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Fahrende Stromspeicher auf dem Land
Wie die Elektromobilität die Energiewende billiger machen kann – ein Pilotprojekt in Mecklenburg
Ungefähr eine Handvoll Busse steht mitten auf dem Betriebshof der Verkehrsgesellschaft Ludwigslust-Parchim (VLP) unter freiem Himmel. Und zwar dauerhaft. »Das sind die Dieselbusse, die überzählig sind«, erklärt Stefan Lösel. Sie sind ausrangiert, quasi Auslaufmodelle, während sich hinter dem Ortsausgang von Parchim Windräder beständig drehen. In der mecklenburgischen Kleinstadt schreitet die Energiewende sichtbar voran.
»Bis wir uns nicht ganz sicher sind, dass die neuen Busse und die Ladeinfrastruktur funktionieren, verkaufen wir keinen Dieselbus. Die stehen aber glücklicherweise nur noch herum.« Lösel ist Geschäftsführer der VLP und treibt den Umbau des Fuhrparks voran. Das Unternehmen hat im Landkreis Ludwigslust-Parchim, dem es gehört, insgesamt zwölf Standorte und elektrifiziert den Bestand nach und nach, auch mithilfe von Fördergeldern. Von den 200 Bussen fahren schon 30 elektrisch. Ab August sollen es 45 sein und dann jedes weitere Jahr 15 mehr. Das ist der Plan.
»Ich glaube, dass wir auch im Bundesvergleich eines der ersten Verkehrsunternehmen sind, die in dieser Größenordnung im Regionalverkehr elektrifizieren«, sagt der Endvierziger. Gleichzeitig läuft hier ein Forschungsprojekt, das in Deutschland einzigartig ist und vom Bundesverkehrsministerium mit über drei Millionen Euro gefördert wird: Einer der E-Busse wird immer, wenn er auf dem Betriebshof steht, als Speicher fürs Stromnetz genutzt. Die Idee ist: Wenn zu viel Strom im Netz ist, was durch die ungleichmäßige Produktion von Ökostrom immer wieder vorkommt, soll die Busbatterie zu einem geringen Strompreis geladen werden. Und wenn das Netz mal Strom gebrauchen kann, soll der Bus den Strom zu einem höheren Preis wieder einspeisen. So würden sowohl der Netzbetrieb als auch das Busunternehmen profitieren.
Wie das funktioniert, ist auch auf dem rechteckigen Betriebshof zu sehen, wo sich an einer Seite ein Busstellplatz an den anderen reiht, insgesamt sind es 27. »Jeder Bus hat seinen festen Unterstand. An der Rückwand der Carports sind die Wallboxen«, so Lösel. Das bedeutet, jeder Bus hat seinen eigenen Stromanschluss. Das Besondere hierbei: Der Strom kann in beide Richtungen fließen – die Batterie kann sowohl aufgeladen werden als auch Energie abgeben. Alle Busse zusammen verfügen über eine Speicherkapazität, die für das Stromnetz relevant ist. Ein Bus dient somit nicht mehr nur der Mobilität, sondern ist auch für die Energiewirtschaft nützlich. Lösel nennt diese Verknüpfung unterschiedlicher wirtschaftlicher Bereiche »Sektorenkopplung«.
Beim Umbau des Nahverkehrs gibt es offenbar noch viel zu tun. Lösel erwähnt, dass sich die EU-Klimaschutzrichtlinie für den öffentlichen Personennahverkehr nur auf Busse beziehe, die überwiegend im innerstädtischen Verkehr eingesetzt werden. Von den rund 35 000 Nahverkehrslinienbussen in Deutschland seien aber rund ein Drittel Regionalbusse, die auf dem Land fahren, erklärt Lösel. Für diese gebe es keine Klimaschutzverpflichtung. Der Umweltingenieur mit Aufbaustudium in Energierecht sieht dafür keinen wirklichen Grund. »Zumal Regionalbusse viel besser zur Sektorenkopplung passen als Stadtbusse«, fügt er an.
