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Die Zivilgesellschaft geht voran

Während Organisationen und Akteure vor Ort Hilfsbereitschaft zeigen, halten sich zuständige Behörden häufig noch zurück

Ankommen in Pandemiezeiten: Ein Corona-Schnelltest gehört zu den ersten medizinischen Maßnahmen auf dem Berliner Hauptbahnhof.
Ankommen in Pandemiezeiten: Ein Corona-Schnelltest gehört zu den ersten medizinischen Maßnahmen auf dem Berliner Hauptbahnhof.

Menschen, die vor dem Krieg aus der Ukraine flüchten, brauchen nicht nur Lebensmittel, ein Dach über dem Kopf, Ruhe und auch Möglichkeiten, zu arbeiten und zu studieren. Viele von ihnen benötigen zudem eine medizinische Versorgung – sei es, dass sie in ihrer Heimat durch den Krieg physisch oder auch psychisch traumatisiert wurden. Oder dass sie bereits vor der Flucht krank waren – oder alles zusammen.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Das haben Vertreter der Heilberufe, der Krankenhäuser und anderer Institutionen in den letzten Wochen erkannt und schnell mit Hilfsangeboten oder Erklärungen einer prinzipiellen Hilfsbereitschaft reagiert. So hat die Deutsche Krebsgesellschaft gemeinsam mit dem Netzwerk der Behandlungszentren der Deutschen Krebshilfe Unterstützung für onkologische Patienten signalisiert: Auf verschiedenen Webseiten sind Listen mit Kontaktadressen und Ansprechpartnern in 35 beteiligten Zentren in ganz Deutschland zu finden.

Zudem hat die Deutsche Krebshilfe einen Hilfsfonds mit 2,5 Millionen Euro eingerichtet, damit Patienten aus dem Kriegsgebiet auf den Beistand ihrer Angehörigen während der Therapie fern der Heimat nicht verzichten müssen. Dabei handelt es sich um eine Spezialisierung des vorhandenen Härtefonds, mit dem Menschen geholfen wird, die unverschuldet in finanzielle Not geraten sind. Der Fonds deckt bereits entstandene Reise- und Aufenthaltskosten sowie sonstige Ausgaben von Familienmitgliedern der Patienten schnell und unbürokratisch ab. Übernommen werden von der Deutschen Krebshilfe Kosten in Höhe von bis zu 5000 Euro pro Patient. »Mittlerweile liegen uns über 20 Anträge dazu vor, die Zahl steigt stetig«, erläutert Marion Stark von der Deutschen Krebshilfe dem »nd« auf Anfrage. Die reinen Behandlungskosten werden auf der Basis der in Deutschland üblichen Versorgung von Kriegsflüchtlingen gedeckt.

Zudem meldeten sich täglich Menschen über den Informations- und Beratungsdienst »Infonetz Krebs« telefonisch oder per Mail. Das sind entweder eingereiste Krebserkrankte, deren Angehörige oder Familien aus Deutschland, die Geflüchtete aufgenommen haben. Die Fragen laufen unter anderem darauf hinaus, wohin sich Betroffene für die Behandlung wenden können oder wie die Versorgung mit Medikamenten sowohl in der Ukraine als auch in Deutschland sichergestellt werden kann.

Nach mehr als vier Wochen Krieg in der Ukraine ist absehbar, dass auch traumatisierte Menschen ihr Land verlassen. Für sie könnten die Angebote des Zentrums Überleben in Berlin hilfreich sein. Hier steht ein Team von Fachleuten aus Medizin, Psychotherapie, Psychologie, Physio- und Kreativtherapie sowie Sozialer Arbeit bereit, um Überlebende von Gewalt und Flucht zu unterstützen. Erfahrungen mit diesen Themen hat das Zentrum und sein Vorgänger, das Behandlungszentrum für Folteropfer, seit 30 Jahren gesammelt. »Das ist nicht der erste Konflikt, mit dessen Folgen wir zu tun haben«, berichtet Malgorzata Symonowicz. Sie ist Psychologin und arbeitet seit 12 Jahren für die Einrichtung. Sie sieht ausgehend von der reinen Zahl der Geflüchteten einen hohen Hilfebedarf, da sei langer Atem nötig. »Unsere Kapazitäten waren auch vor diesem Krieg schon knapp«, erklärt Symonowicz.

