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Gegen die Weltherrschaft des Kapitals
Eine historische Einmaligkeit: Vor 100 Jahren kamen im Berliner Reichstag die Vertreter der drei Internationalen der Arbeiterbewegung zu einer Konferenz zusammen
Das Treffen war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert: Zum ersten Mal seit 1914 kamen Repräsentanten der verschiedenen Richtungen der Arbeiterbewegung zu einer gemeinsamen Konferenz zusammen. Schon deshalb wurde die Beratung der bevollmächtigten Vertreter der drei Internationalen, die vom 2. bis 5. April 1922 in den Räumen des Reichstages in Berlin stattfand, nicht nur von der Arbeiterpresse mit großer Aufmerksamkeit beobachtet. Auch die bürgerlichen Zeitungen berichteten ausführlich.
Die Initiative zu dieser Konferenz war von der IASP ausgegangen, der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Parteien, die wegen ihrer politischen Verortung zwischen der II. (sozialdemokratischen) und der III. (Kommunistischen) Internationale auch als II ½ Internationale oder nach ihrem Gründungsort gelegentlich als Wiener Internationale bezeichnet wurde. Sie ist im Februar 1921 mit der erklärten Absicht ins Leben gerufen worden, Kontakte zwischen den Internationalen herzustellen und gemeinsame Aktionen auf den Weg zu bringen. In einem Aufruf, der im Dezember 1920 in Vorbereitung des Gründungskongresses der IASP veröffentlicht wurde, hieß es: «Es ist notwendig, alle Kräfte des Weltproletariats zu sammeln und in den Mittelpunkt seines Kampfes um die sozialistischen Endforderungen zu stellen. Der Weltherrschaft des Kapitals muß das Proletariat seine eigene Weltpolitik entgegensetzen. Aufgabe dieser Politik muß es sein, Sowjetrußland gegen die Angriffe der imperialistischen Westmächte tatkräftig zu unterstützen.»
Die IASP verstand die Diktatur des Proletariats als eine notwendige «Übergangsphase im Entwicklungsgang vom kapitalistischen Klassenstaat zum sozialistischen Gemeinwesen». Auch die demokratische Staatsgewalt könne zur Diktatur gezwungen werden. Doch anders als die Kommunistische Internationale, die ausschließlich den bewaffneten Aufstand als möglichen Weg zur Übernahme der politischen Macht sah, hielt die IASP einen friedlichen, legalen, parlamentarischen Übergang für möglich.
Die treibende Kraft an der Spitze der IASP war der österreichische Sozialist Friedrich Adler. In seinem Verständnis war die II. Internationale nicht daran gescheitert, dass sie den Ausbruch des Weltkrieges nicht verhindern konnte, sondern daran, dass sie «sich in den Dienst des imperialistischen Siegerwillens» gestellt hatte. Er begrüßte die Ziele, jedoch nicht die Methoden der Kommunistischen Internationale, die er als «Zentrale der Kommunistischen Parteien» kritisierte, die einer notwendigen Vielfalt der Arbeiterparteien entgegenstand. Die strikten, einengenden «21 Bedingungen» für die Aufnahme in die Komintern lehnte er deshalb grundsätzlich ab. Er war überzeugt, dass eine Öffnung der Kommunistischen Internationale für linkssozialistische Parteien entscheidend für den Fortschritt der internationalen Arbeiterbewegung, auch und vor allem in Westeuropa, sein würde.
Unterstützung für seine Haltung fand Adler nicht zuletzt im linken Flügel der deutschen USPD, in der es spätestens seit Mitte 1919 heftige Auseinandersetzungen um den weiteren politischen Kurs, insbesondere eine mögliche Mitgliedschaft in der Kommunistischen Internationale, gab.
So war es selbstverständlich, dass die IASP in das sogenannte Neunerkomitee, das die Konferenz der drei Internationalen vorbereiten sollte, nicht nur Adler und den Franzosen Alexandre Bracke berief, sondern auch Arthur Crispien als Vertreter der USPD. Die Kommunistische Internationale hatte Karl Radek, Clara Zetkin und Ludovic-Oscar Frossard von der Französischen KP benannt. Die II. Internationale wurde durch den Briten Ramsay McDonald, den Belgier Emile Vandervelde und Otto Wels von der SPD vertreten.
