Diskussion ohne Verantwortliche

Bei einer Podiumsdiskussion zu antisemitischen Bildmotiven auf der Documenta saßen die Protagonisten nur im Publikum

  • Larissa Kunert
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit vor zwei Wochen das Banner »People’s Justice« des indonesischen Kunstkollektivs Taring Padi im Rahmen der Ausstellungsreihe Documenta auf dem Kasseler Friedrichsplatz enthüllt wurde, überschlugen sich die gegenseitigen Beschuldigungen und Defensiven. Das mittlerweile entfernte Gemälde enthält Figuren, die eindeutig antisemitischen Stereotypen entsprechen. Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann, das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa und Taring Padi selbst mussten ihre anfänglichen Schuldabwehrhaltungen unter wachsendem öffentlichen Druck modifizieren.

Auffallend waren die kulturrelativistischen Aussagen aller Genannten. So schrieb etwa Schormann in einer Stellungnahme auf der Documenta-Website von der »Unterschiedlichkeit der kulturellen Erfahrungsräume«, um die indonesischen Künstler in Schutz zu nehmen. Taring Padi gaben in einem ersten Statement unter Entschuldigungen an, dass sich ihr Banner auf den »politischen Kontext Indonesiens« beziehe. Sie schrieben, dass das 2002 erstellte Gemälde schon in verschiedenen Städten weltweit zu sehen gewesen sei und implizierten, dass es an diesen Orten nie ein Problem gegeben habe. Aber warum sollte die Karikatur eines orthodoxen Juden mit spitzen Raffzähnen und SS-Runen auf dem Hut sowie einer Jüdin mit gespaltener Zunge und Dollar-Zeichen im Zyklopenauge irgendwo auf der Welt in Ordnung sein? Selbst wenn Israel wie viele andere westliche Staaten den indonesischen Diktator Haji Mohamed Suharto politisch und ökonomisch unterstützt haben sollte, worauf sich die Darstellung mutmaßlich bezieht, rechtfertigt das – es sollte sich von selbst verstehen – keineswegs antisemitische Hetze. Und als nichts anderes kann man die Bildmotivik von »People’s Justice« begreifen. Dass Taring Padi offenbar noch immer die Allgemeingültigkeit ihrer Darstellung nicht erkennen, lässt ein zweites Statement vermuten, in dem sie bedauern, dass ihre »Bildsprache im historischen Kontext Deutschlands eine spezifische Bedeutung bekommen« habe.

Von Ruangrupa kann man auf der Documenta-Website lesen, dass sie über die Kasseler Geschehnisse einen »kritischen und gleichzeitig freudvollen Dialog« führen wollen mit jenen, die das Kuratorenkollektiv auf ihrer Augenhöhe sehen. Schormann hatte in einem Interview mit der »Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen« eine Gesprächsreihe angekündigt.

Angesichts dieser Äußerungen verwundert es, dass sowohl Schormann als auch Vertreter von Ruangrupa und Taring Padi bei der Podiumsdiskussion, die die Frankfurter Bildungstätte Anne Frank vergangenen Mittwoch zum Thema veranstaltete, nur im Publikum saßen. Dem Wunsch der indonesischen Künstler, ernstgenommen zu werden, wäre es sicherlich entgegengekommen, wenn sie bereit gewesen wären, der Einladung der Bildungsstätte zu folgen und sowohl ihre kuratorischen (Fehl-)Entscheidungen und Versäumnisse als auch ihre politischen Überzeugungen mit anderen zu diskutieren.

Auf dem Podium saßen nun Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte und Initator des Podiums, Hortensia Völckers von der Kulturstiftung des Bundes, die Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan als Vertreterin der postkolonialen Theorie, Adam Szymczyk, künstlerischer Leiter der Documenta-Ausstellung von 2017 und Doron Kiesel, wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Gegenstand des Gesprächs war unter anderem, dass weder jüdische noch israelische Künstler zur Documenta eingeladen worden waren – das erste Mal seit der zweiten Ausgabe der Ausstellungsreihe. Mendel sprach von einem stummen Boykott (»Silence Boykott«), der seiner Wahrnehmung nach immer öfter zur Anwendung komme – damit meinte er, dass Boykotte nicht öffentlich proklamiert, sondern einfach stillschweigend vollzogen würden. Insgesamt zeigte sich Mendel bemüht um Diplomatie, während Kiesel ernüchtert konstatierte, ein Dialog mit israelfeindlichen Vertretern der postkolonialen Theorie und Kunst sei zur Zeit unmöglich.

Kiesel stellte klar, dass der Antisemitismus eine globale und keine ortsspezifische Ideologie ist. Die Bildsprache von »People’s Justice« habe überall Geltung. Zudem betonte er, dass man über die Politik des israelischen Staats unterschiedlicher Meinung sein könne, dass jedoch der postkoloniale Diskurs immer mit der Verurteilung Israels ende. Den Staat, dessen Gründung nach dem Holocaust die einzige Rettung der Juden gewesen sei, als Rest eines kolonialen Gebildes zu begreifen, sei jedoch sehr bequem. Dagegen wehrte sich Dhawan. Man dürfe die postkoloniale Theorie nicht pauschal als antisemitisch abstempeln. Mit Immanuel Kant und Theodor W. Adorno verteidigte sie die Aufklärung, die man mit postkolonialen Ansätzen »vor den Europäern selbst retten« müsse. Sie zitierte Frantz Fanon, einen prominenten schwarzen Vordenker der postkolonialen Theorie, der sich mit folgenden Worten an andere schwarze Menschen richtete: »Wenn Sie hören, dass man schlecht über die Juden redet, dann spitzen Sie die Ohren, man spricht von Ihnen.« Dhawan sagte, sie könne postkoloniale Theorie gar nicht lehren, wenn sie nicht auch über Antisemitismus spreche.

An dieser Stelle wäre es interessant gewesen, die Sache weiter auszudiskutieren. Warum, kann man zum Beispiel fragen, stehen die Postcolonial Studies der Israel-Boykott-Bewegung BDS so nahe? Viele prominente Vertreter postkolonialer Theorieansätze, etwa der Philosoph Achille Mbembe oder die Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak, unterstützen die Kampagne. BDS hat in einer internationalen Erklärung Israel das Existenzrecht abgesprochen, weil dieses nicht mit den Rechten der Palästinenser vereinbar sei. Dhawan scheint demnach einen Idealismus zu vertreten, der wenig mit der Realität gemein hat. Darüber hätte man sprechen können. Doch wie so oft endete dieses Podium genau an dem Punkt, an dem es hätte spannend werden können.

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