Dennoch hat das Zentrum seine Angebote erweitert. Zum einen gibt es eine telefonische Sprechstunde für Geflüchtete aus der Ukraine. Dabei kann Beratungsbedarf geklärt werden, um später Therapien am Zentrum wahrzunehmen. Telefonischen Rat können sich auch Haupt- und Ehrenamtliche holen, die Geflüchtete betreuen oder beruflich mit ihnen zu tun haben. Für letztere Gruppen sind auch Schulungen geplant. Sie können sich zu Fragen der traumasensiblen Arbeit beraten lassen. Ein weiteres Angebot gibt es für Ärzte, Therapeuten oder Sozialarbeiter aus der Ukraine, die ihre geflüchteten Landsleute psychosozial behandeln und unterstützen wollen.

Für die Versorgung der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine allgemein gilt, dass sie nicht auf freiwillige Initiativen angewiesen sind. Sie haben auch Ansprüche – unter anderem auch auf Hilfen zur gesundheitlichen Versorgung. Das Wort Hilfen in diesem Zusammenhang weist darauf hin, dass es sich noch nicht um einen Anspruch entsprechend dem von hier gesetzlich Versicherten handelt. Zuständige Leistungsträger sind die Kommunen, in der Regel deren Sozialämter. Auch im Fall der Flüchtenden aus der Ukraine greift das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Hinzu kommt eine Bestimmung aus dem Sozialgesetzbuch, wonach die Bundesländer Vereinbarungen mit den Krankenkassen treffen können, die Krankenbehandlungen von Geflüchteten ermöglichen. Laut dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen bestehen derartige Vereinbarungen bereits in mehreren Bundesländern, darunter auch in Berlin, Brandenburg und Thüringen. Dadurch können Abläufe vereinfacht werden: Auch Krankenkassen können Behandlungsscheine ausstellen, die sonst nur von den zuständigen Ämter der Kommunen zu erhalten sind. Mit einem solchen Schein kann dann ein Arzt aufgesucht werden.

Bis sich das für die neue Gruppe von Geflüchteten einspielt, wollten unter anderem Kassenärzte in Berlin nicht warten. Mehr als 500 Berliner Praxen haben sich schon Anfang März bereit erklärt, Geflüchtete aus der Ukraine kostenlos zu behandeln. Dem hatten sich auch KV-Notdienstpraxen und der fahrende Bereitschaftsdienst angeschlossen, ebenfalls einige medizinische Labore. Mittlerweile sind es schon 700 Praxen, die hier mitmachen. Unter diesen Patienten sind ältere Menschen mit chronischen Erkrankungen, Schwangere und auch Personen, die Medikamente benötigen oder eine Dialysemöglichkeit suchen, fasste Burkhard Ruppert von der Berliner Kassenärztlichen Vereinigung die ersten Erfahrungen aus den Praxen zusammen.

Ein weiteres Gesundheitsproblem zeichnet sich bei den Schutzimpfungen ab: Nicht nur gegen Corona sind viele der Geflüchteten nicht ausreichend geimpft, auch der Impfschutz gegen Masern oder Polio ist häufig nicht vorhanden. Trotz dieser Anhaltspunkte für viele zusätzliche Patienten scheint der Berliner Senat keine Eile zu haben, mit der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin endlich einen Vertrag zur Kostenübernahme zu unterzeichnen. Die KV wartet bereits seit mehr als zwei Wochen darauf.

Bei allen Appellen zu Hilfsbereitschaft und auch angesichts der freiwilligen Angebote von Organisationen und Einrichtungen wirkt das Handeln von Behörden, Bund und Ländern bislang relativ unentschlossen angesichts der neuen Nachfrage nach medizinischer Versorgung. Erst am Montag dieser Woche haben sich die Gesundheitsminister von Bund und Ländern darauf verständigt, Geflüchteten aus der Ukraine einen schnellen Zugang zur medizinischen Versorgung zu ermöglichen.

Laut deren Beschluss sollen insbesondere medizinische und pflegerische Behandlungen, die durch die Flucht unterbrochen wurden, schnellstmöglich wiederaufgenommen werden. Demnach soll es zusätzliche Festlegungen zu Behandlungsberechtigung, Finanzierung und Abrechnung geben. Ein konkreter Zeitpunkt dafür wurde allerdings nicht genannt. Zumindest als Thema tauchte bei diesen Beratungen der Wunsch der Länder auf, die bestehende Impfinfrastruktur weiter nutzen zu können. Dort sollen Geflüchtete neben der Corona-Schutzimpfung auch andere Impfangebote erhalten. Gebraucht wird unter anderem Impfstoff für die Masernschutzimpfung. Diese Immunisierung ist nach der gesetzlichen Lage hierzulande Voraussetzung dafür, dass Kinder Schule und Kita besuchen können.

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