Warum das so ist, wird bei der VLP deutlich. »Unsere Busse fahren am Vormittag rund 90 Kilometer im Durchschnitt«, führt Lösel aus. »Dann haben sie zwei bis vier Stunden Aufenthalt auf dem Betriebshof. Am Nachmittag fahren sie weitere rund 130 Kilometer, um dann schon am frühen Abend wieder auf dem Hof zu stehen. Das liegt einfach daran, dass unser Hauptgeschäft die Schülerbeförderung ist.« Und das sei auch bei vielen anderen Verkehrsunternehmen im ländlichen Raum so. In einem Ballungsgebiet hingegen müssten die Linienbusse viel mehr fahren und deshalb auch viel schneller aufgeladen werden, oft ohne zeitliche Flexibilität und nacheinander an relativ wenigen Ladepunkten. Da bietet sich eine Einbindung ins Stromnetz nicht so sehr an wie auf dem Land, wenngleich es durchaus Versuche dafür gibt – ein entsprechendes Pilotprojekt wurde 2018 in Berlin gestartet. Bei der VLP hingegen werden die Busse nur langsam und weit unter der möglichen Ladekapazität geladen. Sie können also gut auf die Bedürfnisse des Stromnetzes reagieren. Ihre Batterien sind schließlich nicht nur für den Antrieb nötig, sondern können auch Stromspeicher für das Netz sein.
Lösel zeigt auf seinem Laptop im Detail, wie eine solche doppelte Nutzung der Elektrobusse umgesetzt werden kann. In einer Grafik ist zu sehen, wie die Busse eingesetzt werden. Um 4 Uhr geht der Betrieb mit den ersten Fahrten los, am Morgen sind zur Höchstzeit etwa 160 der 200 Busse gleichzeitig im Einsatz. Dann sinkt die Zahl stark ab, gegen 9 Uhr sind nur noch wenige Busse unterwegs. Am Mittag wiederholt sich das Ganze, wobei das Abfallen der Kurve sich etwas stärker über den Nachmittag streckt.
Das zeigt aber nur das Geschehen unter der Woche, wenn Schule ist. Am Wochenende und an Feiertagen dagegen gibt es nur wenige Fahrten. Dann sind nie mehr als ein Dutzend der 200 Busse gleichzeitig unterwegs. »Da sehen Sie also, dass ein großer Teil des sonst für die Schülerbeförderung benötigten Fuhrparks schlichtweg nutzlos herumsteht«, hält der Geschäftsführer fest. Und gerade an diesen Tagen ist das Überangebot an Ökostrom besonders groß, weil die Wirtschaft weitgehend ruht.
Ähnlich ist es in den Schulferien. Nur 55 Prozent der Tage eines Jahres seien Schultage, sagt Lösel. Er sieht deshalb für Firmen wie die VLP langfristig die Möglichkeit verschiedener Geschäftsmodelle, selbst als Notstromversorgung bei einem großflächigen Stromausfall: »Wenn wir die Batteriespeicher durch eine andere Nutzung bei sehr geringen Grenzkosten im Netz vermarkten, könnten wir damit sozusagen unseren Strom bezahlen – oder im besten Fall sogar noch Geld verdienen.« Für die Verkehrsgesellschaft könnte sich die Stromspeicherung zu einem nennenswerten Geschäft entwickeln.
Tim Stieger teilt diese Hoffnung. Der Technische Geschäftsführer des regionalen Netzbetreibers Wemag, die an dem Forschungsprojekt beteiligt ist, nennt das Potenzial ländlicher Nahverkehrsunternehmen »keine Randerscheinung«. Das Wemag-Netz erstreckt sich im westlichen Mecklenburg von der Küste bei Wismar bis nach Brandenburg hinein. Die Bevölkerungsdichte sei hier sehr gering, erklärt Stieger. Das biete zum einen viel Platz für Wind- und Solarparks. Zum anderen sei die Stromnachfrage gering.
