Könnt ihr mich hören? Hallo, hallo ...?

Die deutsche Linke hat ein Kommunikationsproblem. Wer die Verhältnisse verändern will, muss einfacher zu verstehen sein

  • Axel Klingenberg
  • Lesedauer: 6 Min.

In Deutschland leben 13 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze; 7,5 Millionen Personen sind Analphabeten; die Hälfte der Erwachsenen erreicht nicht die Stufe 3 von 5 des OECD-Lesetests; 17,5 Prozent bewältigen gerade einmal die Stufe 1. Und 20 bis 30 Prozent der deutschen Staatsbürger verweigern dauerhaft die Teilnahme an Wahlen. Was das alles miteinander zu tun hat? Dass es große Überschneidungen bei diesen Gruppen gibt. Und dass dies dazu führt, dass diese Gruppen nicht ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend in den Parlamenten vertreten sind. Eigentlich müssten diese Menschen nämlich allesamt linke Parteien wählen. Tun sie aber nicht.

Umso erstaunlicher ist dies, wenn man bedenkt, dass 45 Prozent der Menschen in Deutschland den Sozialismus generell für eine gute Idee halten. Andere Umfragen zeigen, dass einzelne linke Forderungen eine überwältigende Zustimmung haben, wie zum Beispiel der Volksentscheid in Berlin zur Enteignung privater Immobilienkonzerne zeigt, der mit fast 60 Prozent Ja-Stimmen angenommen wurde. Obwohl also linke Ideen breiten Zuspruch in der Bevölkerung finden, können diese nicht angemessen in praktische Politik umgesetzt werden.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Aber warum erreichen wir die Menschen nicht, die wir eigentlich erreichen müssten? Die Antwort ist so simpel wie einleuchtend: Die deutsche Linke hat ein Kommunikationsproblem. Sie spricht nicht die Sprache, die die Menschen aus den eingangs genannten Gruppen sprechen.

Noch einmal zurück zum Anfang: Rund ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland kann gar nicht lesen und schreiben oder hat zumindest erhebliche Schwierigkeiten damit. Dazu zählen auch nicht wenige Menschen, für die Deutsch nicht die Muttersprache ist, die sie sich also erst mühsam aneignen müssen. Zwanzig Millionen Personen, die nicht in der Lage sind, herkömmliche Zeitungen zu lesen! Speziell für die linke Presse sieht es noch schlimmer aus. Es gibt keine einzige relevante Zeitung aus dem fortschrittlichen Spektrum, die diese Menschen erreichen könnte. Nahezu alle Presseorgane aus diesem Bereich richten sich an Personen, die eine gehobene Sprache verwenden, die gespickt ist mit Fach- und Fremdwörtern, die zudem gerne in betont langen Sätzen Verwendung finden. Auf der »anderen Seite« des politischen Spektrums gibt es hingegen Boulevardmedien, die die leseschwachen Menschen beständig mit (Fehl-)Informationen versorgen.

Dieser Artikel bildet übrigens keine Ausnahme von dem, was ich gerade an linken Medien kritisiere. Auch ich bringe hier viele Fachwörter in schönen langen Sätzen unter. Das mache ich deshalb, weil ich davon ausgehen kann, dass der Text in dieser Zeitung von Leuten gelesen wird, die es ebenfalls gewohnt sind, komplizierte Texte zu lesen. Was aber ist mit den Millionen Menschen in Deutschland, für die unsere Sprache tatsächlich eine Art Fremdsprache ist? Für die es keine fortschrittliche Zeitung gibt, die sie auch nur ansatzweise lesen könnten? Wie sollen diese Menschen auf die Idee kommen, linke Parteien zu wählen oder sich in Gewerkschaften oder linken Bewegungen zu engagieren?

Das war schon mal anders. In der Zeit der Weimarer Republik gab es eine breitgefächerte kommunistische Presse. Sie umfasste auch die Boulevard-Zeitung »Welt am Abend« und die millionenfach gelesene »Arbeiter Illustrierte Zeitung«. Letztere war ausdrücklich darauf ausgelegt, Inhalte über Bilder zu transportieren. Der von Willi Münzenberg geleitete KPD-nahe Medienkonzern wurde systematisch ausgebaut und stieg damit zum zweitgrößten jener Jahre auf. Er trug damit in nicht unerheblichem Umfang zu den hohen Wahlergebnissen der KPD bei, die ab 1924 bei jeder Reichstagswahl ein zweistelliges Ergebnis erreichen konnte.

