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Herrschaftsarchitektur zur See

Durch die Maßnahmen gegen russische Oligarchen sind plötzlich Megajachten auf allen Kanälen präsent. Was hat es mit dem Mythos um die Luxusschiffe auf sich?

  • Georg Leisten
  • Lesedauer: 6 Min.

Manche wurden tatsächlich festgesetzt, andere sind ohne Zielhafen auf dem Meer verschwunden. Die Rede ist von den Megajachten russischer Oligarchen. Im Zuge der Sanktionen, die westliche Staaten wegen der Ukraine-Invasion gegen Vertreter des Putin-Staates verhängt haben, gerieten auch deren private Vergnügungsschiffe ins Visier. Während auf Mallorca ein ukrainischer Matrose versucht hat, den Freizeitkahn eines russischen Waffenhändlers zu versenken, blockierten Demonstranten im türkischen Mittelmeerhafen Bodrum die »Solaris«. Sie gehört dem Multimilliardär Roman Abramowitsch. Wladimir Putin selbst dagegen gilt als möglicher Eigner der »Scheherazade«, die zuletzt vor der toskanischen Küste lag.

Immer wieder Jachten! Dass die Medien den Schiffspark der russischen Finanzaristokratie offenbar interessanter finden als deren westliche Geschäftsverbindungen oder Bankschließfächer, überrascht nur auf den ersten Blick. Konzentrieren sich doch im Bild der Jacht alle Auswüchse einer obszön gewordenen Ungleichheit: Rund 850 Millionen Euro soll beispielsweise die »Eclipse«, ein weiteres Riesenboot aus Abramowitschs Privatflotte, gekostet haben, womit der Wert höher liegt als das durchschnittliche Bruttosozialprodukt kleiner pazifischer Inselstaaten. Zugleich verbrauchen die technisch hochgerüsteten Wasserfahrzeuge so viel Energie wie ein Hochhaus – all das ausschließlich für den Ferienspaß einer einzigen Person!

Die heutigen Kolossaljachten, wie sie sich keineswegs nur Rubel-Fürsten bauen lassen, sind diskrete Gefährte. Durchschnittstouristen kommen an die Liegeplätze kaum noch heran. Dabei stand das Wort Jacht ursprünglich einmal für ein ganz anderes Lebensgefühl: für sportliche Fairness sowie eine Oberschicht, die bescheiden auftritt und sich das Abendessen selbst aus den Wellen fischt. Zumindest in der seglerischen Variante. Sofort steht einem der sonnengebräunte John F. Kennedy an Bord seiner »Manitou« vor Augen. Oder Grace Kelly und Bing Crosby in »Die oberen Zehntausend«, wie sie auf der Jacht »True Love« das gleichnamige Liebeslied in die Abenddämmerung hauchen.

Vor diesem Hintergrund entstand auch der Genrebegriff des Yacht Rocks in der Popkultur. Fleetwood Mac oder The Doobie Brothers gelten als Vertreter des besagten Mischstils, der in den 70er Jahren an der US-Westküste entstand und ein kalifornisches »Take it easy« feiert. Musikkritiker Diedrich Diederichsen deutet die eher softeren Yacht-Rock-Beats als Ausdruck eines Wertewandels innerhalb der Hippie-Generation. Die Weltrevolution war abgesagt, jetzt stand privater Lebens- und Liebesgenuss hinter verspiegelter Sonnenbrille auf der Tagesordnung. Entspannter Wohlstand ohne Allüren, nicht weit entfernt vom Normalverdiener. Aber genau diese Zurückhaltung haben die zeitgenössischen Megajachten bewusst aufgegeben. Ein testosteronstrotzender Milliardär will kein einfacher Freizeitkapitän mehr sein. Ihm geht es darum, einzuschüchtern und die Absolutheit der eigenen ökonomischen Macht auch auf dem Wasser repräsentiert zu wissen.
Meist markieren die Kapitalistenkähne in den Jetset-Häfen von Monaco, Marbella oder Mykonos schon farblich einen Unterschied zu prosaischen Frachtern oder Fischerbooten. Eine Jacht hat so strahlend weiß in der Sonne zu glänzen wie das exklusive Anwesen des Besitzers an Land. Denn die Jacht ist eine schwimmende Villa. Zeichnet sich dieser Bautyp doch durch eine räumliche Isolation aus, die im Gegensatz zur urbanen Enge steht.

