Wie viel kostet ein neues Leben?

In dem kammerspielartigen Film »Windfall« scheitert Jason Segel als Einbrecher und ärgert sich mit arroganten Tech-Millionären herum

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Wer der eigentliche Bösewicht ist, wird in »Windfall« schnell klar: Der Einbrecher ist es nicht.
Wer der eigentliche Bösewicht ist, wird in »Windfall« schnell klar: Der Einbrecher ist es nicht.

Netflix legt sich gerade richtig ins Zeug, um im anspruchsvollen Filmsegment mitzumischen und auch jenseits seiner vor allem massentauglichen Serienformate erfolgreich zu sein. Dass das ein Stück weit funktioniert, zeigt eine ganze Reihe Nominierungen durchaus sehenswerter Spielfilme und Dokus für den diesjährigen Oscar. Aber der minimalistische und dramaturgisch kondensierte Arthousefilm, der mehr an Theater als an Kino erinnert und für gängige Sehgewohnheiten eher anstrengend ist, gehört nicht gerade zum Stehsatz der Streaming-Plattform.

Mit »Windfall«, dem dritten Spielfilm des auf anspruchsvolle Absurditäten spezialisierten Regisseurs Charlie McDowell, wartet Netflix nun mit einem dicht inszenierten, kammerspielartigen Drama um den gescheiterten Einbruch in eine Villa und eine Geiselnahme auf. Der namenlose und eher unbeholfene Einbrecher (genial gespielt von Jason Segel) will eigentlich nur eine leer stehende Wochenendvilla im ländlichen Nirgendwo inmitten verlassener Orangenhaine ausrauben, als er plötzlich von den anreisenden Eigentümern überrascht wird. Der namenlose Ehemann (Jesse Plemons), ein Multimillionär aus der Tech-Branche und seine ebenfalls namenlose Ehefrau (Lily Collins) sind plötzlich Gefangene und beginnen notgedrungen mit dem Einbrecher zu verhandeln.

»Windfall« inszeniert das handlungstragende Verbrechen als tragisches Scheitern. Denn eigentlich will der so unbedarft wirkende Einbrecher gerade davonfahren, als er eine Überwachungskamera bemerkt, die ihn aufgenommen hat. Was soll er tun? Eine Kleinigkeit führt schließlich zur nächsten, und es scheint ihm nichts weiter übrig zu bleiben, als eine größere Menge Geld per Geiselnahme zu erpressen, um die notwendige Flucht zu organisieren. Aus dem lapidaren Einbruch wird dadurch ein Kapitalverbrechen.

Aber das Aufeinandertreffen der selbstbewussten Upper-Class-Hipster und des hilflosen proletarischen Kleinkriminellen wirkt eher komisch als bedrohlich. Dabei wird die ganze Absurdität dieser Situation brillant eingefangen, als die Geiseln den Einbrecher sogar zu einer höheren Geldforderung überreden. Denn wie viel Geld ist nötig, um ein neues Leben anzufangen? Über diese Frage haben die drei erwartungsgemäß sehr unterschiedliche Ansichten, und bald wird darum gestritten. Dabei spielt Jesse Plemons den widerlichen Tech-Millionär verstörend überzeugend, der per Zoom schließlich eine Tasche mit 500 000 Dollar ordert, und seine Angestellte dabei wie Dreck behandelt, ebenso den Gärtner, der später noch erscheint und für eine bizarre Eskalation der Ereignisse sorgt.
Wie eine auf sich selbst zurückgeworfene Wochenendgesellschaft sitzen Einbrecher, Ehefrau und Tech-Millionär fast zwei Tage miteinander in dem Traumanwesen mit Swimmingpool, japanischem Garten, Orangenwäldchen und schickem Interieur herum und unterhalten sich, wobei in der angespannten Situation immer mehr Konflikte aufbrechen. Das gilt vor allem für die Ehe des vermögenden Paares, die natürlich zwangsläufig weit weniger glücklich ist, als es zuerst den Anschein hat.

Lily Collins überzeugt als taffe Ehefrau, die im Laufe der Zeit immer mehr aus ihrem Leben erzählt und zunehmend genervter auf ihren Gatten reagiert, der sonst keinen Widerspruch gewohnt scheint und auch in dieser Situation routiniert autoritär agiert. Mit fortlaufender Handlung stellt sich immer mehr die Frage, wer hier eigentlich mehr Gewalt ausübt. Aber auch über Eigentum, Diebstahl, Raub, Bereicherung, Klassenzugehörigkeit und soziale Abhängigkeiten unter anderem in einer Ehebeziehung wird intensiv gestritten.

Während der Einbrecher und die Ehefrau mit Abstrichen zu Sympathieträgern der Erzählung werden, mutiert der Tech-Millionär immer mehr zum widerlichen Fiesling, der irgendwann auch versucht, seine Frau zu überreden, mit dem Einbrecher intim zu werden und ihn so zu überwältigen.

Aber aus der über weite Strecken nur sehr abstrakt bedrohlichen Situation dieser absurden Geiselnahme wird irgendwann durch die Dynamik des sozialen Mit- oder besser Gegeneinanders dann doch blutiger Ernst. Und ist es wirklich Zufall, dass der Einbrecher ins Anwesen genau dieses Tech-CEOs eingebrochen ist, der mit seiner erfolgreichen Firma unzählige Menschen arbeitslos gemacht hat? Der das ganz ungeniert zugibt und jede Kritik als dummes Gejammer abtut? Geht es bei dieser so spontan und hilflos wirkenden Aktion in Wirklichkeit um gezielte Rache?

»Windfall« lässt die immer bedrohlicher werdende Spannung auf dem Anwesen greifbar werden. Dabei lebt die Inszenierung vor allem von der Qualität der Schauspieler, die sich, mit minimalistischer Jazzmusik unterlegt, in diesem Setting aneinander abarbeiten und ihre Rollen großartig ausfüllen. Dabei funktioniert der zum Ende hin immer weiter ansteigende Spannungsbogen, sodass fast alles möglich scheint. Die drastische Auflösung dieser Tragödie hält dann aber doch noch eine verblüffende Wendung bereit.

»Windfall«, USA 2022. Regie und Drehbuch: Charlie McDowell. Mit: Lily Collins, Jesse Plemons, Jason Segel, Omar Leyva. 92 Minuten. Verfügbar auf Netflix.

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