Eine Ruck-Rede zum Auftakt

Linke-Chefin Janine Wissler ruft ihre Partei in Erfurt zu Geschlossenheit auf

Es war ein flammender Appell an das Gewissen der Genossen: sich zusammenzureißen und -zuraufen. Denn, das machte Linke-Chefin Janine Wissler in einer wiederholt von Applaus und Jubel unterbrochenen Rede zum Auftakt des Parteitags in Erfurt deutlich: Die dramatische Steigerung der Energie- und Lebenshaltungskosten und die beispiellose Aufrüstung machten eine starke linke Opposition dringend nötig. »Lasst uns um diese Partei kämpfen, und zwar mit aller Kraft«, mahnte Wissler, die Die Linke »in der Tradition der sozialistischen Bewegung, in der Tradition Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts« sieht. »Wir haben die verdammte Verpflichtung, diese Partei zusammenzuhalten – in Verantwortung für die Menschen, die Hoffnung in uns setzen und auch in Verantwortung für künftige Generationen von Sozialistinnen und Sozialisten«, rief sie den Delegierten zu.

Mit Blick auf die anstehende Debatte zum Ukraine-Krieg und zur Außenpolitik der Linken betonte die Vorsitzende: »Die russische Führung trägt die Verantwortung für diese Eskalation. Der verbrecherische Angriffskrieg ist durch nichts zu rechtfertigen.« Wissler erinnerte daran, dass nicht nur die Energiekrise und das Verhalten von Stromerzeugern und Ölkonzernen, sondern auch die Klimakrise ein »demokratisches Eingreifen in die Wirtschaft« erforderlich machen. Nötig sei nicht ein 100-Milliarden-Euro-Programm für die Bundeswehr, sondern »das größte Investitionsprogramm aller Zeiten«.

In Abgrenzung zu Versuchen etwa der ehemaligen Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht, die soziale Frage gegen Antirassismus, Antifaschismus und den Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit auszuspielen, forderte Wissler, Die Linke müsse »provozieren, polarisieren und zuspitzen«, aber nicht innerhalb der eigenen Wähler- und Mitgliedschaft, sondern »immer entlang von oben und unten und niemals von unten nach noch weiter unten«. Wagenknecht hatte die erst seit Februar 2021 amtierende Wissler diese Woche in einem Zeitungsinterview direkt für den schlechten Zustand der Partei und für die Abwanderung von Wählern verantwortlich gemacht.

Wissler dankte in ihrer Rede auch der im April zurückgetretenen Ko-Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow für die »gute Zusammenarbeit« und bedauerte ihren Amtsverzicht. Dieser hatte letztlich dazu geführt, dass der Bundesvorstand eine vorzeitige Neuwahl in Erfurt beschloss. Diese hätte sonst erst im Februar 2023 angestanden. Hennig-Wellsow hatte in ihrer Rücktrittserklärung indirekt zu verstehen gegeben, dass ihr Schritt auch mit der Sexismusaffäre und der Rolle von Wissler darin zu tun habe. In den Wochen danach waren aus dem Jugendverband Solid, aber auch von einigen Vorstandsmitgliedern Rücktrittsforderungen gegenüber Wissler laut geworden. Ihr wurde vorgeworfen, in ihrem Landesverband Hessen nicht genug gegen sexuelle Belästigung getan zu haben. Die Aufarbeitung der Vorwürfe bestimmt auf dem Parteitag ebenfalls gute Teile der Tagesordnung, unter anderem wollte sich am Freitagabend das Frauen- und FLINTA-Plenum (FLINTA: Frauen, Lesben, inter-, nonbinäre, trans- und Agender-Personen) damit befassen. Zudem sollte der »Kampf gegen patriarchale Machtstrukturen, Gewalt und Sexismus« Gegenstand der Generaldebatte sein. Wissler bat in ihrer Rede alle Betroffenen von sexueller Belästigung und Gewalt »aufrichtig um Entschuldigung« und versprach, alles ihr Mögliche zu deren Verhinderung und Ächtung zu tun.

Wie Wissler forderte auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow die Genossen zu innerparteilicher Solidarität auf. Ungerechte Steuerpolitik, die Besserverdienenden wie ihm selbst zusätzliche Steuerersparnisse brächten, machten das nötig. Vielmehr gelte es, sich auf die politischen Gegner zu konzentrieren: »Wir müssen denen in den Arsch treten!« Thüringen hat im Bundesrat zusammen mit den anderen drei Bundesländern, in denen Die Linke mitregiert, gegen das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr gestimmt, betonte Ramelow und kündigte an, diese Länder würden die Erhöhung der regulären Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ablehnen. Der Politiker wehrte sich zugleich gegen Vorwürfe, er habe für Waffenlieferungen geworben. Dies habe er nicht getan, beteuerte er. Es gelte aber angesichts des russischen Angriffs, dem Völkerrecht Geltung zu verschaffen.

Die rund 570 Delegierten tagen bis zum Sonntag. Neben der Vorstandswahl steht ein Abstimmungsmarathon zu Leitanträgen des Parteivorstands zur Außen- und Friedenspolitik, zur Sozial- und Klimapolitik und zum Parteiaufbau der Partei an.

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