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»Es ging ihnen darum, kritische Berichterstattung zu unterbinden«
Die Journalistin Marlene Förster spricht über ihre einmonatige Haft im Irak
Frau Förster, wie kamen Sie dazu, im Nordirak journalistisch tätig zu sein?
Marlene Förster ist freie Journalistin. Die 29-Jährige recherchierte mit ihrem slowenischen Kollegen Matej Kavčič im jesidischen Siedlungsgebiet Şengal im Nordirak. Am 20. April wurden sie von den irakischen Behörden verhaftet und kamen erst nach einem Monat wieder frei. Mit Marlene Förster sprach Linda Peikert.
Nach dem Genozid des IS an den Jesid*innen im Jahr 2014 hat die Berichterstattung über die Region Şengal in den hiesigen Medien sehr stark abgenommen. Dabei ist sehr beeindruckend, wie die Bevölkerung trotz Repressionen eine Selbstverwaltungsstruktur aufbaut. Themen wie Ökologie, Geschlechterbefreiung und Basisdemokratie spielen dabei eine enorm wichtige Rolle, die auch für den Rest der Welt in Zeiten von Klima- und Finanzkrisen von Bedeutung sind. Mir war es ein Anliegen, mit den Personen vor Ort zu sprechen und ihre Anliegen und Geschichten in Deutsch oder Englisch zu erzählen.
Und Sie wollten mit ihrem Kollegen Matej Kavčič ein Medienzentrum aufbauen?
Ja, das war der Plan. Wir wollten ein Medienzentrum aufzubauen, über das wir Informationen, Fotomaterial und Videomaterial für Journalist*innen, westliche Medien, aber auch NGOs zur Verfügung bereitstellen wollten. Das wurde aber leider durch unsere Verhaftung vom irakischen Geheimdienst verhindert.
Am 20. April wurden Sie und ihr Kollege verhaftet. Was ist an diesem Tag genau passiert?
An diesem Tag war ein wichtiges, jesidisches Fest. Matej und ich hatten mit dem Aufbau des Medienzentrums viel zu tun und waren schon so ein bisschen hin und hergerissen, ob wir überhaupt zu der Feier gehen können. Wir haben uns dann aber dafür entschieden. Zwei Tage zuvor kam es zu Auseinandersetzungen zwischen dem irakischen Militär und den jesidischen Sicherheitskräften. Deshalb war die Situation ein bisschen angespannt, aber wir hatten trotzdem ein sehr schönes Fest. Am Abend wollten wir dann gemeinsam mit einer jesidischen Familie nach Hause fahren, wurden aber an einem Checkpoint aufgehalten und relativ schnell verhaftet. Matej und ich wurden in das lokale irakische Militärhauptquartier gebracht. Anfänglich hieß es, es gäbe gar kein Problem, sie würden nur was checken wollen. Aber dann wurde die Situation immer angespannter und aggressiver.
Was war denn der Grund für die Verhaftung?
Begonnen hatte es damit, dass wir ein Problem mit unseren Visa hatten. Deshalb habe ich mich am Anfang noch relativ entspannt gefühlt, aber dann ist der Geheimdienst eingetroffen. Da wurde mir klar, dass es ihnen ein Dorn im Auge ist, dass wir über die Situation in Şengal Bescheid wissen und darüber berichten. Es standen dann verschiedene Vorwürfe im Raum: Von Terrorverdacht bis hin zu Spionage. Alles war sehr unklar und wirr. Es ging ihnen aber darum, die kritische Berichterstattung zu unterbinden, unter anderem über die irakischen und türkischen Angriffe.
Wie lange wurden Sie in dem Militärhauptquartier in Şengal festgehalten?
Nach zwei Tagen haben sie uns nach Mossul gebracht und wir sind dort vier Tage festgehalten und auch verhört worden. Die Verhöre führten sie unter starkem psychischen Druck: »Ihr habt keine Rechte. Keiner weiß, wo ihr seid. Wir können euch einfach verschwinden lassen«, solche Sätze sind immer wieder gefallen. Meinem Kollegen Matej wurde auch physische Gewalt angedroht. Wir haben immer wieder erzählt, dass wir ein Medienzentrum aufbauen wollen. Sie haben mit allen Mitteln versucht, uns dazu zu bringen, Informationen aus unseren Recherchen preiszugeben. Auch über die jesidische Selbstverwaltungsstrukturen, aber vor allem über einzelne Leute. Uns war klar, dass wir Personen damit in Gefahr bringen könnten. Zum Beispiel der Co-Vorsitzende der jesidischen Selbstverwaltung Azad Hussein bekommt von Geheimdiensten immer wieder Morddrohungen per SMS.
Konnten Sie sich in Haft also mit Ihrem Kollegen austauschen?
In Mossul ja, aber dann wurden wir nach Bagdad gebracht und voneinander getrennt. Zu der Zeit waren wir beide schon im Hungerstreik, weil uns jeden Tag gesagt wurde, dass wir am nächsten Tag mit der Botschaft reden könnten. Am fünften Tag des Hungerstreiks und dritten Tag in Bagdad konnte ich so den Kontakt zur Botschaft durchsetzen. Mich hat am meisten gestresst, dass ich nie wusste, was als nächstes passiert. Ich bin jetzt immer noch sehr aufmerksam, höre jedes Geräusch. Auch hier zurück in Deutschland beschäftigt mich noch die Rolle der Bundesregierung in Bezug auf meine Haftzeit. Warum wurde nicht früher mehr Druck aufgebaut? Zum Beispiel vom Auswärtigen Amt? Wenn ich wieder in den Irak reisen würde, würden sie mich direkt wieder verhaften. Ich kämpfe weiterhin darum, dass wir freigesprochen werden. Und ich hoffe einfach, dass andere Journalist*innen hinfahren und unser Projekt weiterführen werden. Dann wurden wir zwar aufgehalten, aber dafür kommen zehn kritische Journalist*innen nach. Das wäre natürlich meine Wunschvorstellung.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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