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  • Abstieg der Traditionsmannschaft FC Erzgebirge Aue

In die Tiefe, in den Schacht

Beim FC Erzgebirge Aue reichte das Niveau nicht mehr für die zweite Fußball-Bundesliga. Zu viele redeten mit, zu viel lief schief

Traditionspflege im Erzgebirgsstadion: Der Auer Spielertunnel ist einem Stollenmundloch nachempfunden.
Traditionspflege im Erzgebirgsstadion: Der Auer Spielertunnel ist einem Stollenmundloch nachempfunden.

Man kann mit einem spektakulären Ergebnis eine Meisterschaft feiern, der FC Bayern gewinnt am letzten Spieltag ja gerne mal 5:2 oder 4:0. Dass man auch mit einem echten Paukenschlag absteigen kann, und das bereits Ende April, bewies am vergangenen Wochenende der FC Erzgebirge Aue. Mit 0:6 verloren die Sachsen da in Darmstadt und machten damit eine enttäuschende Zweitligasaison endgültig zur schwächsten der Vereinsgeschichte. »Wenn du erwachsene Männer weinen siehst, dann sagt das alles«, so beschrieb es Offensivmann Dimitrij Nazarov.

Ein paar Tage nach den traurigen Szenen aus Darmstadt sind es offenbar diese Bilder, die auch dem Sportdirektor am eindrücklichsten im Gedächtnis geblieben sind. Pavel Dotchev, der von 2015 bis 2017 schon einmal Trainer im Erzgebirge war, kehrte im November vergangenen Jahres als Sportdirektor zurück und übernahm im Frühjahr interimsmäßig auch das Traineramt, nachdem zunächst Aliaksej Schpileuski und dann Marc Hensel nicht vom Fleck gekommen waren. »Ich habe ganz großen Respekt vor unseren Fans«, sagt Dotchev. »Ich möchte nicht wissen, was nach solch einer Saison anderswo los wäre.« Keine Verwünschungen, kaum Aggressionen gegen die Spieler. Doch die mehr oder weniger stille Trauer der vielen Tausend Auer Fans, die sei mit Händen zu greifen. »Die Leute sind einfach traurig und enttäuscht.« Enttäuscht vom Tabellenstand, enttäuscht aber auch von einem Team, über das selbst Dotchev sagt, dass es »nicht als Mannschaft« aufgetreten sei. »Dabei steht auf dem Rücken unserer Trikots Kumpelverein.«

Alle für einen, einer für alle, wie unter Tage bei den Bergarbeitern im Uran-Abbau, denen noch heute mit dem »Steigerlied« und dem Vereinslied gehuldigt wird: »Zwei gekreuzte Hämmer und ein großes W. Das ist Wismut Aue, unsere BSG. Wir kommen aus der Tiefe, wir kommen aus dem Schacht. Wismut Aue, die neue Fußballmacht.« Doch das mit dem Kumpel-Verein, das wurde in dieser Spielzeit zu oft nur vor und nach dem Anpfiff zelebriert. Dazwischen agierte eine Mannschaft, die sich nie fand und bei der wohl einfach das Niveau nicht für ein weiteres Jahr Zweitliga-Fußball reichte.

Im Gespräch mit »nd« stellt sich Trainer Dotchev dennoch erst mal vor das Team: »Ich muss die Spieler in Schutz nehmen. Das sind junge Leute, für die ist solch eine Saison mit all den Nackenschlägen nicht nur physisch zehrend.« Beispiel Ingolstadt, Anfang April, jenes Auswärtsspiel, nach dem wohl auch den größten Optimisten klar geworden sein dürfte, dass diese Seuchensaison nicht gut enden würde: Zuerst die selten dämliche Tätigkeit von Prince Owusu, nach der Aue 85 Minuten lang zu zehnt spielen musste, binnen vier Minuten der 0:2‑Rückstand. Und dann eine Energieleistung sondergleichen, mit einem Mann weniger gelang schließlich sogar der 2:2‑Ausgleich in der 89. Minute – ehe der Ingolstädter Poulsen in der Nachspielzeit noch das 3:2 für die Bayern erzielte.

Erlebnisse wie diese haben schon bei ganz anderen Teams die Köpfe sinken lassen. Und Corona hat die Sache auch nicht einfacher gemacht. Die Spiele gegen Schalke und Dresden, die unter Garantie ausverkauft gewesen wären, fanden vor leeren Rängen statt. Keine Unterstützung für die sonst so heimstarken Auer. Und insgesamt allein durch Corona ein siebenstelliger Fehlbetrag auf dem Konto. »Brutal war das«, erinnert sich Dotchev, der all die widrigen Umstände aber nicht als Ausrede verstanden wissen will. Bei dem Auer Mini-Etat müsse man »besser und schneller sein als andere«, sagt Dotchev. Und schneller und besser waren sie in dieser Spielzeit ganz sicher nicht. Dass sie zu Recht abgestiegen sind, wissen sie deshalb selbst.

