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Rheinisches Watergate
CDU-Kanzler Konrad Adenauer ließ über fast zehn Jahre die SPD-Spitze ausspionieren
Als der Wachmann Frank Wills am 17. Juni 1972 fünf Einbrecher dabei beobachtete, wie die Männer im Hauptquartier der Demokratischen Partei in Washington versuchten, Abhörgeräte zu installieren, löste dies einen Politskandal aus, der zwei Jahre später US-Präsident Richard Nixon zu Fall brachte. Die Täter hatten im Auftrag des innersten Zirkels der Republikaner gehandelt. Die Watergate-Affäre, benannt nach dem Gebäudekomplex, in dem sich das Parteibüro befand, wurde wiederholt von Hollywood filmisch verarbeitet. Dadurch wurde der Fall weit über die Grenzen der USA auch für nachfolgende Generationen ein Begriff.
Ob die Kulturindustrie die nun aufgedeckten politischen Sauereien Konrad Adenauers, des ersten Kanzlers der Bundesrepublik, irgendwann ähnlich verarbeitet, wird die Zukunft zeigen. Von einem »Super-Watergate« spricht jedenfalls Klaus-Dietmar Henke. Der Begriff mag ein wenig PR-Überlegungen geschuldet sein, bringt der Historiker doch bald ein Buch über seine Recherchen heraus. Brisant sind die Erkenntnisse allemal, denn sie zeichnen ein anderes Bild Adenauers als jenes vom Rosenzüchter, der in der alten Bundesrepublik das sogenannte Wirtschaftswunder erblühen ließ. So jedenfalls wird der Kanzler retrospektiv oft verklärt. Während seiner Amtszeit von 1949 bis 1963 war das kaum anders: In einer Allensbach-Umfrage von 1955 stellten die Westdeutschen ihrem CDU-Kanzler ein positives Zeugnis aus: 57 Prozent bezeichneten ihn als klug, 55 Prozent als diplomatisch, wohingegen ihm nur neun Prozent attestierten, rücksichtslos zu sein.
Was die Bevölkerung damals nicht wusste: Adenauer war gegenüber jenen, die er als politische Gegner*innen ausmachte, besonders rücksichtslos. Fast zehn Jahre lang ließ der Kanzler nach Recherchen des Historikers Henke die oberste SPD-Führung bespitzeln. Die Überwachung begann 1953 und endete ein Jahr vor Ende von Adenauers Kanzlerschaft. Dass sich der CDU-Politiker zur Festigung seiner Macht über die politische Konkurrenz nicht immer legal informieren ließ, ist schon länger bekannt, die wahren Ausmaße kommen aber nun erst durch Henkes Auswertung Tausender Dokumente ans Licht.
Demnach handelt es sich um etwa 500 Berichte, die der Kanzler aus dem SPD-Vorstand erhielt. Adenauer soll über Ereignisse und Neuigkeiten aus dem Innersten der Sozialdemokratie oft sogar noch am gleichen Tag informiert worden sein. Möglich machte die Spitzeltätigkeit Reinhard Gehlen, Leiter der nach ihm benannten Organisation Gehlen, aus der 1956 der Bundesnachrichtendienst (BND) hervorging. Der Kontakt zum Auslandsgeheimdienst lief über Adenauers Staatssekretär Hans Globke.
Ohne willige Gehilfen innerhalb der SPD wäre der Kanzler allerdings kaum an Insiderinformationen gekommen. Als eifrige Spitzel betätigten sich zwei Sozialdemokraten. Siegfried Ziegler war Mitarbeiter der Organisation Gehlen mit SPD-Parteibuch und stellte den Kontakt zu Sigfried Ortloff her, der als Sicherheits- und Personalchef in der SPD-Parteizentrale nah am politischen Geschehen war. Ortloff gab an die Organisation Gehlen und den späteren BND alles weiter, was Adenauer irgendwie nützlich sein konnte: Dabei ging es ebenso um Wahlkampfstrategien wie intern diskutierte Positionen zur Außenpolitik und den Gesundheitszustand führender Genossen. Auch vor Willy Brandt und Herbert Wehner machte Ortloff nicht halt. »Für den CDU-Chef ging es um den unbedingten Machterhalt. Und dazu war den beiden zentralen Figuren im konservativen Lager, also Adenauer und Globke, wirklich jedes Mittel recht«, erklärte Henke gegenüber dem Deutschlandfunk.
Die kleine Gruppe um Adenauer – laut Henke waren bis auf den Kanzler keine weiteren Regierungsmitglieder in die Geheimoperation involviert – war von unterschiedlichen Motive angetrieben. Gehlen und Globke hatten schon in der NS-Zeit Karriere gemacht und wollten in der jungen Bundesrepublik daran anknüpfen. Kanzler Adenauer war für seinen Antikommunismus bekannt, der auch bei Ortloff eine wichtige Rolle spielte. Eine seiner offiziellen Aufgaben in der SPD-Zentrale bestand darin, eine kommunistische Unterwanderung der Partei abzuwehren.
In der SPD sorgten die Enthüllungen des Sprechers der unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND für Empörung. Die Aufdeckung dieses »skrupellosen Machtmissbrauchs lässt Teile unserer bundesrepublikanischen Geschichte in einem gänzlich anderen Licht erscheinen«, sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert der »Süddeutschen Zeitung«. In der SPD-Zeitung »Vorwärts« forderte Chefredakteurin Karin Nink, die CDU müsse »ihr Bild von Konrad Adenauer revidieren«. Sie selbst hat allerdings keine Hoffnung, dass die Partei »aus den neuen Enthüllungen die entsprechenden Konsequenzen zieht.«
Tatsächlich bleibt vorerst unklar, wie man in der CDU-Parteizentrale, die den Namen des ersten Bundeskanzlers trägt, nun über Adenauer denkt. Eine schriftliche Anfrage von »nd.derTag« blieb bis Mittwochnachmittag unbeantwortet. Auch bei der parteinahen Konrad-Adenauer-Stiftung scheinen die Recherchen nicht für großen Wirbel zu sorgen. »Befunde und Bewertungen von Wissenschaftlern oder Journalisten kommentieren wir üblicherweise nicht«, teilte die Stiftung gegenüber »nd.derTag« mit. Weiter heißt es: »Über die Aktivitäten der Organisation Gehlen gegenüber der SPD ist in der Vergangenheit bereits mehrfach berichtet worden.« Der Historiker Henke hatte für seine Arbeit neben historischen BND-Akten auch auf das Archiv der Stiftung zurückgegriffen. Diese stehe »Forschern, Journalisten und Interessierten weltweit für ihre Recherchen offen«.
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