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Hoch qualifiziert und dennoch prekär
84 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten immer noch mit Zeitvertrag
»Die Wissenschaft in Deutschland ist in einer Krise und merkt es nicht«, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme verschiedener Gewerkschaften und Hochschulinitiativen, die in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde. Ein Jahr nachdem die drei Wissenschaftler*innen Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon die Internetkampagne #IchbinHanna losgetreten haben, hat sich nichts an der Befristungspraxis bei den Arbeitsverträgen wissenschaftlicher Mitarbeiter*innen an den deutschen Hochschulen geändert.
Ein Erklärvideo des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), in dem anhand des fiktiven Charakters Hanna die bis heute gängige Befristungspraxis im universitären Mittelbau gepriesen wird, hatte damals den Anstoß zu einer breit geführten Debatte über prekäre Beschäftigung in der Wissenschaft gegeben. Die Arbeitsverhältnisse der Promovierenden und Postdocs werden seit geraumer Zeit überwiegend nach dem sogenannten Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) geregelt. Dieses ist 2007 in Kraft getreten und 2016 schon einmal novelliert worden. Doch eine kürzlich vom BMBF veröffentlichte Studie zeige, dass die Novelle nicht gewirkt habe, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Andreas Keller. Denn: »Eine Trendwende hin zu mehr Dauerstellen ist ausgeblieben, die Laufzeiten der Zeitverträge haben sich nicht nachhaltig verlängert.«
Vor allem die Instrumente zum Nachteilsausgleich bei Kinderbetreuung, Behinderung oder chronischer Erkrankung sowie zu den pandemiebedingten Beeinträchtigungen liefen laut der Gewerkschaft weitgehend ins Leere. Eine grundlegende Reform des Befristungsrechts in der Wissenschaft sei daher überfällig.
»84 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Universitäten werden mit einem Zeitvertrag abgespeist, über 40 Prozent von ihnen mit einer Vertragslaufzeit, die kürzer als ein Jahr ist«, kritisiert GEW-Experte Keller. Er forderte vor wenigen Tagen bei einer Konferenz des BMBF unter dem Titel »Gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft – Auf dem Weg zu einer Reform des WissZeitVG« Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) auf, rasch einen Entwurf für eine radikale Reform dieses Gesetzes vorzulegen.
Keller wählte bei der Konferenz scharfe Worte, sprach von einer »Qualifizierungslüge« und »krimineller Energie der Arbeitgeber«. Voraussichtlich am 7. Juli will die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft mit Bundestagsabgeordneten aus Koalition und Opposition über ihre Vorschläge debattieren. Eigentlich sollte dieses Podium schon Teil einer Konferenz am 3. Juni sein, die wegen der Bundestagsabstimmung über das Sondervermögen der Bundeswehr jedoch abgesagt werden musste.
Unterdessen gibt es auch auf der Seite derer, die sich grundsätzlich einig sind, noch Diskussionsstoff. So gehen der Juniorprofessorin und #IchbinHanna-Mitinitiatorin Amrei Bahr von der Universität Stuttgart die Forderungen der GEW zum Teil nicht weit genug. Sie plädiert etwa bei der Verwendung des Qualifizierungsbegriffs dafür, sich auf die Promotion zu beschränken. »Die Promotion ist eine fertige Ausbildung«, betonte Bahr. Ein Postdoc sei nicht mehr in einer Qualifizierungsphase.
Keller rief zum Abschluss der BMBF-Konferenz in der vergangenen Woche dazu auf, den Sommer für eine Strategiedebatte über das weitere politische Vorgehen zu nutzen. Konkret forderte er unter anderem, die Tarifsperre müsse aufgehoben werden. »Nur beim Thema Befristung in der Wissenschaft ist den Sozialpartnern durch das Arbeitsrecht verboten, wesentliche Fragen der Arbeitsbedingungen tariflich zu regeln. Dies steht im eklatanten Widerspruch zum im Koalitionsvertrag verankerten Ziel der Bundesregierung, die Tarifautonomie zu stärken«, so Keller. Außerdem müssten die Vertragslaufzeiten gewährleisten, dass das Qualifizierungsziel tatsächlich erreicht werden kann. »Niemandem ist geholfen«, so Keller weiter, »wenn Promovierende mit einer halb fertigen Doktorarbeit auf die Straße gesetzt werden.«
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