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- »Steppenwolf« am Deutschen Theater Berlin
Zerrbilder im Spiegel
Nachrichten aus der Zwischenkriegszeit: Am Deutschen Theater Berlin feierte »Der Steppenwolf« am Sonnabend Premiere
Der Blick ins Chaos macht Angst. Und plötzlich suchen jene, die sich eben noch unbelastet von jeglicher Vernichtungsdrohung selbst designen wollten, bei jenen Beistand, die aus anderen Krisen schöpften. Denn die Geschichte ist zurück, in aller Brutalität.
Hermann Hesse, oft fälschlich zum Idylliker verklärt, hatte immer den »Verrat des Intellektuellen« im Blick, seit er mit seinem Aufruf »O Freunde, nicht diese Töne« mitten im Ersten Weltkrieg einen gemeinsamen europäischen Geist beschworen hatte und zum Hassobjekt aller Nationalisten wurde. Wohl wissend um die Folgen wiederholte er selbiges in seinem »Rigi-Tagebuch« vom Sommer 1945, indem er den Deutschen riet, den unseligen Nationalismus, der der Quell alles Unheils sei, ein für alle Mal zurückzulassen. Mit ähnlichem Resultat: wütendes Propagandageschrei im Nachkriegsdeutschland über die Anmaßung des »Leckerli-Fressers« Hesse, der es sich in der Schweiz bequem gemacht habe, während die Deutschen unter Bombennächten litten.
Der Feind des Intellektuellen ist der Parteimensch, der sich immer neu in Dienst stellen lässt. Darum geht es Hesse – und wenn Thomas Melle nun eine Art Variation auf den »Steppenwolf« vorlegt, die Lilja Rupprecht am Deutschen Theater auf die Bühne bringt, dann scheint sein Hinweis, dieses Buch wirke »wie für unsere Zeit geschrieben«, unbedingt ernst gemeint.
Nein, dies wird nicht das ausgestellte Leiden eines überempfindlichen älteren Mannes, der auf die 50 zugeht, sondern das Selbstporträt eines Einzelnen, der sich angesichts der unheilbaren Krankheit der Zeit ohnmächtig fühlt. Was zählt er noch inmitten der Ideologie des Individualismus, die sich multimedial aufgerüstet gegen ihn kehrt? Lauter Scheinwelten, die den vernunftbegabten Einzelnen verrückt machen und ihn wie einen Don Quichotte gegen Windmühlenflügel kämpfen lassen. Melle bringt es in einen suggestiven Sprachfluss: »Es war einmal ein Steppenwolf, der ging in die Freiheit – die gab ihm nichts, nahm ihm alles.« Am Ende auch sein Leben, denn Harry ist ein potenzieller Selbstmörder.
Harry Haller steckt – als nonkonformistisches Moment – in uns allen, als zögerlicher Verweigerer, als mit seiner Rolle hadernder Außenseiter, der permanent an sich zweifelt, während andere ohne alle Zweifel voranstürmen, hinein in die große Katastrophe. Denn das ist der Roman ja auch: das Bild einer Zwischenkriegszeit.
Diese teils rasante, teils etwas zerfahrene Inszenierung transportiert den Gedanken einer Übergangsgesellschaft. Wohin die Reise geht, wissen die in ihr Gefangenen nicht, aber die Zeichen sind unheilvoll. Harry Haller erscheint als multiple Persönlichkeit, es ist ein permanentes Pendeln zwischen depressiv und manisch – Autor Melle kennt sich damit ebenso aus wie Hesse, dessen erste Ehefrau Maria Bernoulli, wie auch einige seiner Söhne und Enkel, mit dieser Krankheit konfrontiert waren und sind.
Der Ungeist der Zeit: »Du bist auf so dumme Weise schlau.« Alle dürfen – oder müssen – hier einmal Haller spielen, der Text fließt voran, wie die Bilder der Bühne von Christina Schmitt wechseln. Sie wirken irgendwie abgenutzt und billig, eine Endzeit eben. Um Verlust, vor allem den der eigenen Vernunft, geht es ja gerade, um das Verrücktwerden. Der Hesse-Melle-Text fließt voran; ein Chor sucht ihn zu bündeln, ordnet die Worte und zerfällt dann selbst.
Elias Arens und Manuel Harder verkörpern jenes Doppelgängerpaar, das wir mit Harry Haller verbinden: der Einzelne und sein dunkler Schatten. Da geht es dann nur noch darum, inmitten schlechter Tage nicht ganz so schlechte zu haben. Mehr Utopie ist nicht. Aber zum Glück kommen noch Juliana Götze und Jonas Sippel vom Theater Rambazamba hinzu, die vor Spielfreude innerlich leuchten und einen starken Kontrast zu dem sich hier vollziehenden »Untergang des Abendlandes« bilden. Darin liegt dann doch ein Rest Hoffnung.
Lilja Rupprecht und Thomas Melle zielen auf die Idole der Massenkultur. Die Idole sind natürlich falscher Schein, bestenfalls Erinnerungspartikel, mit denen sich wenig anfangen lässt. Da sind wir mittendrin im »Magischen Theater«, mit dem Hesse hier das bürgerliche Zeitalter ebenso massiv attackiert wie später in der Kritik des »Feuilletonistischen Zeitalters« im »Glasperlenspiel«. Ein Labyrinth aus Spiegeln (hier Videos), in dem wir nichts mehr erkennen als Zerrbilder. Aber vielleicht doch auch ein Ort der Verwandlung, der Magie?
Stark im Ausdruck Katrin Wichmann als Hermine, Hermanns weibliche Seite. Sie verkörpert jene Erfahrung, die nur macht, wer sich mit der schmutzigen Wirklichkeit einlässt. Da ist dann zwischen Jazz und Mozart kein großer Unterschied. Auch nicht zwischen Hesse und »Sesamstraße« – was im trashigen Ausruf »Meine Fresse, Hesse!« gipfelt. All das sind letztlich legitime Formen des Gerichts eines Intellektuellen über sich selbst.
Nur kurz vorm Ende von zweieinhalb Stunden »Steppenwolf«, teils mit Live-Musik von Philipp Rohmer – dem prophezeiten imaginär-realen Mord an Hermine –, gerät der bis eben rund laufende Inszenierungsmotor ins Stottern. Der Rhythmus der ansonsten aufschlussreichen Grauzonenerkundung zwischen Realität und Fiktion wird von einer deplatziert wirkenden Splatter-Movie-Szene gestört. Schade, denn dass er über sich lachen lernen müsse, notfalls unterm Galgen – diese Lektion Mozarts für den doch etwas hybriden Steppenwolf Harry hat es immer noch in sich.
Nächste Vorstellungen: 15., 18.5. und 19.6.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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