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  • Antisemitismus in Berlin

Nicht von oben herab

Im Vorfeld des 1. Mai wird über Antisemitismus bei Demonstrationen debattiert

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Auf Antisemitismus weniger reflexhaft zu reagieren, hat der frühere Antidiskriminierungsbeauftragte des Berliner Senats, Dervis Hizarci, gefordert. »Die Reden von Politikerinnen und Politikern auf Veranstaltungen, aber auch als Reaktion auf solche Vorkommnisse wie die am Wochenende wirken sehr oft einstudiert und haben eine gewisse Gebetsmühlenartigkeit«, sagte der Vorsitzende der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus. Es hätten sich »Traditionen« entwickelt, wie man und an bestimmten Gedenktagen im Jahr kommuniziere.

Diese »Traditionen« müssten aufgebrochen werden, auch »weil wir inzwischen ganz klar eine Einwanderungsgesellschaft sind und man mit der gewohnten Kommunikation nicht mehr alle Menschen erreicht«, sagte Hizarci, der sich seit vielen Jahren gegen Antisemitismus engagiert. Deshalb müssten in die Erinnerungskultur auch die Perspektiven von Menschen mit Migrationsgeschichte einfließen, so der ausgebildete Lehrer, der im Dezember mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. »Wenn sich in der Schule in Kreuzberg, Neukölln oder Moabit ein Schüler antisemitisch äußert oder ›Du Jude‹ als Schimpfwort benutzt, sollte die Lehrerin nicht reflexhaft sagen ›Wir besuchen die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen‹ oder ›Wir lesen Anne Frank‹«, sagte Hizarci. Solche Musterreaktionen auf Antisemitismus passten möglicherweise gar nicht. »Man muss gucken, wer äußert den Antisemitismus, woher kommt er?« Wenn die Reaktion nicht adäquat sei, wirke die Maßnahme nicht.

Es sei nicht falsch, zu einer Gedenkstätte zu fahren. »Aber das kann man losgelöst von antisemitischen Vorfällen machen«, sagte Hizarci. »Und es darf nicht von oben herab die Forderung geben, gerade eingewanderte Menschen müssten Gedenkstätten zur NS-Geschichte und Judenverfolgung besuchen«, kritisierte er. »Das ist exkludierend: ›Ihr gehört nicht dazu. Wir, die dazu gehören, wissen das, aber ihr noch nicht.‹« Mit dieser Denkweise lasse sich Antisemitismus nicht bekämpfen.

Judenfeindlichkeit unter arabischstämmigen Berliner Jugendlichen sei durchaus ein »sehr ernstes und großes Problem«, sagte Hizarci. Demonstrationen mit judenfeindlichen Parolen wie am vergangenen Wochenende kämen nicht aus dem Nichts. Vor allem israelfeindliche Einstellungen seien unter arabischstämmigen Menschen in Berlin verbreitet. »Und diese israelfeindlichen Einstellungen sind fast fließend übergehend in judenfeindliche Einstellungen.«

Es gäbe aber auch das Phänomen der sogenannten deutschen Mehrheitsgesellschaft, den Antisemitismus in diesen Minderheitengruppierungen besonders stark wahrzunehmen und zu verallgemeinern. »Wir können nicht sagen ›Die Araber haben ein Antisemitismusproblem‹, denn ›die Araber‹ gibt es nicht. Aber weil es unter arabischstämmigen Menschen anzutreffen ist, wird das auf die Gesamtheit der Community übertragen.«

Nach Angaben eines Sprechers wird die Polizei nach den anti-israelischen Demonstrationen am Wochenende auch mögliche antisemitische Plakate oder Parolen bei Demonstrationen am 1. Mai im Blick haben. Über die Vorbereitungen auf das erwartete Demonstrationsgeschehen hat der Senat auch bei seiner Sitzung am Dienstag beraten. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) sprach von einer »Feier der Meinungsfreiheit«, bei der man »mit einer gewissen Gewaltbereitschaft« rechne. Spranger hob in dem Zusammenhang den »klassenkämpferischen Block« bei der DGB-Demonstration hervor. Laut Innensenatorin werden 40 Einsatzeinheiten, davon 20 aus Berlin mit insgesamt gut 5000 Beamt*innen am Tag unterwegs sein. Den Einsatz von Wasserwerfern wolle man vermeiden. dpa

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