch- und Filmkritiken, Rezensionen von Kabarett- und Varieté-Premieren und Glossen, nicht selten ganz im schnoddrig-lässigen Ton der Neuen Sachlichkeit. Der Umstand, dass er seine Beiträge für die Abendausgabe der Zeitung meist bis zur Mittagszeit liefern musste, gab ihm «wenig Gelegenheit zum Prokrastinieren». Koeppen, der ja bekanntermaßen in seinen letzten drei Lebensjahrzehnten das Prokrastinieren zur Kunstform veredelte, war in seinen Journalistenjahren zum Verfassen eines Beitrags innerhalb einer festgelegten Zeit gezwungen: Nur «unter diesem Zwang und unter diesem Druck», so der Autor Jahre später, habe er ihn dann geschrieben.
Eine beispielhafte Passage aus einer langen Glosse aus dem Juni 1933: «Der gewöhnliche Berliner schläft bis zu den letzten fünf Minuten vor dem Beginn seiner Arbeit. In den fünf Minuten zwischen Aufstehen und Büro badet er, zieht er sich an, trinkt er Kaffee, liest Zeitung und fährt mit der Untergrund. Wer es anders hält, ist ein Irrer.»
Die frühe Zeitungszeit beim «Börsen-Courier» sei seine «fleißige Zeit» gewesen, so Koeppen Jahrzehnte später. «Ich schrieb über alles und viel (…) Es machte mir Spaß!» Politisch sei das Blatt «demokratisch-republikanisch-liberal» gewesen. «Und im Feuilleton waren wir, wie man damals sagte, ›kulturbolschewistisch‹.» Im Februar 1933, also jener Zeit, als die Nationalsozialisten ihre Macht sicherten, die Grundrechte außer Kraft setzten und Oppositionelle verhafteten, las Koeppen Musils Roman «Der Mann ohne Eigenschaften». Am 10. März erschien seine Rezension, in der er vom «Abenteuer» des Lesens schwärmt und vom Vergnügen, «sich einem Geist hinzugeben, den man nicht kennt». Der «Börsen-Courier», von den Nazis als «Judenblatt» betrachtet, wurde schließlich im Dezember 1933 mit der von der NSDAP kontrollierten «Börsen-Zeitung» zwangsfusioniert. Koeppen wurde entlassen.
1934 ließ er sich für ein paar Jahre in Holland nieder, schrieb und lebte von den Zuwendungen einer jüdischen Familie. 1938, als seine Gönner in die USA emigrierten, kehrte er ins Deutsche Reich zurück. «Für einen regimekritischen Autor, als den er sich später stilisiert, wäre das zu diesem Zeitpunkt Wahnsinn gewesen», kommentierte der Deutschlandfunk in einem Beitrag aus Anlass von Koeppens 100. Geburtstag. Tatsächlich habe der Journalist, der sich im NS-Staat dann als Drehbuchautor verdingte, sich «durch die Hitlerzeit durchgemogelt». Eine Lebensphase, die der Schriftsteller Jahrzehnte später geschönt hat, indem er sich zum Opfer stilisierte.
Dass Koeppen, wohl im Wesentlichen aus Karrieregründen, tatsächlich keinerlei Scheu hatte, sich mit dem Nazi-Regime zu arrangieren, zeigt sich in etlichen Artikeln, die der damals knapp 27-Jährige in den Monaten nach Hitlers Machtübernahme verfasste. Mehr und mehr floss das seinerzeit handelsübliche Vokabular der Zeit in seine Texte ein: «Scholle», «das Volk», «Dichtertum», «Vaterland», «das Schicksal Deutschlands», «die neue Zeit», «die Idee des Geistig-Nationalen». Über den heute vergessenen Kitschdichter, Lebensreformer und Waldschrat Emil Gött (1864–1908) schrieb er etwa: «Er war ein deutscher Dichter, ein Poet der Heimat und der Scholle», der «das Volk suchte, es über alles liebte und sein ganzes Dichtertum in seinen Dienst stellte». Aus völkischen Floskeln zusammengebaute Sätze, wie sie damals oft gedruckt wurden.
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Und in einem hymnischen Großporträt feierte Koeppen den «konservativen Revolutionär» Arthur Moeller van den Bruck (1876–1925), der maßgeblich den deutschen Faschismus ideologisch vorzubereiten half: «Seine Liebe war Deutschland, und sie war nicht nur das natürliche warme Gefühl des Mannes für sein Vaterland.» In dem vergleichsweise umfangreichen Beitrag würdigt er den Widerstand des völkisch-nationalistischen Historikers gegen den verhassten «liberalen Intellektualismus» und «Materialismus» und lobt dessen Vorbild Mussolini: «Moeller reagierte wie eine Antenne (…) Ein feines Gefühl zeigte ihm die Rasse im alten Volk.»
Was Koeppens opportunistisches Zeitungswerk angeht, gibt sich der Herausgeber des Bandes im Kommentarteil nachsichtig, spricht in eher verdunkelnden Worten von der «ideologischen Verunsicherung eines Mittzwanzigers in den Wechselbädern des metropolitanen Kulturlebens» und davon, dass «unter Hitler auch ein Journalist von der Hinterbank wie Koeppen» zu «Konzessionen» genötigt worden sei. Tatsächlich verliert Koeppen im Lauf des Jahres 1933 die Lust am Schreiben für ein unfreies Feuilleton. In einem auf Juni 1933 datierten Briefentwurf aus dem Nachlass heißt es: «Was ich hier mache, ist Dreck. Was ich machen will, ist mehr. (…) Ein guter Satz, ein wirklich guter Satz, kann das Ergebnis einer monatelangen Bemühung sein.»
Wolfgang Koeppen: Werke 13, Feuilletons. Herausgegeben von Jörg Döring. Suhrkamp, 721 S., geb., 58 €.
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