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Filmstar ohne Filme
Ist Lana del Rey eine Kunstfigur? Und wenn ja, wäre das schlimm?
Die Lippen, sind die echt? Die sehen doch aufgespritzt aus! Was ist überhaupt echt an ihr? Die Haarfarbe jedenfalls nicht. Und die Wangenknochen auch nicht. Ist nicht sie selbst ein Kunstprodukt? Eine Erfindung der Musikindustrie? Diese runtergekommene Branche verkauft ja schon lange keine Musik mehr, sondern nur noch Image.
Lana del Rey ist der lebende Beweis. Ein ehemaliges Model, deren Konterfei als Teenagerin auf der Einkaufstüte eines Modelabels geprangt hatte – neben dem von Kinderstar Lindsey Lohan. Darauf würden auch die musikalisch anspruchslosen Deutschen abfahren. In einem Land, in dem die Spitzenposition der Charts seit jeher in Abgründe wie »Cheri, Cheri Lady«, »Cotton Eye Joe« und »Schnappi, das kleine Krokodil« führt, hatte sie mit »Video Games« einen Nummer-eins-Hit gelandet. Von diesem Erfolg würde sie sich ihr Lebtag nicht erholen. Der klebte an ihr wie ein Kaugummi in einer Turnschuhsohle.
So dachte man 2012 über Lana del Rey. Dabei hätte ein Blick in die Credits genügt, um eines Besseren belehrt zu werden. Bei allen Songs ihres Durchbruchalbums »Born To Die« war sie als Autorin aufgeführt. Doch das wollte damals niemand wahrhaben. Einfacher war es, Lana del Rey in die »Sex sells«-Schublade zu stecken – schimmerte auf dem Cover nicht ein BH durch ihre Bluse durch? Sah sie nicht aus wie eine Femme fatale aus Hollywoods Schwarzer Serie? Als wäre sie einem Film Noir der 40er Jahre entsprungen – als Wiedergeburt von Ava Gardner (»Rächer der Unterwelt«), Veronica Lake (»Die blaue Dahlie«) und Barbara Stanwyck (»Frau ohne Gewissen«).
Und wenn genau das beabsichtigt war, was wäre daran schlimm? Kann man es einem Mädchen aus einem Wintersportort verübeln, dass sie von einer Welt träumt, in der nicht nur die Außentemperaturen, sondern auch die Gefühle weniger frostig sind? Sie hatte keine Lust mehr, Elizabeth Grant aus Lake Placid zu sein: »Ich wollte einen Namen, nach dem ich die Musik ausrichten konnte. Ich war damals oft in Miami und sprach viel Spanisch mit meinen kubanischen Freunden – Lana del Rey erinnerte uns an den Glamour der Küste. Es klang großartig, wenn es von der Zunge rollte.«
Sie wollte auch kein Model mehr sein und keine Sozialarbeiterin in einer Entzugsklinik. Ersteres war eine kaputte Traumwelt, Letzteres eine Welt der kaputt gegangenen Träume. Lieber erschuf Lana del Rey ihre eigene Welt. Diese ist – typisch für einen Menschen, der im Zeitalter der ewigen Retrowellen aufwuchs – ein Potpourri der Populärkultur. Da ist für Frank Sinatra und Nina Simone ebenso Platz wie für die Eagles und Nirvana. Weil ihre Musik von Anfang an wie ein Soundtrack klang, wundert es auch nicht, dass sie als Inspirationsquellen Federico Fellini, »American Beauty« und David Lynch nennt. Und Lauren Bacall, die Femme fatale aus dem Film Noir »Tote schlafen fest.«
Sie hat viel Fernsehen geschaut und alte Platten gehört – das prägt. »Ich war in den 50er Jahren noch nicht mal geboren, aber es fühlt sich an, als wäre ich dabei gewesen.« Natürlich ist Lana del Rey, die einen Bachelor in Philosophie hat, klug genug, um zu wissen, dass die »gute alte Zeit« keine gute war. Aber diese taugt zumindest als Projektionsfläche für all die Sehnsüchte und Mythen, die in der postmodernen Welt keinen Platz mehr finden. Denn die piefigen 50er waren ja auch die Jahre vor Vietnam, vor der Ermordung von Martin Luther King und den Kennedy-Brüdern, vor Watergate. Also die Jahre vor der großen Ernüchterung, von der sich Amerika bis heute nicht erholt hat.
Dann lieber zurück in die Zukunft. In ein Amerika, das so nie existiert hat. Das man nur aus Filmen kennt, die irgendwo im Niemandsland von Texas oder Arizona spielen. Dort, wo Zivilisation bedeutet, dass es in der Wüste ein Motel gibt. Einen Begegnungsort, an dem nicht nur Menschen, sondern auch Gefühle auf der Durchreise sind. Weshalb Liebe nie von Dauer ist. Sie ist jener kurze Moment des schwitzigen Glücks zwischen dem gerade überstandenen und dem bereits anrollenden Liebeskummer. Da kann man schon mal melancholisch werden. Oder besser noch: melancholisch bleiben. So wie Lana del Rey, für deren flirrende Wüstenmusik man ein eigenes Genre erfand: Hollywood Sadcore.
Ob dieser cineastische Sehnsuchtssound mal ein wenig dream-poppiger (wie auf »Honeymoon«), psychedelischer (wie auf »Norman Fucking Rockwell!«) oder folkiger (wie auf dem aktuellen Album »Blue Banisters«) klingt, ist unerheblich. Denn am Ende läuft im Kopfkino der Lana del Rey stets der gleiche Film – einer, den man immer wieder hören will.
Lana del Rey: »Blue Banisters« (Interscope)
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