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Dirigent oder Geschäftsmann?
Die geplante Twitter-Übernahme durch Elon Musk sorgt in den USA für große Befürchtungen
Es waren deutlich mehr als 280 Zeichen, mit denen das Unternehmen Twitter Inc. die Vereinbarung mit Tesla-Chef Elon Musk zur Übernahme des Kurznachrichtendienstes am Montag öffentlich machte. »Die vorgeschlagene Transaktion wird eine beträchtliche Barprämie einbringen, und wir glauben, dass dies der beste Weg für die Twitter-Aktionäre ist«, wird der Vorstandsvorsitzende Bret Taylor darin zitiert.
Die Anteilseigner erhalten demnach 54,20 US-Dollar je Stammaktie, was einem Aufschlag von 38 Prozent auf den Schlusskurs vom 1. April entspricht - dem letzten Handelstag, bevor Musk seine Beteiligung von zunächst rund neun Prozent an Twitter bekanntgab. Damit war der gebürtige Südafrikaner zum größten Einzelaktionär aufgestiegen. Sein Streben nach einem Verwaltungsratssitz, um so direkten Einfluss auf die Geschäftspolitik nehmen zu können, scheiterte aber am Widerstand der Twitter-Chefs. Überhaupt prasselte viel Kritik auf den umtriebigen Geschäftsmann ein.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Doch Musk verfügt dank des Tesla-Aufstiegs zum milliardenschweren Elektroautokonzern über gewaltige finanzielle Möglichkeiten - und so unterbreitete er ein Kaufangebot im Gesamtumfang von rund 44 Milliarden US-Dollar, das die Twitter-Führung offenbar nicht mehr ablehnen konnte. Typisch Musk, dass er, da er selbst nicht über ausreichende Finanzmittel verfügt, gut die Hälfte der Kaufsumme über Kredite bei den beiden Großbanken Morgan Stanley und Bank of America aufbringt, obwohl er mit der Wall Street eigentlich eher auf Kriegsfuß steht. Der Rest wird in Tesla-Aktien fließen.
Das Schicksal von Twitter ist besiegelt, sollte die Vereinbarung letztlich in die Tat umgesetzt werden. Zwar hat der Verwaltungsrat einstimmig zugestimmt, aber dies müssen auch die Aktionäre tun. Einige äußern sich bereits ablehnend. Und ein Twitter-Aktionär hat Musk wegen angeblich zu später Mitteilung über seinen Einstieg bereits verklagt. Zudem müssen die Wettbewerbsbehörden der Übernahme ihren Segen geben. Sollte dies alles reibungslos über die Bühne gehen, wird der Deal laut den Angaben »voraussichtlich« noch in diesem Jahr abgeschlossen. Twitter würde der Börse den Rücken kehren und zu einem Privatunternehmen Musks werden. Damit entfielen bestimmte Transparenzpflichten.
Diese Perspektiven stoßen gerade in den USA auf Ablehnung. »Der Deal ist gefährlich für unsere Demokratie«, twitterte die einflussreiche Senatorin Elizabeth Warren, die dem linksliberalen Flügel der Demokratischen Partei zugerechnet wird. »Milliardäre wie Elon Musk spielen nach anderen Regeln als alle anderen.«
Gerade um solcher Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen, kündigte Musk an, er wolle die Algorithmen - eines der bestgehüteten Geschäftsgeheimnisse aller Social-Media-Konzerne - quelloffen machen und Spambots herausfiltern. »Die freie Meinungsäußerung ist das Fundament einer funktionierenden Demokratie, und Twitter ist der digitale Marktplatz, auf dem die für die Zukunft der Menschheit wichtigen Themen diskutiert werden«, lautet sein Credo.
Was die schönen Worte bedeuten, ist aber unklar. Gerade unter Bürgerrechtlern gibt es große Befürchtungen, dass das zuletzt schärfere Vorgehen gegen Hassrede und Fakenews auf Twitter wieder stark gelockert wird. Kritik übt auch die altehrwürdige American Civil Liberties Union, deren Mitglied und wichtiger Förderer Musk ist. Er will nach eigener Aussage mehr Meinungsäußerung zulassen, wenn diese im Rahmen der Gesetze sei.
Gerade bei den Demokraten besteht die Angst, dass Ex-Präsident Donald Trump bald wieder sein Unwesen auf Twitter treiben könnte. Sein Account war geschlossen worden, da er seine Sympathisanten bei der Erstürmung des Kapitols Anfang 2021 ermuntert hatte. Trump aber hat inzwischen sein eigenes Portal namens Truth Social gegründet und will nach eigenem Bekunden nicht zu Twitter zurück. Seine ultrarechten Anhänger könnten die Gelegenheit nutzen, ihre Parolen wieder mehr zu verbreiten.
Doch es gibt auch positive Stimmen. Der einstige Twitter-Mitgründer Jack Dorsey postete, die Plattform solle zwar ein öffentliches Gut sein, aber um die Probleme als Unternehmen zu lösen, »ist Elon die einzige Lösung, der ich traue«. Tatsächlich gilt Twitter als zu altbacken und steht wirtschaftlich nicht gut da. Auch wenn die Anzahl der monetarisierbaren täglich aktiven Nutzer zuletzt noch leicht zugenommen hat, schrieb das Unternehmen fast immer Verluste. In der Pandemie sanken dann auch die Werbeerlöse massiv. Branchenbeobachter erwarten jetzt Abomodelle und dass der innovative Unternehmer Musk vielleicht in der Lage ist, jüngere Influencer zu Twitter zu holen. Doch der Übernahmeplan könnte in eine andere Richtung deuten: Jenseits der Börse ist der unmittelbare Druck weg, mehr Werbeeinnahmen zu erzielen und schwarze Zahlen zu schreiben. Ex-Facebook-Sicherheitschef Alex Stamos warnte vor einer Alles-Erlaubt-Einstellung. Man erhöhe den Wert einer Plattform nicht, indem man sie zu 99,9 Prozent mit Pornografie sowie Anzeigen für gefälschte Marken-Sonnenbrillen und Potenzmittel befüllen lasse, schrieb er bei Twitter.
Das Branchenportal Techcrunch ist auch erst mal vorsichtig, was die Bewertung der Pläne Musks angeht: »Absolut jeder ist ausgeflippt und hatte eine Meinung dazu, und einige dieser Meinungen schürten Zweifel an der Ernsthaftigkeit der großen Pläne des bekanntlich unseriösen Tech-Moguls.« Also alles nur eine große Spielerei eines milliardenschweren Unternehmers, der eine neue Herausforderung sucht?
Auch die jugendlichen Kritiker der Finanzindustrie, die sich in der Chatgruppe Wallstreetbets beim Twitter-Konkurrenten Reddit tummeln, sind sich uneins: Während ein Nutzer ein Meme postet, bei dem Musk einen gleichförmigen Chor dirigiert, schreibt ein anderer: »Auch Musk kann niemanden dazu zwingen, Twitter zu nutzen. Wenn dir Twitter nicht gefällt, nutze es nicht!«
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