»Ich gebe dir mein Wort, Hüseyin«

Mit »Dschinns« hat Fatma Aydemir einen sehr guten Roman geschrieben, den das bundesdeutsche Feuilleton so nicht genehmigt hat

  • Marit Hofmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Ach, Hüseyin, da kamst du voller Hoffnungen aus deinem türkischen Dorf nach Deutschland, schuftetest dich in der Fabrik kaputt, warst bedacht, bloß nicht anzuecken, und stießt doch auf Ablehnung, sogar von deinen Kindern, denen du so viel verschwiegen hast, deine kurdische Herkunft, deine Militärzeit.

Dann musst du in diesem Roman über deine Familie auch noch gleich zu Beginn sterben, im Jahr 1999, nur eine Woche vor deinem »offiziellen Renteneintritt, an einem erschöpften Herzen«, und darfst in der Eigentumswohnung in Istanbul, auf die du dein Leben lang hingearbeitet hast, nur noch deine letzten Atemzüge tun. Deine Kinder sind nicht mal dankbar für ihr Erbe. Für deine Tochter Peri sind das nur »vier Zimmer, die an Erschöpfung und Tod erinnern«. Und selbst die gehen zu Bruch. Gut, dass du das nicht mehr erleben musst, Hüseyin!

Im zweiten Roman deiner Schöpferin Fatma Aydemir spricht ein mysteriöser Schatten, ein Geist, ein Dschinn womöglich, in der Stunde deines Todes zu dir: »Ich werde über deine Familie wachen, wenn sie hier eintrifft, ich gebe dir mein Wort, Hüseyin.« Nur zu dir spricht diese dreist duzende Stimme; und im letzten Kapitel offenbart sie sich deiner deprimierten Frau: »Ich bin die Kluft zwischen deinem Glauben und deinem Handeln. Ich bin der Widerspruch zwischen dem Bild, das du von dir selbst hast, und dem Gesicht, das du den anderen zeigst … Ich bin einfach nur die Stimme in deinem Kopf, Emine.« Dazwischen rekapituliert jedes Kind, nein, fast jedes deiner Kinder, Hüseyin, in jeweils einem Kapitel auf der Reise zu deinem toten Körper das eigene Leben.

Und nun, Hüseyin, urteilt manch männlicher Feuilletonist, deine Schöpferin könne besser über Frauen schreiben, vor allem wenn sie ihrer eigenen Biografie so ähnlich sind wie die Studentin Peri, die feministische Theorien liest. Es sei »mit Sicherheit kein Zufall«, meint Christoph Schröder im Deutschlandfunk, »dass die gelungenen Figuren« deine beiden Töchter seien, »während die Söhne merkwürdig blass und stereotyp bleiben«. Kein Zufall, weil Schriftstellerinnen sich nicht in Männer hineinversetzen können, während es für die Herren Weltliteraten noch nie ein Problem war, sich in die Herzen und Köpfe der Damenwelt zu beamen?

Dabei scheint (aber Frauen können das nicht beurteilen) auch der Draufgänger Hakan durchaus glaubwürdig und vielschichtig gezeichnet. Etwa wenn er mal wieder Racial Profiling erlebt: »Niemals darf man Panik vor Bullen offenbaren, nur deshalb wird Hakan frech. Frech ist das Gegenteil von panisch, mehr nicht. Wenn du aber panisch wirst und es zeigst, hast du verloren, dann denken die, das ist ein Kanake mit Panik, da ist was im Busch, den ficken wir.«

Und auch dein Verhalten wird in seiner Ambivalenz erklärt: »Peri wünscht sich fast, dass Hüseyin wirklich der autoritäre Vater gewesen wäre, für den sie ihn spätestens gehalten hat, als sie im ersten Semester der Frauengruppe ihrer Fakultät beitrat: herrschsüchtig, selbstzentriert, ignorant. Doch so war er nicht. So war er nicht nur. Er war auch fürsorglich. Er war auch still, und vor allem war er verschlossen. Tresor auf, Gefühle rein, Tür zu, zack, den Zettel mit dem Zahlencode aus dem Fenster des fahrenden Autos.«

Wie sich das Schweigen in deiner Familie mit fatalen Folgen fortsetzt, erzählt deine Schöpferin fesselnd und mit vielfältigen Stimmen, aus denen sich das Puzzle der verdrängten Geschichte zusammensetzt. Alles kommt am Ende - zumindest kurz - ans Licht, Hüseyin.

Was du zum Glück auch nicht miterleben musst, ist, wie Iris Radisch in der »Zeit« deine Schöpferin, so wie man deine Familie zeitlebens ausgegrenzt hat, aus der Hochkultur verweist, da Themen aus ihrer »Taz«-Kolumne »Red Flag« und dem von ihr mit herausgegebenen Sammelband »Eure Heimat ist unser Albtraum« auch im Roman aufscheinen. Die Feuilletonchefin rümpft über den »Fäkalsprech« und den »politaktivistischen Jargon« die Nase, mit dem manche Figuren ihre Rassismuserfahrungen der 90er Jahre in diesem »›verfickten Land‹ voller ›alter Freizeit-Nazis‹« in Worte fassen: »Das angeklagte Gastland erscheint in den Erzählungen dieser türkischen Familie als ein Jammertal der brennenden Migrantenhäuser, des Rassismus, der Unterdrückung sexueller Minderheiten und der Niedertracht.«

Gatekeeperin Radisch meint offenbar, dass bestimmte Perspektiven, die einer Feuilletonleiterin fremd sind, und womöglich auch kämpferische jüngere Autorinnen nichts im eigenen Hoheitsgebiet zu suchen haben: »Literatur, auch überzeugende engagierte Literatur, die immer einen Sinn für die Form und die gesellschaftliche Dialektik hat, klingt definitiv anders.«

Dabei ist »Dschinns« alles andere als ein Thesenroman, die Leitkulturleiterin scheint schlicht persönlich beleidigt »von der trostlosen Karikatur von einem Land mit seinem ›ewig grauen Himmel‹ und den ›ewig traurigen Gesichtern‹ und seiner Luft, die ständig ›nach Blechbüchse schmeckt‹«.

Wenn die Geschichte deiner Familie, Hüseyin, den Betrieb zu solchen Selbstentlarvungen treibt, spricht das für Qualität, ja, auch für literarische.

Fatma Aydemir: Dschinns. Hanser, 368 S., geb. 24 €.

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