- Sport
- Schach / WM-Kandidatenturnier
Wer wird Magnus Carlsens nächster Gegner?
Beim Kandidatenturnier in Madrid wird der Herausforderer für die kommende Schach-WM ermittelt
Vor gerade einmal sieben Monaten verteidigte Norwegens Schachstar Magnus Carlsen erfolgreich seinen Weltmeistertitel gegen Jan Nepomnjaschtschi. Nach der vorherigen Coronapause will der Schachweltverband Fide aber wieder in seinen normalen Rhythmus zurückkehren, also sucht er schon jetzt nach dem nächsten Herausforderer Carlsens für die WM Anfang 2023. Daher blicken Schachfans ab diesem Freitag bis zum 7. Juli gespannt nach Madrid, wo acht Kandidaten den Besten unter sich suchen. Nur der Turniersieger erhält das Recht, Carlsen herauszufordern. Der nd-Kandidatencheck:
Jan-Krzysztof Duda
Der Pole liegt mit einer Elo-Spielstärke von 2750 Punkten zwar nur auf Rang 16 der Weltrangliste, doch er gewann den World Cup 2021, bezwang dabei erst Carlsen im Halbfinale und danach dessen Ex-Herausforderer Sergei Karjakin, womit sich Duda für Madrid qualifizierte. Im Oktober 2020 beendete er zudem Carlsens vorherige Serie von 125 klassischen Partien ohne Niederlage. Dennoch ist der 24-Jährige eher ein Außenseiter.
Teymur Rəcəbov
Für den 35 Jahre alten Aserbaidschaner (Elo 2753, Weltranglisten-13.) ist es wohl die letzte Titelchance. Er hatte seine Teilnahme am Kandidatenturnier im Jahr 2020 wegen Gesundheitsbedenken in der Pandemie abgesagt, woraufhin ihm ein Platz in Madrid reserviert wurde. Auch ihm werden kaum Siegchancen eingeräumt.
Hikaru Nakamura
Der 34-jährige US-Amerikaner ist Liebling all jener Fans, die während der Pandemie zum Schach gekommen sind. Der Blitzschachexperte überraschte Anfang 2022 mit dem Sieg beim Grand Prix in Berlin und kletterte in der Welt auf Rang elf (Elo: 2760). Damit hatte kaum jemand gerechnet, hatte sich Nakamura doch vom analogen Turniersport zurückgezogen, um stattdessen zum erfolgreichsten Schach-Streamer weltweit aufzusteigen. War er bis Anfang Mai noch täglich bis zu zehn Stunden online, ist er zuletzt kaum noch live zu sehen. Offensichtlich nimmt er die Vorbereitung aufs Kandidatenturnier doch ernster, als er es bislang zugeben wollte. Das Label Weltmeister würde seinen zuletzt etwas fallenden Zugriffszahlen aber auch einen neuen Schub verpassen. Nakamura hat zwar die meiste Erfahrung am Brett, doch das moderne Schach wird eher bei der Vorbereitung am Supercomputer gewonnen, der einem die besten Eröffnungszüge berechnet. Dafür nahm sich Nakamura kaum Zeit.
Fabiano Caruana
Sein Landsmann Caruana ist das komplette Gegenteil. Der Theoretiker studiert stundenlang mithilfe von schnellen Rechnern Tausende Zugfolgen und überraschende Alternativen. Das brachte den Weltranglistenvierten (2783) im Jahr 2018 bis ans WM-Brett, wo er der einzige Herausforderer blieb, der keine klassische Partie gegen Carlsen verlor. Da er aber auch keine gewann und dann in drei Schnellschachpartien im Stechen unterlag, blieb der Titel beim Norweger. Für viele Experten ist Caruana ein Mitfavorit.
