- Berlin
- Corona und Obdachlosigkeit
Keine Quarantäneplätze für infizierte Obdachlose
Spezielle Station der Stadtmission schloss im April und soll eventuell erst im Herbst wieder öffnen
Für Obdachlose ist es naturgemäß schwer, sich im Fall einer Coronainfektion zu isolieren. In der Pandemie konnten erkrankte Wohnungslose daher die Quarantänestation für obdachlose Menschen in der Lehrter Straße aufsuchen – bis Ende April, als das Projekt auslief und nicht neu aufgelegt wurde.
Ein Bündnis von Einrichtungen, Trägern und Betroffenen schlägt jetzt Alarm: Seit dem Ende der Quarantänestation mangele es an Kapazitäten, um infizierte Obdachlose zu isolieren und zu versorgen, warnt der Arbeitskreis (AK) Wohnungsnot, in dem sich über 70 Organisationen aus der Obdachlosenhilfe in Berlin zusammengeschlossen haben. Die Räume der Notübernachtungsstellen seien häufig zu beengt, um Erkrankte unterzubringen und zugleich den Gesundheitsschutz für alle zu gewährleisten. Seit Ende April habe es mindestens neun Fälle gegeben, in denen positiv getestete Personen abgewiesen werden mussten, darunter auch solche mit deutlichen Erkrankungssymptomen oder Angehörige von Risikogruppen. »Wir wissen nicht, wo wir die Leute hinschicken sollen«, sagt Elisa Lindemann vom AK Wohnungsnot. Sie leitet selbst die Frauennotübernachtung Marie in Mitte.
Mehrere Notübernachtungsstellen seien dazu übergegangen, keine Coronatests mehr durchzuführen. Das erhöhe aber die Gefahr von unentdeckten Infektionen: »Viele Obdachlose haben aufgrund ihrer Lebenssituation ein angeschlagenes Immunsystem und die Impfquote ist nicht sehr hoch«, erklärt Lindemann. Diese Menschen müssten daher besonders geschützt werden.
Vor eine besondere Herausforderung habe es die Einrichtungen gestellt, dass der Senat sie nicht über das Ende der Quarantänestation informiert habe. Dass es die Station nicht mehr gibt, sei erst bekannt geworden, als eine Notunterkunft versucht habe, eine infizierte Person dort unterzubringen, berichtet Lindemann. Über Alternativen sei man nicht informiert worden. »Es ist nicht geklärt, was im Akutfall passieren soll«, sagt sie. »Wir werden mit dem Problem alleingelassen.«
Quarantänestation lief mit Kältehilfe aus
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Ob die Bezirke diese Aufgabe erfüllen können, ist jedoch zweifelhaft: Eine Umfrage des Rundfunks RBB zeigte, dass im Mai keiner der zwölf Berliner Bezirke gesonderte Quarantänekapazitäten für Obdachlose unterhielt. Auch das Gesundheitsamt könne häufig nicht helfen, kritisiert Elisa Lindemann. »Die meisten Notschlafstellen öffnen erst um 19 Uhr, da ist im Gesundheitsamt in der Regel niemand mehr.«
Die Stadtmission war informiert
Barbara Breuer von der Berliner Stadtmission, die die Quarantänestation betrieben hat, bestätigt, dass ihre Einrichtung über das Auslaufen der Betriebsverträge vorher Kenntnis hatte, kritisiert aber, dass es nun keine Isolierungsmöglichkeiten für Obdachlose mehr gibt. »Die Situation ist für Mitarbeiter und Erkrankte nicht schön«, sagt sie. Schwere Fälle schicke man ins Krankenhaus, alle anderen könne man nur Masken mitgeben und sie auf die Straße zurückschicken. »Es ist kein gutes Signal der Gesellschaft, wenn jemand Krankes unter der Brücke schlafen muss«, erklärt Breuer. »Das Leben der Obdachlosen ist ohnehin nicht einfach, aber Fieber auf der Straße ist die Hölle.«
Die Senatsverwaltung stellt in Aussicht, dass die Quarantänestation im Herbst wieder eröffnet wird. Elisa Lindemann vom Arbeitskreis Wohnungsnot fordert dagegen, sie schnellstmöglich zu reaktivieren: »Wir brauchen jetzt und nicht erst im Herbst Quarantänemöglichkeiten.« Bis zur Wiederaufnahme der Quarantänestation fordert der Arbeitskreis, Obdachlose auch in anderen Quarantäneeinrichtungen unterzubringen, etwa in der Quarantänestation für Geflüchtete.
Dem steht Barbara Breuer von der Stadtmission jedoch kritisch gegenüber: In der Quarantänestation für Obdachlose habe man auch Menschen mit Suchtproblemen oder psychischen Erkrankungen angemessen versorgen können. Sie bezweifelt, dass dies in anderen Einrichtungen so einfach möglich wäre. Zudem hätten Geflüchtete und Wohnungslose unterschiedliche Bedürfnisse. »Eine gemischte Unterbringung ist für beide Gruppen nicht gut.«
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