Gangbang als sexuelle Befreiung

Paulita Pappel produziert Pornos. Dadurch eignet sie sich ihre Sexualität in einer patriarchalen Gesellschaft wieder an.

  • Linda Peikert
  • Lesedauer: 7 Min.
Paulita Pappel kam mit 17 nach Berlin und ist seit Jahren in der sexpositiven Community der Stadt aktiv.
Paulita Pappel kam mit 17 nach Berlin und ist seit Jahren in der sexpositiven Community der Stadt aktiv.

»Ich war schon immer fasziniert von Pornografie, obwohl ich selbst gar nicht so viele Pornos geschaut habe«, sagt Paulita Pappel am Paul-Lincke-Ufer in Berlin-Kreuzberg. Sie ist in einen schwarzen Mantel gehüllt. Trotz der Kälte sprüht sie vor Energie. »Pornografie war für mich ein Gegensatz zur Idee von Sexualität, die nur mit Liebe und nur in einer Beziehung geschieht«, fährt sie fort. Das Konzept von Sexualität, die eng mit Liebe verwoben ist, empfand sie schon seit ihrer Jugend als belastend. »Gerade als Frau wird man so sozialisiert, dass man die eigene Sexualität schützen müsse, anstatt sie als etwas Empowerndes anzusehen«, sagt Pappel. An ihren Fingern prangen drei auffällige goldfarbene Ringe mit den Aufschriften »Anal«, »Feminism« und »Bitch«.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Paulita Pappel ist in der sexpositiven Szene und in der feministischen Pornobranche eine wichtige Akteurin: Sie hat die Amateurporno-Seite »Lustery« und eine Porno-Produktionsfirma aufgebaut, hat selbst als Darstellerin, Regisseurin und Sexarbeiterin gearbeitet und organisiert und kuratiert das Pornofilmfestival Berlin. Ihr jüngstes Projekt war die Produktion des ersten öffentlich-rechtlichen Pornofilms für Jan Böhmermanns »ZDF-Magazin Royale«.

Deshalb brauchen wir mehr öffentlich-rechtliche Pornos

Ihre Geschichte beginnt in Spanien: Aufgewachsen ist Paulita Pappel, die mit bürgerlichem Namen anders heißt, in Madrid. Als Einzelkind, mit Eltern, die nicht verheiratet sind, aber trotzdem eine glückliche und monogame Beziehung führen. »Meine Eltern haben schon immer Dinge hinterfragt und reflektiert. Das war Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger in einem Land, das von der faschistischen Diktatur geprägt war, nicht selbstverständlich«, erzählt Pappel. Während andere Teenager, beeinflusst von Gesellschaft, Kirche oder Filmindustrie, von monogamen Beziehungen und weißen Hochzeitskleidern träumten, empfand Pappel diese Vorstellung sehr schnell als Ballast. »Pornografie war für mich ein Ort, wo Sexualität befreit war. So konnte ich das mit 13 noch nicht ausdrücken, aber so habe ich das in etwa empfunden«, erinnert sie sich.

Das Problem ihrer Jugendzeit: Sie verstand sich als Feministin und konnte Pornografie und Sexarbeit noch nicht mit Feminismus vereinbaren. »Ich dachte, Pornografie sei Ausdruck des Patriarchats, um Frauen auszubeuten.« Sie hat sich wegen dieses vermeintlichen Widerspruchs gefragt, ob etwas mit ihr nicht stimme. Ob sie sich selbst als Objekt sehe. In der Schulzeit war sie für eine Woche in Berlin. »Ich finde, Berlin hat diese sexuelle Energie«, sagt Pappel. Nach dem ersten Besuch war klar, dass das die Stadt ist, in der sie leben wollte. Direkt nach der Schule, mit 17 Jahren, zieht sie in die deutsche Hauptstadt. In ihrer Studienzeit hört sie zum ersten Mal von feministischer Pornografie und selbstbestimmter Sexarbeit. »Plötzlich hat für mich alles Sinn ergeben.«

Reden vor dem Sex

Auf diese Erkenntnis folgte die erste Rolle als Pornodarstellerin in einer feministischen Low-Budget-Produktion. »Der erste Dreh war super aufregend«, erinnert sie sich etwa zehn Jahre später. Die Story: Zwei Frauen sind in einer Beziehung; die eine findet eine dritte Frau gut, die andere ist erst eifersüchtig. Schließlich haben alle drei Sex miteinander. Vor dem Dreh wurde erst mal geredet. »Wir haben uns zusammengesetzt und darüber gesprochen, warum wir das machen, wie wir das machen und was wir sexuell mögen«, erzählt sie und fährt fort: »Ich hatte bis dahin schon sehr viel Sex gehabt, aber es war das erste Mal, dass ich vorab sehr nüchtern darüber gesprochen habe, worauf ich stehe.« Das sei am Anfang schwierig gewesen, ihr haben Worte gefehlt. Es wirft aber auch Fragen auf: Warum machen wir das nicht im Privaten? Warum reden wir normalerweise vor dem Sex nicht über unsere Bedürfnisse? Über unsere Grenzen? Über unsere Vorlieben?