Davon können linke Parteien in Deutschland heutzutage nur träumen. Ihnen gelingt es nicht, ihr Wählerpotenzial in den sogenannten »bildungsfernen« Schichten auch nur ansatzweise auszuschöpfen. Die Linkspartei war bei den Bundestagswahlen bisher nur einmal zweistellig: 2009 mit 11,9 Prozent. 2021 fiel sie sogar unter die 5-Prozenthürde. Säße die Linke jedoch nicht mehr im Bundestag, wären die langfristigen Folgen katastrophal. Es würden erhebliche Finanzmittel fehlen, auch die außerparlamentarische linke Infrastruktur würde schwer getroffen werden und die Linkspartei könnte keinerlei interne Informationen mehr aus dem Bundestag bekommen, die für alle linken Initiativen so unverzichtbar sind. Nicht zuletzt würden linke Inhalte nicht mehr in den Massenmedien vorkommen.

Es wäre also dringend geboten, dass die Linke in ihrer Öffentlichkeitsarbeit einen Ton anschlägt, der auch gehört wird. Das bedeutet in erster Linie, dass Inhalte verständlich formuliert werden müssen. Wer Pressemitteilungen schreibt oder selbst Presseorgane herausgibt, aber auch wer Interviews gibt, Podcasts produziert, Redebeiträge hält oder in sozialen Medien agiert, muss sich überlegen, wer erreicht werden soll: Sind es Intellektuelle, Bildungsbürger und Studierende? Oder sind es proletarische, migrantische oder prekäre Personen? Schreibe ich für Laien oder für Fachleute? Spreche ich mit Jugendlichen, Erwachsenen oder Seniorinnen?

Wie erreicht man überhaupt das Interesse dieser Menschen? Und wie lange kann dieses bei einem Text aufrecht erhalten werden? Sollte vielleicht sogar ganz auf Fließtext verzichtet und stattdessen lieber ein Foto mit einem einprägsamen Slogan benutzt werden? Grundsätzlich gilt: Je mehr Menschen erreicht werden sollen, desto einfacher muss die Sprache sein. Verwenden Sie also kurze Sätze. Vermeiden Sie Gedankensprünge. Vermeiden Sie Fremd- und Fachwörter genauso wie lange zusammengesetzte oder unbekannte Wörter.

Die Wortwahl der geschriebenen ähnelt der der gesprochenen Sprache. Gehen Sie sparsam mit Metaphern, Redewendungen und Ironie um. Eine derartige Sprache erreicht Menschen mit geringer Lesefähigkeit und/oder mit mangelnden Fachkenntnissen genauso wie Ältere, denen das Lesen viel Kraft abverlangt. Auch Migranten mit geringen Deutschkenntnissen kann so der Zugang erleichtert werden. Menschen mit kognitiven Einschränkungen benötigen hingegen Texte in Leichter Sprache. Diese hat ganz eigene Regeln, die zum Teil deutlich von der deutschen Standardsprache abweichen. Eine einfache Sprache in dem Sinn, wie ich sie eben beschrieben habe, hält sich hingegen an alle sprachlichen Normen.

Viele Linke scheinen immer noch zu glauben, dass komplizierte Verhältnisse eine komplizierte Sprache erfordern. Das ist ein Irrtum. Wer sich unverständlich ausdrückt, tut dies oft vor allem deshalb, um die Angehörigen der eigenen peergroup zu beeindrucken. Natürlich können Fachausdrücke sinnvoll sein, um die Kommunikation unter Fachleuten zu vereinfachen und abzukürzen. Die wahre Kunst besteht jedoch darin, auch schwierige Sachverhalte in leicht verständlichen Worten auszudrücken. Dazu gehört auch, abstrakten Begriffen konkrete vorzuziehen: »Löhne rauf! Mieten runter!« statt »Kapitalismus abschaffen!«.

Wir brauchen also ausdifferenzierte Medien für verschiedene Zielgruppen. Und das langfristig. Es nützt überhaupt nichts, nur während des Wahlkampfes mal eine »bürgernahe« Zeitung zu machen. Diese Medien müssen Kontinuität haben. Und es muss sie in gedruckter Form genauso wie in Online-Versionen geben.

Wenn wir in einer langfristigen Strategie die Welt nach sozialistischen Grundsätzen ausrichten wollen, müssen wir hierfür auch die gesellschaftliche Hegemonie erreichen. Dafür müssen Klassenbündnisse gebildet werden, die prekäre und proletarische Klassen genauso wie akademische und migrantische Schichten umfassen. Selbstverständlich müssen auch alle Generationen und Geschlechter adressiert werden. Hegemonie erreichen wir aber nur, wenn wir alle genannten Zielgruppen in ihrem jeweiligen Soziolekt ansprechen. Unsere Kommunikation muss also strategischen und taktischen Zielen angepasst werden. Grundsätzlich gilt, dass wir möglichst viele Menschen erreichen wollen. Und nicht nur die, die uns genehm sind, weil sie einen ähnlichen soziokulturellen Hintergrund haben. Eine Linke, die sich dies bewusst macht, wird auch die richtige Sprache hierfür finden. Mehrere Millionen Arme, Erwerbslose, Kleinrentnerinnen, prekär Beschäftigte und Menschen, die vom sozialen Abstieg bedroht sind, könnten die Macht haben, unsere Gesellschaft zu verändern.

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