Omikron-Variante fordert ihren Tribut

Stark gestiegene Infektionszahlen machen deutlich, dass die Corona-Pandemie trotz aller Normalität noch da ist

Schwörmontag in Ulm: Großveranstaltungen praktisch ohne Corona-Maßnahmen wie hier bei dem traditionellen Wasserumzug am vorletzten Montag im Juli sind längst wieder Normalität.
Schwörmontag in Ulm: Großveranstaltungen praktisch ohne Corona-Maßnahmen wie hier bei dem traditionellen Wasserumzug am vorletzten Montag im Juli sind längst wieder Normalität.

»Irgendwie steckt sich gerade jeder mit Corona an.« Diese Einschätzung bekommt man derzeit häufiger zu hören. Jeder scheint irgendjemanden zu kennen, der gerade mit einem positiven Test nach Hause gekommen ist. Das Virus, das vielen längst als besiegt galt oder zumindest wie früher über die warme Jahreszeit kein Thema sein sollte, ist zurück im öffentlichen Bewusstsein.

Doch wie ist die Lage jenseits der subjektiven Wahrnehmung? Das Robert-Koch-Institut (RKI) vermeldete in seinem Tagesbericht von Freitag knapp 30 000 labordiagnostisch bestätigte Covid-19-Fälle und eine 7-Tage-Inzidenz von 719,2 je 100 000 Einwohner. Am Montag waren es 708,6 – doch diese Zahlen sind wegen verspäteter Meldungen der Gesundheitsämter übers Wochenende weniger aussagekräftig. Und die Dunkelziffer dürfte hoch sein, da sich viele Leute nicht mehr testen lassen. Aktuell haben die eher impfskeptischen ostdeutschen Länder die niedrigsten Werte, Spitzenreiter ist der nordhessische Werra-Meißner-Kreis mit einer Inzidenz von knapp 2590. Um die Zahlen einzuordnen: Vor dem Eintreffen von Omikron etwa zur vergangenen Jahreswende hatte es derart hohe Zahlen nicht gegeben. Allerdings liegen wir bei nicht einmal der Hälfte bisheriger Höchstwerte im Frühjahr, und seit Anfang Juli ist der Anstieg zumindest deutlich gebremst, wenn nicht sogar der Scheitel erreicht ist.

Überraschend kam aber selbst für viele Experten, dass die Infektionen im Sommer dermaßen zunehmen würden. In den Juli-Monaten 2020 und 2021 gab es pro Tag ein paar Hundert Covid-Fälle. Das RKI spricht in seinem jüngsten Wochenbericht – übrigens mit Blick auf alle akuten Atemwegserkrankungen – von einem »für die Jahreszeit deutlich erhöhten Niveau«. Für Corona heißt das: »In allen Altersgruppen bleiben der Infektionsdruck in der Allgemeinbevölkerung und die damit assoziierten Belastungen des Gesundheitswesens hoch.« Die oberste deutsche Gesundheitsbehörde schätzt, dass aktuell etwa 800 000 bis 1,3 Millionen Bundesbürger eine Sars-CoV-2 Infektion mit Symptomen haben.

Die Gründe für die wieder hohen Infektionszahlen dürften im zunehmend lockereren Umgang der Bevölkerung mit den Corona-Risiken und in der nachholenden Reisetätigkeit nach dem Wegfall fast aller verordneten Maßnahmen liegen, aber auch im Virus selbst: Nachdem uns die Omikron-Subvarianten BA.1 und BA.2 vor allem im Februar und März Inzidenzen bishernicht bekannten Ausmaßes bescherten, hat sich mittlerweile BA.5 durchgesetzt. 83 Prozent aller sequenzierten Proben entfielen zuletzt auf diesen Subtyp. BA.5 scheint für Menschen jenseits der Risikogruppen nicht gefährlicher zu sein als die Vorgänger. Auch dass der Subtyp ansteckender ist als seine Vorgänger, ist bisher unklar. Allerdings durchbringt er den Immunschutz durch Impfung und Genesung erheblich besser.

Für aktuelle Probleme sorgt indes die schiere Anzahl der Infektionen, wodurch sich trotz meist milder Verläufe eben auch die Hospitalisierungen allmählich häufen. Aber wie bei den vergangenen beiden Wellen in der kalten Jahreszeit kommt es vor allem deshalb zu erheblichen Belastungen in den Krankenhäusern, da diese immer noch mit wenig Personal arbeiten und viele Beschäftigte selbst mit Corona infiziert sind und daher ausfallen. Daher gibt es Stimmen, unter anderem aus der Deutschen Krankenhausgesellschaft, die Quarantänezeit in der kritischen Infrastruktur bei negativem PCR-Test von fünf auf drei Tage zu verkürzen. Andere würden Infizierte ohne Symptome sogar arbeiten gehen lassen. Beides stößt indes auf wenig Gegenliebe, da gerade im Gesundheitswesen das Risiko wegen des engen Kontakts mit vulnerablen Gruppen zu hoch wäre.

Gerade um deren besseren Schutz müsste es auch in der aktuellen Sommerwelle gehen. Das RKI verzeichnete in seinem jüngsten Wochenbericht aber einen deutlichen Anstieg ausgerechnet in Alters- und Pflegeheimen – hier wurden 235 Ausbrüche mit gut 1700 Fällen registriert. Nach wie vor gilt, dass Ältere ab 70 Jahren sowie Menschen mit Immunsuppression ein sehr viel höheres Risiko als andere haben, schwer zu erkranken oder gar an Covid-19 zu sterben.

Die Fachwelt ist sich einig darüber, dass für diese eine vierte Impfung jetzt sinnvoll wäre, wenn die letzte Impfung mindestens sechs Monate zurückliegt. So empfiehlt es die Ständige Impfkommission; EU-Behörden sehen die Altersgrenze bei 60. Hingegen rät Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): »Wenn jemand den Sommer genießen will, dann würde ich, in Absprache natürlich mit dem Hausarzt, auch Jüngeren die Impfung empfehlen.« Damit steht er indes ziemlich allein da, da ein Nutzen einer vierten Impfung für diese Gruppe bisher nicht belegt ist.

Mit Blick auf die Wirksamkeit von Impfstoffen könnte sich Abwarten lohnen. Der US-Hersteller Moderna teilte vor einigen Wochen mit, man befinde sich bei einem sogenannten bivalenten Impfstoff in der Phase II der klinischen Tests. Dieser ist gegen den Wuhan-Typ und gegen eine Omikron-Variante entwickelt. Experten versprechen sich anders als von reinen Omikron-Impfstoffen, die ebenfalls derzeit getestet werden, eine hohe Wirksamkeit, da das Immunsystem breiter aufgestellt wird. Mit einer Zulassung wird frühestens im September gerechnet, das wäre aber noch pünktlich zumindest zur erwarteten Herbstwelle.

Jetzt im Sommer bleibt wohl nur, auf die dämpfende Wirkung der wamen Jahreszeit und wieder mehr Rücksicht der Menschen zu hoffen. Denn die Pandemie ist zurück in der Wahrnehmung vieler Bürger.

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