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Warten auf Traumzeit
Ein Raubtier sein, das konnte er nicht: Am Donnerstag wäre die DDR-Rocklegende Klaus Renft 80 geworden
Was macht eine Legende aus? Dass sie zur Projektionsfläche vieler Sehnsüchte wird. Klaus Renft, der eigentlich Klaus Jentzsch hieß, aber als Musiker den Geburtsnamen seiner Mutter wählte, traf den Nerv einer ganzen Generation von Jugendlichen in der DDR der 60er und 70er Jahre. Sie träumten gemeinsam wilde Träume vom Anderswerden, ursozialistische Gemeinschaftsvisionen, probten den Aufstand gegen die Spießeridylle, die aus der DDR nach dem Mauerbau zu werden drohte.
Die Geschichte von Renft und seiner gleichnamigen Band ist eine des Aufbegehrens und Scheiterns, dabei immer auf offener Bühne. Hier wurde der Anspruch auf Unbedingheit herausgeschrien wie ein Hilferuf. Poesie als Schutzraum gegen die drohende Selbstentfremdung im Namen des herrschenden Sozialismus! Man erwartete etwas von sich wie von anderen. Gewiss, man erwartete zu viel, aber dieser Traumüberschuss ließ freier atmen hinter Mauern und unter Dogmen.
Klaus Renft notiert in Westberlin, 1980 nach seinem erzwungenen Weggang aus der DDR: »Am Anfang habe ich mich mal gefragt: Was soll ich nur werden? Gärtner oder Musiker? Auch jetzt ist die Frage nicht beantwortet. Ich hatte mir irgendwann mal gewünscht, in der Musik wie im Traum leben zu können: frei von der Welt. Noch immer warte ich, das Leben weglebend, auf Traumzeit.«
Bereits 1958 hatte Klaus Renft 16-jährig die Klaus Renft Combo gegründet, die 1963 verboten wurde. Ein Jahr darauf ersteht sie als Butlers wieder auf und erhält – auf dem Höhepunkt der SED-Reformpolitik – beim Deutschlandtreffen der FDJ sogar eine Urkunde. Ein weiteres Jahr später folgt das unbefristete Spielverbot; die am Beat orientierte Jugendbewegung wird in den Augen von FDJ und SED zur unkontrollierbaren Kraft. Es folgen in Leipzig Massenproteste von Jugendlichen gegen das Beat-Verbot, der sogenannte »Gammleraufstand«, der von Ordnungskräften brutal niedergeschlagen wird.
Erich Honecker, der Initiator des »Kahlschlags« in der Kulturpolitik auf dem 11. ZK-Plenum 1965, gibt sich 1971 bei seinem Machtantritt liberal: Nichts sei verboten, was auf dem Boden des Sozialismus stünde. Klaus Renft ist samt Band wieder dabei, Christian (Kuno) Kunert, Peter (Cäsar) Gläser, Jochen Hohl und Gerulf Pannach. 1973 erhält die Band aus den Händen von Kulturminister Hans-Joachim Hoffmann eine Goldmedaille für ihr Programm »Zwischen Liebe und Zorn«; die erste von zwei Platten der Klaus Renft Combo erscheint im gleichen Jahr. Darauf eine Mischung von Liedern, wie sie der Zeit entsprach: Protest gegen die Militärdiktatur in Chile mit »Ketten werden knapper« und Utopie jenseits aller Klassenkampf-Rhetorik mit »Wer die Rose ehrt« – mit dem Text von Kurt Demmler: »Wer die Rose, wer die Rose ehrt / Der ehrt heutzutage auch den Dorn / Der zur Rose doch dazugehört / Noch so lang, so lang man sie bedroht«. Das lag innerhalb der Norm der SED-Ideologie von revolutionärer Wachsamkeit, aber dann folgt der Refrain: »Einmal wirft sie ihn ab«. Und gleich noch einmal: »Einmal wirft sie ihn ab«. Es war die Flower-Power-Bewegung in den Grenzen der DDR, ein poetischer Liebestraum, der auf eisige Reaktionen vonseiten der SED-Ideologen stieß, mit Folgen, die bis 1989 reichten.
Es waren Hymnen einer Generation, die sich mit Liedern wie »Wandersmann«, »Gänselieschen« oder »Kinder, ich bin nicht der Sandmann« (mit der quasi Brecht’schen Pointe: »Glotzt nicht so gläubig«) identifizierte. Offiziell gilt dies als »Tanzmusik«, das ist sie auch, man setzt der herrschenden Norm ein unbändiges Maß an Lebensfreude entgegen, von der dann auch die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 in Berlin zeugen – zum letzten Mal ein Fest für alle, bevor es bloß noch fade Kulissenschau gab.
