Das Phänomen Asow

Rechte Bewegungen erleben global eine Konjunktur, das ist seit Jahren auch in der Ukraine der Fall. Der kanadische Journalist Michael Colborne hat ein Buch über die Asow-Bewegung geschrieben, die in diversen Milieus aktiv ist und internationale Netzwerke etabliert hat

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 7 Min.

Was genau hat es mit dem Regiment Asow auf sich? Es ist eine 2500 Mann starke, dem ukrainischen Innenministerium unterstehende Freiwilligenmiliz, deren Mitglieder im Internet auch mal mit Hakenkreuzfahne, ukrainischer Flagge und Nato-Logo posieren. 2019 wollten Kongressabgeordnete der Demokratischen Partei in den USA das Asow-Regiment vom Außenministerium als terroristische Vereinigung einstufen lassen, scheiterten aber. Kürzlich echauffierte sich der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk über eine kritische Berichterstattung zum Thema: Er twitterte, die »Tagesschau« solle das Regiment in Ruhe lassen und fragte, wie lange man noch das »russische Fake-Narrativ … bedienen« wolle.

Ist Asow nun rechtsextrem, neonazistisch oder eher harmlos? Welche Bedeutung hat die Miliz für die ukrainische Politik und für die internationale rechte Szene? Dem geht der kanadische Journalist Michael Colborne in dem Buch »From the Fires of War: Ukraine’s Azov Movement and the Global Far Right« nach. Colborne, der unter anderem für »Haaretz«, »The New Republic« und das investigative Recherche-Netzwerk Belljncat schreibt, hat Interviews mit Asow-Mitgliedern geführt und die Entwicklung der Bewegung seit Jahren verfolgt. Er will eine Informationslücke schließen und dem Phänomen Asow die seiner Meinung nach angemessene Aufmerksamkeit schenken, die von Medienseite bisher ausblieb.

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Miliz und Bewegung

Das ist aktuell wichtig, um das vermeintlich antifaschistische Befreiungsnarrativ Putins zu entzaubern. Denn während Asow eine der auffälligsten rechtsextremen Bewegungen Europas sein dürfte, die sich jahrelang ungestört ausbreiten konnte, weht ihr seit der Präsidentschaft Wolodymyr Selenskyjs doch ein rauerer Wind entgegen. Der vormalige ukrainische Innenminister Arsen Awakow etwa, der lange Zeit als Unterstützer der Asow-Bewegung galt, schied 2019 aus dem Amt. Kurz nach seiner Entlassung war die Bewegung mit einer ganzen Reihe Razzien konfrontiert. Der thüringische Verfassungsschutz-Chef Stephan Kramer betonte derweil kürzlich, dass dem Regiment als militärischem Arm eine politische Bewegung gegenüberstehe. Diese Unterscheidung stammt auch von Asow selbst und wurde in den vergangenen Jahren mehrfach von Olena Semenyaka vorgenommen, die unter anderem für Asows internationale Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Das seit 2014 im Zuge des Krieges in der Ostukraine gegründete Regiment bildet nur einen kleinen Teil der laut Colborne insgesamt etwa 20 000 Personen umfassenden Bewegung, wenngleich das Regiment deren Keimzelle war. »Asow ist eine fließende, heterogene Bewegung, eine Bewegung, bei der sich die Beobachter nicht immer einig sind, was sie überhaupt umfasst«, so Colborne.

Neben dem Regiment, der paramilitärischen Jugendgruppe »Centuria«, die als Hilfspolizei durch Städte patrouilliert, und der Partei Nationalkorps verfügt Asow über Verlage, Buchclubs, Kampfsportvereine und soziale Zentren, unter anderem in der Kiewer Innenstadt, sowie den Nationalen Hub in Charkiw. Die Organisation veranstaltet verschiedene internationale Konferenzen, es gibt ein ganzes Netzwerk von Jugendcamps, diversen Initiativen, Projekten und zahlreichen offiziell bis lose angegliederten Gruppierungen. Frontfigur von Asow ist der 42-jährige, in Charkiw geborene Andrij Bilezkyj, der mit seinem stylischen Bart und dem kurzen Seitenscheitel auch als urbaner Hipster durchgehen könnte, der ein paarmal zu oft in der Muckibude war. Bilezkyj, Vorsitzender der Partei Nationalkorps, die bei den Wahlen 2019 im Bündnis mit anderen rechten Parteien wie Swoboda gerade mal gut zwei Prozent holte, versucht sich bürgerlich zu geben und die brachiale Nazi-Identität hinter sich zu lassen. In früheren Jahren war er auch Chef der Neonazi-Gruppierung Patriot der Ukraine und wollte 2007 noch »die weißen Rassen der Welt in einen letzten Kreuzzug führen ... gegen die von Semiten geführten Untermenschen«. Heute behauptet er, dies nie gesagt zu haben, es ist aber laut Colborne durch gespeicherte Websites nachweisbar.

