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Einfach mal machen
Viele Studierende müssen sich überwinden, um an ein Stipendium zu kommen. Leichter fällt es ihnen, wenn sie einen Rückhalt haben
Es hat ein bisschen gedauert, bis sich Hannah Geller überwunden hatte. Das lag wohl auch daran, dass sie nicht allzu viel über Begabtenförderungswerke, Stiftungen und Stipendien wusste. In ihrer Schule sei nie über all das geredet worden. Was sie bedauerlich findet.
Vor allem aber lag ihr Zögern, sich für ein Stipendium zu bewerben, an den Selbstzweifeln, die sie plagten. Damals im Jahr 2018. »Eines meiner Hauptbedenken war, dass ich gedachte habe, Stipendien seien nur für die Allerschlausten der Schlauen und dazu zähle ich mich nicht«, erzählt die 23-Jährige. Also dachte sie nach. Und nach. Tagelang. Umso mehr, weil sie mit dem Weg haderte, der sie im Idealfall weiterbringen würde. Denn für das Stipendium musste sie sich selbst vorschlagen. Einen anderen Weg gab es für sie nicht. Und das kostete sie Überwindung. Ausgerechnet bei der renommierten Studienstiftung des deutschen Volkes, dem größten Begabtenförderungswerk seiner Art in Deutschland.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Es sei komisch gewesen, den Gedanken zuzulassen, sich selbst um ein Stipendium zu bewerben, sagt sie, »weil ich mir irgendwie eitel vorgekommen bin«. Heute freilich sieht sie das anders, gelassener. »Aber im Nachhinein betrachtet, muss ich sagen: Das ist natürlich Quatsch.«
Heute kann sie solche Sätze formulieren, weil sie es geschafft hat: Nachdem sie 2016 in Weimar das Abitur abgelegt hat, studiert sie jetzt Humanmedizin an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena - und ist Stipendiatin der Studienstiftung.
Eigentlich bekam Hannah Geller nur über einen guten Freund ihrer Mutter Einblick in die Welt der Stiftungen und Stipendien. Der Mann, sagt sie, habe immer ganz begeistert von der ideellen Förderung erzählt, die er als Stipendiat genossen habe. Doch sonst sei da eben gerade zum Anfang ihres Studiums in Jena hin kaum jemand gewesen, der ihr über Stipendienprogramme und alles, was damit zu tun hat, erzählt habe. Schon gar nicht in der Schule.
Nicht nur für sie, sagt Geller, sei das ein Nachteil gewesen, sondern auch für viele ihrer damaligen Mitschüler. »Im Nachhinein fallen mir mehrere Leute auch aus meiner Klasse ein, die ganz sicher gute Kandidaten für die Studienstiftung wären.«
Um an eine solche Förderung zu gelangen, gibt es drei verschiedene Möglichkeiten: Junge Menschen können, erstens, von ihren Schulen für eine Aufnahme bei der Stiftung vorgeschlagen werden. Zweitens können Prüfungsämter oder Lehrende an Hochschulen Studenten zur Aufnahme empfehlen. Und drittens können sich junge Männer und Frauen eben selbst um die Aufnahme in die Stiftung bewerben, wenn sie im ersten oder zweiten Semester in Vollzeit studieren, wobei das Studienfach fast egal ist. Nur für Studierende aus künstlerischen und gestalterischen Fächern können auf diesem dritten Weg nicht zur Stiftung kommen, weil für sie ein spezielles Vorschlags- und Auswahlverfahren geschaffen worden ist.
Die Selbstbewerbungen sind für junge Menschen aus den ostdeutschen Bundesländern besonders wichtig, weil die Erfahrungen der Stiftung schon seit Längerem zeigen, dass die Schulen zwischen Ostsee und Thüringer Wald deutlich seltener von ihrem Vorschlagsrecht Gebrauch machen als Schulen in Westdeutschland. Darauf hatte im September letztes Jahr die Generalsekretärin der Studienstiftung, Annette Julius, hingewiesen. Damals war eine Studie der Universität Jena vorgestellt worden, die zeigt, dass Studierende aus dem Osten Deutschlands bei der Stipendienvergabe von verschiedenen Begabtenförderungswerken gegenüber ihren westdeutschen Kommilitonen zahlenmäßig benachteiligt sind.
Die Gründe für dieses Ungleichgewicht sind der Studie nach vielfältig, einer davon ist bei den Schulen zu suchen. »Während in einem Jahr in Westdeutschland rund 50 Prozent der Schulen Vorschläge bei uns einreichen, sind es in Ostdeutschland nur rund 25 Prozent«, hatte Julius gesagt. Das liege auch daran, dass im Osten Lehrer seltener eigene Erfahrungen mit Stipendien hätten als in Westdeutschland.
Wer sich allerdings selbst um ein Stipendium bewirbt, kann dieses Defizit leicht ausgleichen. Angst vor einem solchen Selbstvorschlag brauche niemand haben; das sagt die Sprecherin der Stiftung, Isa Lange, und das kann Hannah Geller nach eigener Erfahrung bestätigen. Schon deshalb nicht, weil es in dem zweistufigen Auswahlverfahren nicht auf Noten oder Fachwissen ankommt und der Einstieg recht einfach ist. Wenn man sich einmal überwunden und den Entschluss gefasst hat. Zunächst muss man sich nur im Internet registrieren und damit sein Interesse an einer Aufnahme in die Stiftung bekunden.
