Die Rückkehr der Transatlantiker

Wegen der Konflikte mit Russland und China rücken Deutschland und die USA zusammen

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.
Sigmar Gabriel (SPD), Vorstandsvorsitzender der Atlantik-Brücke Foto: dpa/Bernd Von Jutrczenka
Sigmar Gabriel (SPD), Vorstandsvorsitzender der Atlantik-Brücke Foto: dpa/Bernd Von Jutrczenka

Kaum ein Ort in Deutschland symbolisiert so stark die Verbundenheit zwischen den politischen und wirtschaftlichen Eliten der Bundesrepublik und der Vereinigten Staaten wie der Pariser Platz im Zentrum Berlins. Nicht weit entfernt vom Brandenburger Tor weht die rot-weiß-blaue Flagge mit Sternen und Streifen. In dem Neubau befindet sich die US-Botschaft. Vier Jahre war John Emerson hier Botschafter. Anfang 2017 wurde er vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump entlassen und ein Jahr später Vorsitzender des American Council on Germany.

Nun steht Emerson am Montagmorgen im Atrium des Allianz Forums, das sich in Blickweite seines früheren Arbeitsplatzes befindet. Gemeinsam mit der Atlantik-Brücke hat der American Council zur zweitägigen deutsch-amerikanischen Konferenz geladen. Es gibt viel zu besprechen. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine und der Aufstieg Chinas haben dazu beigetragen, dass Deutsche und US-Amerikaner wieder enger zusammenrücken. Vorsitzender des Lobbyvereins Atlantik-Brücke ist seit 2019 der SPD-Politiker Sigmar Gabriel. Er spricht in seiner Begrüßungsrede von einem »Versagen« der deutschen Außenpolitik in Bezug auf Russland. Das Konzept, Russland durch engere wirtschaftliche Beziehungen integrieren zu können und dort auf einen Wandel hinzuwirken, sei seit dem Angriff auf die Ukraine gescheitert. Gabriel übt in diesem Zusammenhang auch Selbstkritik. Denn er war von Januar 2017 bis März 2018 Außenminister. »In den vergangenen Jahren haben wir die Warnungen unserer östlichen Nachbarn und der USA ignoriert«, sagt der Sozialdemokrat reumütig.

Das ist Wasser auf die Mühlen der US-amerikanischen Gäste, darunter John Emerson, der Gabriel bescheinigt, eine »hervorragende Rede« gehalten zu haben. Beide reden immer wieder von den »westlichen Werten«, die gegen autoritäre Staaten wie China und Russland verteidigt werden müssten: Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Meinungsfreiheit. Diese gelten allerdings nur für diejenigen vollumfänglich, die sie sich auch leisten können. So lauten die Regeln der Marktwirtschaft, die von der Atlantik-Brücke, dem American Council und ihren Freunden verteidigt werden.

Das ist auch im Sinne von Oliver Bäte, der jahrelang für die berüchtigte Unternehmensberatungsfirma McKinsey tätig war, die sinnbildlich für Stellenkürzungen und Abbau der Beschäftigtenrechte steht, bevor er zum Versicherungsriesen Allianz wechselte. Dort ist Bäte inzwischen Vorstandsvorsitzender und Gastgeber im Allianz Forum am Pariser Platz. Auf dem Podium behauptet er, dass die Menschen in Deutschland zu oft zum Arzt gehen würden, weil das kostenfrei sei. Da könne die Bundesrepublik noch einiges vom System der USA lernen.

Das bedeutet aber nicht, dass Bäte alles dem Markt überlassen will. Die Allianz hat ihre Regeln zum Umgang mit Erdöl und Erdgas verschärft. Bäte warnt eindringlich vor den Folgen des Klimawandels für die künftigen Generationen. Doch was dagegen tun? Die ebenfalls gefährliche Atomenergie ist offenbar eine Option für Bäte. Den Ausstieg aus der Kernenergie nennt er eine »verrückte Idee« und erhält dafür viel Applaus im Publikum. Ebenso freundlich sind die Reaktionen, als Bäte die Aufrüstung der Bundeswehr lobt. Das Sondervermögen für die Truppe in Höhe von 100 Milliarden Euro ist immer wieder Thema bei der Konferenz. Dazu sollte eigentlich auch Außenministerin Annalena Baerbock sprechen. Die Grünen-Politikerin musste ihre Teilnahme aber aus Krankheitsgründen absagen.

Dafür ist ein anderer deutscher Politiker anwesend. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen ist einer von zwei stellvertretenden Vorsitzenden der Atlantik-Brücke. Diese hatte in den 1970er Jahren das Young-Leader-Program ins Leben gerufen. Dabei werden deutsche und US-amerikanische Führungskräfte im Alter zwischen 28 und 38 Jahren gefördert. Die dort geknüpften Kontakte helfen bei der künftigen Karriere und die Absolventen stehen treu zum Militärbündnis Nato, im dem die USA den Ton angeben. An dem Programm nahmen auch frühere oder aktuelle Bundesminister wie Cem Özdemir, Jens Spahn und Julia Klöckner teil.

Röttgen spricht sich für eine stärkere Zusammenarbeit der Europäer in der Militärpolitik aus. »Dabei geht es um Sicherheit vor Russland«, sagt er. Zudem könnte es zu militärischen Auseinandersetzungen in Ostasien kommen. Dort verschärft sich der Konflikt zwischen China und Taiwan. »Russland und China versuchen, eine neue Weltordnung zu schaffen, in der es keine Regeln mehr gibt, sondern jeder in seiner Einflusssphäre tun kann, was er möchte«, sagt Emerson, der zusammen mit Röttgen auf dem Podium sitzt. Auf welcher rechtlichen Basis westliche Staaten Krieg im Irak oder Jugoslawien führten, ist hingegen kein Thema.

Allerdings wurde am späten Nachmittag noch ein Diskutant erwartet, der einen etwas anderen Blick auf den Krieg in der Ukraine hat als viele andere transatlantische Vertreter. John Mearsheimer, Politikwissenschaftler an der Universität Chicago, sagte im März dieses Jahres, dass »der Westen« die Hauptverantwortung für das »Desaster« in der früheren Sowjetrepublik trage. Es sei weitgehend das Ergebnis der Entscheidung von April 2008, die Ukraine und Georgien in die Nato aufzunehmen, so Mearsheimer. Russland habe darauf reagiert. Auf die Ausrichtung vom American Council und der Atlantik-Brücke dürfte diese Haltung aber keine Auswirkungen haben.

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