Rechte Diversität

Bilezkyj tritt regelmäßig in Fernseh-Talkshows auf und seine Rolle als Chef der Asow-Bewegung gilt als unangefochten. Er steht derzeit für den Flügel, der sich eher an der französischen »Nouvelle Droite« und ihrem Konzept einer Metapolitik orientiert, die vor allem der neurechte Publizist Alain de Benoist als »Neo-Gramscianismus von rechts« propagiert. Auch Olena Semenyaka betont gerne, dass es darum gehe, etwas gegen die Dämonisierung rechter und nationalistischer Politik zu machen. Dieser nicht ganz so extremistisch wirkende Flügel, der sich zwar von neonazistischen Gewalttaten distanziert, aber auch bei Anti-Antifa-Demonstrationen oder gegen LGBTIQ-Paraden auf die Straße geht, will die Köpfe vor allem junger Menschen erobern und sich als politische Alternative inszenieren. Dazu gehört auch die subkulturelle Identität der Asow-Anhänger, die reichlich tätowiert ihre maskulinen, durchtrainierten Körper zur Schau stellen und sich in Kleidung der - auch bei hiesigen Rechten beliebten - Labels Thor Steinar oder Svastone aus der Ukraine zeigen. Laut Semenyaka lassen sich Asow-Leute durch diese subkulturelle Hipness von anderen Rechten unterscheiden.

Neben diesem Spektrum gibt es aber auch eine ganze Reihe offen neonazistischer Gruppierungen, die mehr oder weniger stark an Asow angebunden sind. So etwa die von dem russischen in die Ukraine migrierten Neonazi Alexey Levkin geleitete Wotanjugend, die in Kiew auch mal Partys zu Hitlers Todestag feiert. Levkin ist auch der Veranstalter des seit 2014 in Kiew jährlich stattfindenden Asgardsrei Festivals, des weltweit wichtigsten Happenings für Neonazi-Metal-Musik. Aber auch Wehrsportgruppen wie Freikorps in Charkiw, die Waffentraining veranstalten, gehören zum Dunstkreis dieser Bewegung, die die rechte Szene in der Ukraine dominiert.

Wichtig für Asow ist auch die internationale Vernetzung. Es gibt gute Kontakte nach Skandinavien, in die USA, nach Italien und Frankreich und in andere europäische Länder. Und auch in Richtung Deutschland hat Asow seine Fühler ausgestreckt, sich hierzulande etwa mit dem III. Weg und der Identitären Bewegung kurzgeschlossen. Dabei schafft es Asow auch, seine ideologischen Inhalte weiterzugeben. So hat der Jungeuropa-Verlag, über dessen Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse eine Debatte entbrannte, das Buch »Natiokratie« des ukrainischen Nationalisten Mykola Sziborskyj herausgebracht. Das ursprünglich 1935 erschienene Buch erteilt liberalen Werten eine Absage und propagiert ein totalitäres Ein-Parteien-System. Es gehört zur Grundlektüre vieler Asow-Anhänger, die auch gerne Ernst Jünger und, wie bereits erwähnt, Autoren der Nouvelle Droite rezipieren oder den italienischen rechten Philosophen Julius Evola lesen, der sich hierzulande bei der Identitären Bewegung größter Beliebtheit erfreut. In Kiew gibt es sogar eine Kneipe, in der ein großformatiges Bild des italienischen Theoretikers hängt, der ganze Generationen von Rechtsextremen in Westeuropa beeinflusst hat.

Ein weiteres zentrales Betätigungsfeld für Asow ist laut Michael Colborne der Veteranenbereich. Hier veranstaltet die Bewegung große Aufmärsche, mit Andrij Bilezkyj in Uniform vorneweg. Laut Colborne verfügt Asow über gute Kontakte ins 2018 gegründete ukrainische Veteranenministerium. Dabei inszenieren sich die eher jungen Asow-Anhänger als Mainstream-Bewegung, die zur Mitte der Gesellschaft gehört. Dabei haben viele von ihnen im Gegensatz zu älteren Kadern wie Bilezkyj gar nicht an der ostukrainischen Front oder in Mariupol gekämpft, das 2014 nach kurzer russischer Besetzung maßgeblich von Asow-Kämpfern befreit worden war. Der Spagat zwischen den unterschiedlichen Strömungen der Neuen Rechten, offen neonazistischen Gruppierungen, einem subkulturellen rechten Lifestyle - um schon im vorpolitischen Feld zu rekrutieren, wie es die mittlerweile an Gramsci geschulte Neue Rechte propagiert - sowie der internationalen Vernetzung und dem Versuch, sich als nationale, aber nicht-extremistische politische Kraft zu inszenieren, gelingt Asow wie keiner anderen rechten Bewegung weltweit, so Colborne. Kritik an Asow sei in der Ukraine schwierig.

Das liegt vor allem am russischen Medienbetrieb mit seinen Fake-News und dem pseudo-antifaschistischen Narrativ: Darin spielt Asow eine zentrale Rolle, weswegen Kritik an der Bewegung oft als russische Propaganda abgetan wird. Während sich hierzulande spätestens mit dem Anschlag von Halle und dem Mord an Walter Lübcke der sicherheitspolitische Diskurs gegenüber der extremen Rechten nachhaltig verändert hat, ist das in der Ukraine noch nicht so. Das müsste sich nach Meinung Colbornes ändern. »Es bleibt abzuwarten, ob (Asow) im Gefolge dieses brutalen, schrecklichen Krieges wächst oder nicht. Ironischerweise glaube ich, dass die Person in der Welt, die am meisten daran interessiert ist, dass Asow wegen des Krieges wächst, Wladimir Putin selbst ist«, erklärte er unlängst in einem Interview mit dem International Center for Counter Terrorism. Aus deutscher Sicht gilt es, diese Bewegung definitiv im Blick zu behalten. Michael Colbornes Buch bietet dafür einen hervorragenden Einstieg.

Michael Colborne: From the Fires of War: Ukraine’s Azov Movement and the Global Far Right. Ibidem-Verlag, 180 S., 29,90 €.

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