Und raus bis du!

Bislang galten sie als Gewinner der Klimaerwärmung. Nun zeigt eine Studie, dass die Versauerung der Ozeane auch die Existenz der Kieselalgen bedroht

  • Ingrid Wenzl
  • Lesedauer: 5 Min.
Kieselalgen, auch Diatomeen genannt, sind eine wichtige Planktongruppe im Ozean
Kieselalgen, auch Diatomeen genannt, sind eine wichtige Planktongruppe im Ozean

Diatomeen oder Kieselalgen sind gleich in mehrererlei Hinsicht für das Leben auf diesem Planeten von zentraler Bedeutung: Als ein Hauptbestandteil des marinen Phytoplanktons bilden sie die Grundlage vieler Nahrungsnetze im Meer. Mittels Photosynthese produzieren sie ein Viertel unseres Sauerstoffs. Und sie spielen eine wichtige Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf: Sterben sie, sinken sie aufgrund ihrer Größe und der Dichte ihrer Siliziumdioxidhülle schnell nach unten und befördern dabei große Mengen Kohlenstoff in die Tiefe. Dort ist er über lange Zeiträume der Atmosphäre entzogen.

Bislang wähnte man die Diatomeen als Gewinner des Klimawandels. Das saurere Meerwasser kann ihren Schalen – anders als dem Panzer der Kalkalgen – nichts anhaben. Auch nahm man an, der erhöhte Kohlendioxidgehalt im Wasser wirke auf sie als Dünger. Wissenschaftler*innen des Geomar Helmholtz Zentrums für Ozeanforschung Kiel, der Universität Tasmanien und des Instituts für Geologie und Nuklearwissenschaften Neuseeland widerlegen nun diese These in einer Ende Mai in der Fachzeitschrift »Nature« erschienenen Studie.

Diatomeen bauen ihre Siliziumdioxidhüllen aus im Meerwasser gelöster Kieselsäure. Sie umgibt eine Art organischer Schutzfilm. Sterben die Algen, zersetzt der sich schnell und gibt die glasartige Hülle der Alge der Korrosion des Meerwassers preis. Wie schnell sie sich auflöst, hängt von dem pH-Wert des Wassers ab. Dabei reagieren die Kieselalgen genau andersherum als kalkbildende Organismen: Je saurer das Milieu, desto langsamer lösen sich ihre Schalen. So gelangt das Siliziumdioxid in tiefere Wasserschichten und steht damit neuen Organismen als Baumaterial nicht mehr zur Verfügung. Ob es nach ein paar Jahrhunderten wieder an die Oberfläche komme, sei schwer zu sagen, meint der Erstautor der Studie, Jan Taucher. »Da kommen ja noch andere Faktoren mit ins Spiel, etwa, ob sich mit dem Klimawandel auch die globale Ozeanzirkulation ändert.«

Taucher und Kolleg*innen rechnen bereits bis Ende des Jahrhunderts mit einem Rückgang der Diatomeen um bis zu zehn Prozent. »Das ist immens, wenn man bedenkt, wie wichtig sie für das Leben im Ozean und für das Klimasystem sind«, erklärt der Geomar-Meeresbiologe. Doch damit sei das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht: »Der Klimawandel wird nicht abrupt aufhören, und gerade globale Effekte benötigen etwas Zeit, bis sie deutlich sichtbar werden«, warnt er. Laut dem genutzten Modell sank der Gehalt der Kieselsäure im Oberflächenwasser je nach Szenario bis 2200 um bis zu 27 Prozent. Im selben Zeitraum reduziert sich das Vorkommen mariner Kieselalgen weltweit um rund ein Viertel.

Dabei ist die große Frage, was an ihre Stelle tritt und welche Eigenschaften die Gewinner aufweisen. Der Rückgang der Diatomeen könne die Fähigkeit des Ozeans, Kohlenstoff zu speichern, verringern oder die marinen Nahrungsnetze verändern, warnt Taucher. Diatomeen stellen die Nahrungsgrundlage der Ruderfußkrebse sowie der riesigen, im Südlichen Ozean lebenden Krillschwärme dar. Der Krill wiederum ist die Hauptnahrung vieler Walarten, Robben und Pinguine. Es gibt sogar Hinweise dafür, dass sich die Sardellen vor Peru von Kieselalgen ernähren.

Dass der negative Einfluss der Ozeanversauerung auf die Diatomeen erst jetzt entdeckt wurde, erklärt der Meeresbiologe damit, dass das Wissen in der marinen Klimaforschung großteils auf kleinräumigen, im Labor, in Flaschen oder Tanks durchgeführten Experimenten basiere: »Da schaut man, wie gut wachsen die Kieselalgen, wenn man das CO2 erhöht, oder wie gut funktioniert die Photosynthese. Der Mechanismus, den wir gezeigt haben, kommt erst zum Tragen, wenn man den großen Ozean berücksichtigt.«

Die »Nature«-Studie stützt sich neben Modellsimulationen auf die Auswertung von Daten von insgesamt fünf Studien aus den Jahren 2010 bis 2014 in arktischen bis subtropischen Gewässern unter Leitung des Professors für Biologische Ozeanographie am Geomar, Ulf Riebesell. Alle waren in sogenannten Mesokosmen durchgeführt worden. Diese Versuchsbehälter im Ozean fassen mehrere Zehntausend Liter. Darin lassen sich Veränderungen der Umweltbedingungen in einem abgeschlossenen, aber ansonsten natürlichen Ökosystem untersuchen. Um die Auswirkungen eines geringeren pH-Werts zu ermitteln, reicherten die Forscher*innen das Wasser je nach Szenario unterschiedlich stark mit CO2 an. Beobachtungen im offenen Ozean bestätigten ihre Ergebnisse.

»Diese Studie macht einmal mehr die Komplexität des Erdsystems deutlich und damit die Schwierigkeit, die Folgen des menschengemachten Klimawandels in Gänze vorhersagen zu können. Überraschungen dieser Art führen uns immer wieder vor Augen, welche unkalkulierbaren Risiken wir eingehen, wenn wir dem Klimawandel nicht zügig und entschlossen entgegenwirken«, erklärt Riebesell, der selbst an der aktuellen Studie mitgearbeitet hat.

Der Diatomeenforscher Oscar Romero am Marum – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften in Bremen, lobt die vorliegende Studie als »sehr solide« und »hochspannend«. Nachbesserungsbedarf sieht er allenfalls bei der doch etwas reduzierten Auswahl der untersuchten Regionen: »Ich hätte mir ein paar Arbeitsgebiete jenseits von Ostsee, Nordatlantik und tropischem Atlantik gewünscht. Jeder Ozean umfasst sehr unterschiedliche Gebiete, was Nährstoffe, Temperatur oder Windeffekte angeht«, sagt er. Interessant wäre speziell die Lage vor der Antarktisküste, wo die Bedingungen durch Silikatgehalt im Wasser und niedrige Wassertemperaturen besonders günstig für das Wachstum der Kieselalgen sind und die dortige Nahrungskette in der Hauptsache auf dieser Planktongruppe aufbaut.

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