2021 wurden nur 60 Prozent des im Netzgebiet erzeugten Stroms hier verbraucht. Der Stromexport in der Region ist also beträchtlich. Und in den kommenden zehn Jahren werde sich die hier installierte Ökostromkapazität fast verdoppeln, prognostiziert Stieger. Die Stromüberschüsse seien aber schon heute in vielen Stunden des Jahres so groß, dass sie nicht immer in andere Regionen abgeleitet werden können: »Dann müssen wir Energieanlagen abschalten, um die Überlastung im Netz zu minimieren. Und diese Maßnahmen kosten Geld. Unser Ansatz ist deshalb, flexible Verbraucher und Speicher zu nutzen, um diese Abschaltmöglichkeiten weniger stark nutzen zu müssen.«
Der E-Bus der VLP kann, wenn er ans Stromnetz angeschlossen ist, von der Wemag digital angesteuert werden, um Strom abzunehmen oder zu liefern. Seit anderthalb Jahren läuft das Projekt nun schon. »Wir haben herausgefunden, auf welchen VLP-Betriebshöfen wir die Ladepunkte entwickeln wollen«, berichtet Stieger. »Die Standorte müssen für das Stromnetz sinnvoll sein, aber auch für die VLP.«
Es gehe nicht darum, die Sicherheit des Stromnetzes aufrechtzuerhalten. Die sei auch ohne die Busse gewährleistet, versichert Stieger. Aber die gewinnbringende Nutzung der Busbatterien könne die Kosten für Betrieb und Ausbau des Netzes senken, die eigentlich »stetig ansteigen«. Diese Kosten werden über die Netzentgelte auf alle Haushalte und die meisten Firmen im betroffenen Gebiet umgelegt. In dünn besiedelten Regionen mit hoher Ökostromerzeugung – also vor allem in Ostdeutschland – sorgt das seit Langem für höhere Strompreise und damit für Unmut.
Es handelt sich um eine fundamentale Ungerechtigkeit der Energiewende: Der ländliche Raum verliert vielerorts Flächen für die Stromerzeugung und Trassen, weil dort viel Ökostrom für den Export in die Ballungszentren erzeugt wird, wo nach wie vor viel zu wenig für die Energiewende passiert. Und auf dem Land sorgt das auch noch für höhere Strompreise. Immerhin können nun aber Linienbusse dort wegen der langen Standzeiten offenbar besser als in Großstädten fürs Stromnetz eingesetzt werden.
Zwar sind die Ökostrom-Überschüsse kaum irgendwo in der Republik so groß wie in Mecklenburg-Vorpommern. Tim Stieger von der Wemag sieht aber durch die fortschreitende Energiewende ein großes Potenzial für die hier erprobte Form der Sektorenkopplung: »Die Busbatterien im ÖPNV können aufgrund ihrer Größe und der guten Planbarkeit der Busse im Zweifel im ganzen Bundesgebiet relevante lokale Effekte erzeugen.«
Doch wie realistisch ist der großflächige Einsatz dieses Modells in naher Zukunft wirklich? Schließlich hat die VLP insgesamt 20 Millionen Euro Fördergeld für die Anschaffung der E-Busse, die viel teurer als Dieselbusse sind, und die benötigte Technik bekommen. Ohne Zuschüsse wäre es schwierig, auf E-Busse umzustellen. Geschäftsführer Stefan Lösel verweist da zum einen auf die bis zum 15. Juli laufende Ausschreibung des Bundesverkehrsministeriums für die »Förderung von Bussen mit klimafreundlichen, alternativen Antrieben im Personenverkehr«, wo 1,2 Milliarden Euro vergeben würden. Zum anderen betont er, dass der Markt für E-Busse noch am Anfang stehe, und prognostiziert, dass die Preise für die surrenden Busse ähnlich wie auf dem Automarkt sinken werden: »Schon in wenigen Jahren wird eine Förderung nicht mehr notwendig sein.«
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