»Nach dem Dreh habe ich mich unglaublich glücklich gefühlt«, ein breites Grinsen zieht sich über ihr Gesicht. Der Film lief beim Pornfilmfestival Berlin. Pappel saß mit ein paar Hundert Personen im Kinosaal und sah sich nackt beim Sex auf der großen Leinwand. »Ich mochte meinen Körper nicht schon immer. Mich auf dieser Leinwand zu sehen, hat mir total geholfen, mit meinem Körper klarzukommen«, sagt sie. »Ich hatte oft das Gefühl, dass mir als Frau von der Gesellschaft ein Teil meiner Sexualität weggenommen wurde, und Pornografie ist für mich eine Rückaneignung.«

Nach der ersten Dreherfahrung spielt sie auch bei weiteren Projekten als Darstellerin mit oder hilft in anderen Funktionen beim Filmen aus. Bei Pornos, aber auch bei anderen queeren Kunstprojekten. Relativ schnell entscheidet sie sich, mit ihrer Tätigkeit in Porno- und Sexarbeit an die Öffentlichkeit zu gehen. »Ich will in einer Welt leben, in der es keine Scham gibt, weil man in einem Porno mitgespielt hat«, sagt sie. Für sie ist Pornografie schließlich äußerst politisch. »Hier können wir etwas schaffen, das auch für andere inspirierend sein kann, und unsere Körper, unsere Sexualität zurückerobern«, sagt sie.

»Ich war schon immer sehr exzessiv«, erklärt Paulita. »Ich bin sowohl bei Sexualität als auch sonst im Leben eine Person, die die Extreme mag. Alles, was neu ist, finde ich superspannend.«

Gute Pornos, schlechte Pornos

Noch am Anfang ihrer Pornokarriere gab es für sie eine Unterteilung: die »bösen« Pornos und die »guten«. Die bösen sind jene, die eher im Mainstream verbreitet sind, und die guten die, die einen (queer-)feministischen Anspruch haben und bei denen sie mitgespielt hat. »Durch mehrere Projekte in der Sexarbeit habe ich aber gelernt, dass sogenannte Mainstream-Pornografie nicht per se schlecht ist«, sagt sie. In einem Mainstream-Porno habe sie trotzdem noch nicht mitgespielt. »Ich wollte mich nicht komplett rasieren. Doch in der Zeit, in der ich viel als Darstellerin gearbeitet habe, war im Mainstream-Porno quasi Haarverbot«, erzählt Pappel. Eigentlich hätte sie die Erfahrung aber gerne mal gemacht.

Aktuell finde sie durch ihre vielen anderen Projekte nicht die Zeit. Ansonsten hat sie aber vieles ausprobiert - nicht nur im Bereich Pornografie, auch als Sexarbeiterin mit Freiern. Auch sie selbst habe mal einen Sexarbeiter engagiert, um die andere Seite kennenzulernen. »Es war toll! Jede Frau sollte mal das Geld in die Hand nehmen und sich und ihrer Lust so eine Erfahrung gönnen«, sagt sie mit Nachdruck.

Im öffentlichen Diskurs um Pornografie werden immer wieder kritische Stimmen laut. Es heißt, das Problem der Pornografie sei, dass Frauen so gezeigt würden, als hätten sie immer Lust. »Ich weiß nicht, ob das ein Problem sein muss. Ansonsten werden oft Frauen gezeigt, die nie Lust haben.« Es sei doch okay, die Frau als Subjekt zu zeigen, als eine, die Lust hat, die Bock auf Sex hat. Das müsse keine Männerfantasie sein. Für Pappel ist Pornografie ein Medium, in dem Sexualität und Beziehungen ausgehandelt werden können und das im Privaten und in der Öffentlichkeit zu Gesprächen anregt.

Und diese Gespräche seien wichtig: Ihrer Meinung nach habe die Gesellschaft kein gesundes Verhältnis zu Sexualität. »Wenn man durch die Gesellschaft in der eigenen Sexualität eingeengt ist, kann das Bild von Pornografie als Angriff verstanden werden«, lautet ihre Erklärung für die teils heftigen Reaktionen auf Pornografie. Für sie ist nicht die Pornografie, sondern die Ehe gewaltvoll und problematisch.

»Bis vor 30 Jahren gab es ja nicht mal die Vergewaltigung in der Ehe«, sagt Paulita Pappel und verweist auf Statistiken. Jeden dritten Tag wird eine Frau in Deutschland von ihrem Ehepartner oder Expartner umgebracht. Da sei es doch viel gefährlicher zu heiraten, als Pornos zu produzieren. Sie grinst verschmitzt.

Pappel bezeichnet sich selbst als bi- oder pansexuell - also dass sie auf alle Geschlechter steht - und führt aktuell eine Beziehung mit einem Mann. »Mein Partner akzeptiert mich so, wie ich bin. Ich habe auch Sex mit anderen Leuten, und wir führen eine Beziehung, die auf Kommunikation und Respekt basiert«, erzählt sie. »Das heißt zum Beispiel, dass es nicht selbstverständlich ist, dass wir abends im Bett ficken.«

Mit ihrem Partner arbeitet sie auch beruflich zusammen. Gemeinsam gründeten sie die Produktionsfirma Hardwerk. »Wir produzieren feministische Gangbang-Pornos. Gangbangs sind für viele Leute die schlimmste Sexualpraktik. Aber viele Frauen haben diese Fantasie, von ganz vielen Männern gefickt zu werden«, sagt Pappel. »Für mich sind Gangbang-Pornos die letzte Stufe, die ich mir zurückaneignen wollte: Ich lasse euch nichts, ich hole mir alles zurück!«

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