In einer Sternstunde der ideologiekritischen Kunstwissenschaft bezeichneten Reinhard Bentmann und Michael Müller die Villa als »Herrschaftsarchitektur«. Deren Erbauer brächten eine Haltung zum Ausdruck, welche »die sozialen Konflikte in der Stadt verdrängt durch eine Flucht aufs Land«. Ein Phänomen, das sich bereits in der Antike beobachten ließ. So unterschied der römische Architekturtheoretiker Vitruv zwischen einer »Villa rustica« und einer »Villa suburbana«. Erstere ist die ältere Form und war ein bäuerliches Gut, das praktisch-landwirtschaftliche Zwecke erfüllte. Zweitere hingegen diente dem gut betuchten Patrizier als Refugium. Bezeichnenderweise fällt die Blütezeit der römischen Erholungsvilla mit den härter gewordenen Standesunterschieden am Tiber zusammen.

Eine solche Entwicklung von der Zweckgebundenheit zum räumlich distanzierten Vergnügungsort beobachtet man auch bei der Jacht. Deren historische Urform ist das »Jagschiff« der frühen Neuzeit. »Jagen« hat man hierbei im Sinne von »eilen« zu verstehen, da sich besagtes Wasserfahrzeug vorwiegend durch seine Schnelligkeit definierte. Ihre Bestimmung fanden Jagschiffe im militärischen Bereich oder bei der Zollkontrolle. Bei der Übermittlung wichtiger Nachrichten kamen sie ebenfalls zum Einsatz.

Auch der europäische Adel schätzte die Vorzüge der flinken Boote. Anfangs nutzte er sie nur für dringende Dienstreisen, später jedoch als Freizeitgefährt. Eine frühe deutsche Quelle, die den Wandel vom Nutz- zum Vergnügungsschiff belegt, stammt übrigens vom Bodensee. Der Konstanzer Fürstbischof Damian Hugo Philipp von Schönborn-Buchheim gab 1742 den Bau eines Jagschiffes in Auftrag, welches er unter anderem zu seiner Zerstreuung benötige.

Ab da dauerte es allerdings noch anderthalb Jahrhunderte, bis die Jacht zum Statussymbol der Oberschicht wurde. Schriftsteller wie der französische Romancier und passionierte Segler Guy de Maupassant verbreiteten die Freuden der maritimen Lustfahrt auch literarisch. Industrielle Großbürger und gekrönte Häupter verbrachten die Sommerfrische um 1900 gern auf den eigenen Planken. Dass erst der globale Turbokapitalismus die Dimension der Sonntagssegelei hochgetrieben hat, stimmt nicht ganz. Bereits die »Hohenzollern« von Kaiser Wilhelm II. maß über 100 Meter.

Je einflussreicher der Besitzer, desto mehr Aufgaben muss die Jacht erfüllen. Tankerkönig Aristoteles Onassis etwa hat auf seiner legendären »Christina O« nicht nur verschwenderische Partys mit Maria Callas und Jackie Kennedy gefeiert, sondern von dort auch Teile seiner internationalen Geschäfte organisiert.

Das Onassis-Schiff (eine umgebaute Fregatte der kanadischen Marine) fügte dem Mythos der Jacht eine neue Dimension hinzu, die am eindrücklichsten vom Kino artikuliert wird: Aus der schwimmenden Firmenzentrale des griechischen Reeders macht der Film ein autarkes Schaltzentrum für den Griff nach der Weltmacht. Im James-Bond-Klassiker »Feuerball« (1965) plant Bösewicht Largo von Bord der Jacht »Disco volante« aus, die Staatengemeinschaft mit geraubten Atombomben zu erpressen.

Womit wir wieder zurück in eine Gegenwart kommen, in der nicht nur die Realität die Fiktion inspiriert, sondern auch die Fiktion die Realität. Roman Abramowitschs »Eclipse« könnte tatsächlich einem 007-Streifen entsprungen sein. Mittels Laserstrahlen wehrt der Rumpf neugierige Fotografen ab, zusätzlich befinden sich ein Raketenabwehrsystem und ein Mini-Flucht-U-Boot an Bord.

Global agierende Superreiche, die sich ausstatten wie größenwahnsinnige Agentenfilmschurken. Wohl auch wegen dieser unterschwelligen Parallele sind momentan alle medialen Augen auf die Schiffe der putintreuen Oligarchen gerichtet. Denn deren paramilitärisches Gebaren befeuert noch die Furcht, der Ukraine-Konflikt könnte zu einem dritten Weltkrieg eskalieren. Gut möglich, dass Abramowitsch und Co. tatsächlich für den apokalyptischen Fall Vorsorge treffen wollten. Auf einem hochseetauglichen Domizil, das Lebensmittelvorräte für Jahre gebunkert hat, könnte man noch am ehesten dem nuklearen Inferno davonfahren. Schon in der Bibel gab es ein Schiff für das Ende der Welt.

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