Jan Nepomnjaschtschi
Als Verlierer der letzten WM ist der Weltranglistensiebte (2766) automatisch dabei. Wegen des Banns infolge des Krieges in der Ukraine darf er aber nicht für sein Heimatland Russland antreten. Stattdessen startet er unter der Fide-Flagge. Beim Duell mit Carlsen war er in der zweiten Hälfte regelrecht eingebrochen, weshalb dem schnellen Denker aus Brjansk von Beobachtern das Durchhaltevermögen für das lange Turnier in Madrid abgesprochen wird.
Richárd Rapport
Der 26-jährige Ranglistenachte (2764) ist ob seines Einfallsreichtums am Brett Liebling vieler Kommentatoren. Er selbst beklagte kürzlich in Berlin, dass er glücklicher (und wohl auch reicher) wäre, wenn er nicht all seine Zeit in den Schachsport gesteckt hatte. Weil er in Ungarn kaum unterstützt wurde, wechselte Rapport vor gut zwei Wochen zum rumänischen Verband. Die vorgeschriebene zweijährige Turnierpause wurde durch eine festgelegte Ablöse von 50 000 Euro an Ungarns Verband vermieden, die offenbar ein reicher rumänischer Wettanbieter aufbrachte. Unter welcher Flagge Rapport in Madrid antritt, war noch unklar, weil mit einem Protest der Ungarn gerechnet wurde.
Alireza Firouzja
Auch der im Iran geborene Shootingstar hat einen Nationenwechsel hinter sich. Der Weltranglistendritte, der mit 18 als jüngster Schachspieler die Elo-Schallmauer von 2800 durchbrach, geht seit Juli 2021 für Frankreich ans Brett. Aktuell sank sein Niveau auf 2793, was aber nicht viel bedeuten muss, da die Kandidaten kurz vor einem so wichtigen Turnier ihre besten Spieleröffnungen lieber noch verheimlichen.
Ding Liren
Weil man ursprünglich nur über Turnierteilnahmen nach Madrid gelangen konnte, war der Chinese zunächst nicht für Madrid vorgesehen, konnte er in zwei Jahren Pandemie seine Heimat doch kaum verlassen. Nach kriegsverherrlichenden Aussagen wurde jedoch der Russe Sergei Karjakin gesperrt, und der Bestplatzierte der Weltrangliste sollte nachrücken. Das ist mit 2806 Elo-Punkten zwar Ding, aber statt der geforderten 30 klassischen Partien hatte er in zwölf Monaten nur vier absolviert. Also stampfte Chinas Verband bis Ende April mehrere Turniere aus dem Boden, bei denen Ding in einem Monat 28-mal ans Brett ging. Er gewann 13 Partien und spielte 15-mal remis. Die Außenwelt diskutierte kontrovers, ob Dings Landsmänner unter dem Qualifikationsdruck überhaupt eine Erlaubnis zum Gewinnen hatten. Mittlerweile aber hat sich jeder damit arrangiert, weil Ding zumindest niemanden in der Rangliste überholt hatte.
Der Modus
14 Runden stehen an. Jeder spielt gegen jeden, einmal mit den weißen Figuren und einmal mit schwarz. Das klassische Format sieht drei Stunden Bedenkzeit für die ersten 60 Züge vor und 15 Minuten für den Rest, wobei es 30 Sekunden Bonus für jeden nächsten Zug obendrauf gibt. Für einen Sieg gibt es einen Punkt, der bei einem Remis geteilt wird. Liegen am Turnierende mehrere Spieler an der Spitze, entscheiden Schnell- und Blitzschachpartien über den Sieger.
Der Titelverteidiger
Ob Magnus Carlsen nächstes Jahr wirklich ans Brett gehen wird, steht noch in den Sternen. »Wenn ein anderer als Firouzja gewinnt, ist es unwahrscheinlich, dass ich spielen werde«, hatte der Weltmeister im Dezember 2021 angekündigt. Fünf Monate später wiederholte er den Satz sogar ohne die Ausnahme für den französischen Jungstar. Trotzdem wird erst einmal ein Gegner gesucht. Und sollte der fünffache Titelträger tatsächlich nicht antreten, spielen die beiden Bestplatzierten aus Madrid gegeneinander um die Krone.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.