Statt auf Abschluss- und Prüfungsergebnisse, sagt Lange, lege die Stiftung bei ihren Stipendiaten vor allem auf deren gesellschaftliches Engagement Wert. »Wir suchen Menschen, die ihre besonderen Talente und ihr Können für andere einbringen und von denen wir daher langfristig besondere Leistungen im Dienste der Allgemeinheit erwarten dürfen.« Oder, in den Worten von Geller: »Es geht da nicht um Quoten oder Noten, sondern darum, wie man sich sozial verhält, an welchen Sachen man über das Studium hinaus interessiert ist.« Bei ihr sind das zum Beispiel Kunst, Fotografie und Sprachen.
Wer sich registriert hat, nimmt zuerst an einem computergestützten Test teil. Der prüft Fähigkeiten, die nach Einschätzung der Stiftung wichtig sind, um ein Studium erfolgreich abschließen zu können. Wie gut jemand in der Interpretation von Tabellen ist, wird dort zum Beispiel geprüft oder im Planen von Studium und Beruf. Wer in diesem Test eine bestimmte Punktzahl erreicht, wird dann zu einem Auswahlseminar eingeladen. Nach Angaben von Lange schaffen das regelmäßig zwischen drei und vier von zehn Selbstbewerbern.
In dem Seminar geht es dann persönlich zu. Dort müssen die Bewerber in Einzelgesprächen und Gruppendiskussionen beweisen, dass sie intelligent sind, dass sie ein echtes Interesse am Austausch mit anderem haben, dass sie neugierig sind und dass sie eine gewisse Ausdauer mitbringen, sich auch mit solchen Themen intensiv zu befassen, die ihnen bislang fremd waren. Zweifellos ist das auch eine Hürde. Aber keine unüberwindbare. »Insgesamt liegt die Aufnahmewahrscheinlichkeit für Studienanfängerinnen und Studienanfänger über die letzten Jahre durchschnittlich bei rund 25 Prozent«, erklärt Lange, »unabhängig davon, ob es sich um eine Selbstbewerbung oder einen Schulvorschlag handelt«.
Für Geller bedeutete das Auswahlverfahren nur wenig Stress, im Gegenteil, ihr hat das sogar Spaß gemacht. Tests wie den am Computer mache sie ohnehin gerne, sagt sie. Das habe sie bereits gewusst, als sie während der Vorbereitung der Prüfung eine Demoversion des Tests im Internet gemacht hat. Auch das hat dazu beigetragen, die anfänglichen Selbstzweifel zu überwinden.
Seit sie Stipendiatin ist, genießt Geller die verschiedenen Seminare und Kurse, die sie über die Stiftung besuchen kann. Kurz vor Beginn der Corona-Pandemie zum Beispiel eines in Münster zum Themenkomplex Krankheiten und Kunst. So, sagt Geller, könne sie über den Tellerrand der Medizin hinausschauen, also etwas tun, was sie als ungemeine Bereicherung empfinde. Dabei ist für sie klar, dass sie nach Beendigung ihres Studiums als Medizinerin arbeiten will. Entweder in der Nuklearmedizin oder in der Psychiatrie, da schwankt sie noch. Doch ihr Interesse für Dinge außerhalb des Medizinischen ist so groß, dass sie inzwischen noch ein weiteres Fach an der Universität in Jena studiert: Kunstgeschichte.
Natürlich sorgt auch die finanzielle Unterstützung für Erleichterung. »Ich bin darauf nicht angewiesen«, sagt sie. »Aber so ist das Studium natürlich entspannter, und ich muss weniger nebenbei arbeiten. Dafür bin ich sehr dankbar.«
Trotz der erfolgreichen Bewerbung für das Stipendium musste die junge Frau ein weiteres Mal ihre Hemmungen überwinden. Einige Monate nach ihrer Aufnahme in die Stiftung musste sie sich um die Verlängerung ihres Stipendiums bewerben. »Diesmal musste ich jemanden darum bitten zu schreiben, was für eine tolle Studentin ich bin«, sagt sie. »Das ist mir noch schwerer gefallen als die Selbstbewerbung.« Sie musste dafür zwei Empfehlungsschreiben von Hochschullehrern vorlegen. Aber letztlich hat sie sich noch einmal überwinden können und auch das geschafft.
Selbstzweifel - egal, in welcher Phase eines Studiums - sind also offenbar tatsächlich nichts, was junge Menschen von einer Bewerbung bei der Studienstiftung oder einem anderen Begabtenförderungswerke abhalten sollten. Wofür auch eine Studie spricht, auf die Lange verweist, und nach der viele angehende Akademiker in Ost und West angegeben haben, zunächst Hemmungen gehabt zu haben, sich bei der Studienstiftung zu bewerben. Der Erhebung nach trifft das auf etwa 31 Prozent der ostdeutschen und sogar auf 38 Prozent der westdeutschen Stipendiaten zu. »Wir interpretieren diese Unterschiede als Hinweis, dass junge Menschen, die an ihrer Eignung für die Studienstiftung zweifeln, in Westdeutschland häufiger entsprechend Ermutigung - etwa durch Eltern oder Lehrerinnen und Lehrer - erfahren, sich trotz dieser Zweifel bei der Studienstiftung zu bewerben als in Ostdeutschland«, sagt Lange.
Ganz gleich allerdings ob in Ost oder West, ob es um junge Männer oder Frauen geht, ob um Mediziner oder Historiker: Der Weg von Hannah Geller zum Stipendium zeigt, dass es sich lohnt, die eigenen Zweifel zu überwinden - und es einfach zu versuchen.
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