69 Gegentore sind Ligarekord, vorne konnte der Weggang von Pascal Testroet (der stattdessen beim Konkurrenten Sandhausen trifft) nicht aufgefangen werden. Und auch die wichtigste Position im Verein war nicht gut besetzt, die des Cheftrainers. Im Sommer wurde Aliaksej Schpileuski verpflichtet und schon nach acht Spielen wieder geschasst; Klub-Ikone Marc Hensel übernahm, dem indes noch der Trainerschein fehlte. Dass Schpileuski, der zuvor den Nachwuchs von RB Leipzig trainiert hatte, die Liga nicht kannte, dürfte dabei das geringere Problem gewesen sein. Gravierender dürfte die Tatsache gewesen sein, dass Schpileuski die Schablone des RB-Fußballs (mit extrem hohem Angriffspressing) auf einen Kader übertrug, mit dem man pragmatischeren Fußball hätte spielen müssen. Aue hatte auch in dieser Spielzeit den kleinsten Etat aller Zweitligisten. Eine solche Ausgangslage zwingt dazu, dass Trainer, System und Taktik die Qualitätsdefizite ausgleichen müssen, wenn man überhaupt eine Chance haben will.

Doch in Aue wurde die Position des Cheftrainers in den letzten Jahren de facto nicht vom jeweiligen sportlichen Leiter besetzt. Sondern vom jeweiligen Vereinspräsidenten, jeweils einem fußballverrückten Industriellen mit viel Herzblut und einem gewissen Hang zur Brachial-Rhetorik. Erst hieß der Uwe (1992 bis 2009), dann folgte Helge (2014 bis heute). Bei beiden lautet der Nachname Leonhardt, es sind Zwillingsbrüder. Und das nicht nur biologisch, sondern auch im Geiste. Über ihre Ansprachen (»Liebe Kameraden!«, »Den Frauen, die noch keine Mütter sind, eine Botschaft: Werdet Mütter und tragt die Wismut-DNA weiter!«) und Interviews halten sich manche Zuschauer die Bäuche vor Lachen, während andere sich sorgenerfüllt umschauen, ob sie gerade eine Zeitreise ins frühe 20. Jahrhundert erleben.

Dabei haben die Leonhardts wirtschaftlich vieles richtig gemacht. Aber es ist eben das deutschlandweit wohl populärste Missverständnis unter Offiziellen, dass jeder, der sich für Fußball interessiert, meint, deshalb auch fachlich kompetent zu sein. Einen roten Faden gab es bei den Trainerverpflichtungen der letzten Jahre in Aue jedenfalls nicht. So holte Leonhardt nach der Amtszeit von Daniel Meyer und Hannes Drews, in denen der FCE mit anspruchsvollem Fußball aufhorchen ließ, ausgerechnet Dirk Schuster als Trainer, der ein ausgewiesener Freund von Defensivst-Fußball und langen Bällen ist. Der heutige RB-Leipzig-Trainer Domenico Tedesco, der damals im einzigen, außergewöhnlich schönen Hotel im Ort wohnte, hat die Machtverhältnisse in Aue 2017 sehr diplomatisch beschrieben: »Man muss wissen, worauf man sich in Aue einlässt, und gewisse Autoritäten und Prozesse akzeptieren.«

Immerhin: Auch vereinsintern scheint sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass die Besetzung der wichtigsten Personalie im Klub professioneller erfolgen muss. Der nächste Trainer, das versichert Dotchev, wurde von einer Fünf-Mann-Kommission unter seinem Vorsitz ausgewählt. Timo Rost, über den man beim designierten Drittliga-Aufsteiger SpVgg Bayreuth nur Positives hört, soll einer der Kandidaten sein. »Wir haben mit ihm, aber auch mit anderen gesprochen und wissen, wer nächste Saison hier Trainer wird«, sagt Dotchev. Bis zur Bekanntgabe müsse sich die Öffentlichkeit aber noch ein wenig gedulden. Bereits jetzt steht allerdings fest, dass man mit einem 11-Millionen-Etat in die kommende Drittliga-Saison geht und damit zu den reichsten Klubs in der Spielklasse zählen wird. Ein völlig neues Gefühl im Erzgebirge.

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