Renft stand für einen Rausch, der Musiker und Publikum vereinte: der gesteigerte, dionysische Zustand hier und jetzt! Gibt es mehr? Für Klaus Renft nicht und auch für seine Fans nicht. Man bringt verschiedenste Milieus zusammen. Noch einmal kann man sich musikalisch innerhalb der Gesellschaft vereinen: Aufbruch zu neuen Ufern.
Mit Renft verbindet sich die letzte loyale Opposition der DDR-Jugend gegenüber dem Staat. Aber sie wurden – wie vorauszusehen war – dennoch missverstanden als verkappte Staatsfeinde. 1974 erschien die zweite und letzte Platte von Renft mit »Als ich wie ein Vogel war«, »Weggefährten«, »Nach der Schlacht« oder »Gelbe Straßenbahnballade«, dann wurde Renft wiederum verboten. Die Funktionäre sagten der ins Unbedingte gehenden Sehnsucht einer der DDR bis dahin nicht feindlich gesonnenen Jugend den Kampf an. Die Ausbürgerung Biermanns 1976 ließ keinen Zweifel mehr daran: Man wollte nicht dasselbe.
Die DDR scheiterte an Renft – man weiß, wie es ausging. Peter Gläser, der lyrische Part bei Renft, versuchte mit Karussell nach Renft-Verbot und dem Weggang Klaus Renfts aus der DDR, noch etwas vom Geist dieser Musik im Land zu halten. Aber es wirkte jetzt immer eine Spur zu harmlos, denn etwas fehlte: der Anarchist Klaus Renft, der nicht für perfekte Musik, sondern für ein anderes Zusammenleben stand. Irgendwann fand sich auch Gläser in Westberlin als Taxifahrer wieder.
Heiner Carow wollte in den 90er Jahren einen Film über das Phänomen Renft drehen, aber der Regisseur starb, bevor es dazu kam. Im Westen haben Renft und die mit ihm ausgereisten Musiker Pannach und Kunert keine Chance, denn sie fügen sich immer noch keiner Norm. Sie erweisen sich als nicht hart und unsolidarisch genug für den Überlebenskampf hier, hangeln sich von Aushilfsstelle zu Aushilfsstelle. Doch ihre künstlerischen Maßstäbe verraten sie nicht. Klaus Renft notiert 1978: »Ich will nicht Nina Hagen und anderen beweisen, was sie selber für Scheiße machen. Beschissen ist nur eines: Lebst du unter Raubtieren, dann werde selber eines.« Raubtier sein, das konnte er nicht.
Klaus Renft blieb der mal freundliche, mal rauflustige, immer zu viel trinkende Inspirator, ein kluger Kopf, der sich nicht vereinnahmen ließ. Kurt Demmler sagte über ihn, musiktechnisch sei er »eine Niete« gewesen, eine Zumutung für Perfektionisten wie Thomas Schoppe (Monster), der bis heute (mit 77) das musikalische Erbe Renfts hochhält. Ein »Leutesammler« sei er gewesen, der unterschiedlichste Charaktere zusammenbrachte und explosive Widerspruchskonstellationen zu erzeugen vermochte, in denen Unerwartetes entstand.
Hans-Dieter Schütt hat in den 90er Jahren Klaus Renft bei seiner Autobiografie begleitet, Interviews mit ihm geführt. Einmal vertauschten sie dann die Rollen – Renft befragt Schütt. Frage: »Was interessiert dich wirklich an ›Renft‹?« Antwort: »Ihr gehörtet zu einem Teil DDR, dem nicht angehört zu haben ich bedauere.« Auch hier zeigt sich Klaus Renft wieder als jemand, der sich präzise auszudrücken versteht: hart im Widersprechen, aber nie ohne sein Gegenüber aus einer für ihn typischen Zugewandtheit zu entlassen. »Ich weiß von Leuten, die nicht verstehen, wieso du noch Journalist sein kannst.« Schütt darauf: »Ich muss das aushalten.« Und die beiden halten sich aus in der gemeinsamen Geschichte, in der sie so unterschiedliche Rollen spielten und nun ein Buch machen. Wo gibt es solch ein – auch lustvoll – gelebtes Widerspruchsbewusstsein heute noch?
Klaus Renft starb 2006 als ein immer verwundertes Kind und ewig verwundetes Urgestein zugleich der Nachkriegsgeschichte, die sich über das Trennende wie Verbindende der doppelten deutschen Geschichte bis heute betrügt – und eben darum keinen echten Neuanfang zu machen vermag.
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