Die Komintern hatte die Einladung zur Berliner Konferenz umgehend akzeptiert, denn zumindest in Teilen ihrer Führung hatte sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass die für die allernächste Zukunft angekündigte Weltrevolution so nicht stattfinden würde. Um die eigene Anhängerschaft auch in nichtrevolutionären Zeiten zu motivieren, vor allem aber um den eigenen Einfluss auch auf die nicht kommunistische Mehrheit der Arbeiterschaft auszudehnen, galt es nun, im Zeichen der «Einheitsfrontpolitik» nicht das revolutionäre Endziel in den Mittelpunkt aller Bemühungen und Bestrebungen zu stellen, sondern sich an den Tagesforderungen und Tagesinteressen der Arbeiter zu orientieren. Gerade deshalb gab es allerdings seitens der II. Internationale «größte und schärfste Vorbehalte» gegen die Konferenz, wie es Vandervelde formulierte. Denn man fürchtete - fraglos zu Recht -, dass den Kommunisten vor allem daran gelegen war, die Sozialdemokraten als «Sozialverräter» und «Agenten der »Bourgeoisie« zu »entlarven«. Folgerichtig konfrontierte man die Vertreter der Kommunistischen Internationale mit einer Reihe von unerfüllbaren Vorbedingungen, zu denen unter anderen die Befreiung aller politischen Gefangenen in Sowjetrussland gehörte.
Entsprechend schwierig gestalteten sich die Verhandlungen und mehrmals drohte der sofortige Abbruch. Der Vorschlag Clara Zetkins, als ersten Schritt gemeinsam einen Arbeiterweltkongress einzuberufen, der am Rande der Internationalen Wirtschaftskonferenz in Genua (10. April bis 19. Mai 1922) tagen sollte, wurde von den Vertretern der II. Internationale als »kurzfristig nicht durchführbar« zurückgewiesen.
Letztlich war das einzige Ergebnis der Berliner Beratungen eine »Gemeinsame Erklärung der drei Exekutiven«, wie das mühevoll ausgehandelte Abschlussdokument offiziell genannt wurde: »Die Konferenz ist einig, daß, so sehr die Vereinheitlichung der Klassenorganisation des Proletariats wünschenswert ist, es im gegenwärtigen Moment sich nur um gemeinsame Beratungen zum Zwecke gemeinsamer Aktionen mit konkreten Zielen aller an der Konferenz vertretenen Richtungen handeln kann.« Angestrebt wurde nun jedoch die gemeinsame Durchführung eines internationalen Arbeiterkongresses. Die für den 22. Mai 1922 geplante konstituierende Sitzung eines Vorbereitungskomitees fand aber nicht statt, da die sozialdemokratischen Vertreter nicht bereit waren, konkrete Schritte zu vereinbaren.
Ein Jahr später, im Mai 1923, schlossen sich die II. und die II ½. Internationale zur Sozialistischen Arbeiterinternationale mit Sitz in Amsterdam zusammen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie als Sozialistische Internationale neu gegründet. Die Kommunistische Internationale hingegen war im Mai 1943 sang- und klanglos aufgelöst worden. Für sie gab es keine Fortsetzung.
Erst 60 Jahre nach dem Berliner Treffen gab es einen weiteren Versuch, Vertreter letztlich unvereinbarer Positionen wieder an einen Tisch zu holen. Erneut war es Berlin, diesmal die Hauptstadt der DDR. Die wissenschaftliche Befassung mit dem Erbe von Karl Marx, dessen 100. Todestag 1983 begangen wurde, sollte den Rahmen für ein Treffen vom Kommunisten, Sozialdemokraten, Sozialisten und anderen Linken bilden. Die Konferenz mit dem Titel »Karl Marx und unsere Zeit - der Kampf um den Frieden und sozialen Fortschritt« fand statt, doch die Ergebnisse blieben - wenig überraschend - überschaubar, auch wenn nahezu 150 Delegationen aus allen Teilen der Welt angereist waren.
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