Missbrauchsstudie hat nicht »wachgerüttelt«

In Münster und Bonn kritisieren Wissenschaftler die katholische Kirche

Knapp einen Monat ist es her, dass in Münster eine Studie über sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche veröffentlicht wurde. Die Studie, die sich mit Missbrauchsfällen im Bistum Münster seit 1945 befasste, schlug für ein paar Tage hohe Wellen. Mindestens 200 Kirchenmänner waren zu Tätern geworden, bis zu 6000 Menschen ihre Opfer. Das Besondere an der Studie war, dass sie nicht wie bisherige Missbrauchsstudien auf den juristischen Rahmen schaute, in dem die Taten stattfanden, sondern die Fälle mit einem historischen und sozialanthropologischen Ansatz untersuchte.

Nun haben sich die Studienautoren und weitere Wissenschaftler der Universität Münster in einer Pressemitteilung äußerst enttäuscht über die kirchlichen Reaktionen auf die Studie gezeigt. »Sexueller und geistlicher Missbrauch ist immer Machtmissbrauch. Deshalb muss die klerikale Macht strukturell begrenzt werden«, kritisiert Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins, Direktorin des Instituts für christliche Sozialwissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Bischof Felix Genn habe bisher nur angedeutet, »dass er eine neue innerkirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit in seinem Bistum installieren werde, um damit bischöfliche Entscheidungen einer Kontrolle zu unterwerfen«. Als Kernproblem sehen die Wissenschaftler allerdings die Kirchenstrukturen. So fragt Thomas Großbölting, ob Kirche zwingend als »heilige und hierarchische Ordnung gedacht werden« müsse, die sich »vor allem in einer Befehls- und Gehorsamspraxis realisiert«. Diese Strukturen und das Machtgefälle schafften »Sakralisierung und Dominanz von Personen«, die auch zur Vertuschung motivierten.

Der Kirchenhistoriker Prof. Dr. Hubert Wolf ist der Meinung, dass es Zeit für grundsätzliche Reformen in der katholischen Kirche ist. Etwa die Weihe von Frauen oder die Wahl der Bischöfe in den Bistümern statt einer Ernennung aus Rom. Wolf fordert, die Opfer der Missbrauchstaten in den Mittelpunkt zu stellen. Bischöfe, die Missbrauchstäter gedeckt haben, müssten zurücktreten und eine »vorbehaltlose Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden« sei unerlässlich. In der Kirche müssten sich die reformwilligen Kräfte durchsetzen, fordern die Münsteraner Wissenschaftler. »Wer jetzt die Zeichen der Zeit nicht erkennt, der ist von allen guten Geistern verlassen«, so Hubert Wolf. Ob das wirklich passieren wird, ist unklar. Thomas Großbölting ist überzeugt, dass es »nach wie vor sehr starke konservative Kräfte gibt«, die zu allem bereit seien, um das Kirchensystem zu erhalten, wie es ist.

Einer der konservativen Frontmänner ist der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki. Bei der Aufklärung sexualisierter Gewalttaten in seinem Bistum spielte Woelki eine unrühmliche Rolle. Nun hat Woelki in einer anderen Sache Streit. Dabei geht es um die Priesterausbildung. Bis zum Februar 2020 betrieb der Orden der Steyler Missionare in Sankt Augustin eine Hochschule, an der vorwiegend asiatische Studierende zu Priestern ausgebildet wurden. Der Orden konnte die Hochschule allerdings nicht mehr tragen. Das Erzbistum Köln übernahm sie. Und Woelki baute sie massiv um. Der Standort in Sankt Augustin wurde aufgegeben, die Hochschule zog nach Köln und bekam den Namen »Kölner Hochschule für Katholische Theologie«. Die Finanzierung der Hochschule wirft zahlreiche Fragen auf. Von einem Sondervermögen und Spendengeldern ist die Rede. Ob das ausreicht, ist unklar. Kirchensteuern sollen nicht genutzt werden. Unter Kirchenexperten gibt es außerdem die Befürchtung, dass Woelki mit der Hochschule einen konservativen Gegenpol zur Priesterausbildung an der Universität Bonn schaffen will. Bonn ist durch das Preußenkonkordat von 1929 als Stätte der Priesterausbildung für das Erzbistum Köln festgelegt. In einer aktuellen Stellungnahme verweist die Führung der Uni Bonn auf das Konkordat als »völkerrechtlich« bindenden Vertrag. Man lehne alle direkten oder indirekten Versuche, das Konkordat auszuhöhlen, ab und spreche sich »gegen eine schleichende Verlagerung der Priesterausbildung« aus.

Erzbischof Woelki sieht das offensichtlich anders. Unterstützt wird er von dem Kirchenrechtler Stefan Mückl, der an der vom streng konservativen Orden Opus Dei getragenen Universität Santa Croce in Rom lehrt. Er hat eine Studie geschrieben, nach der die NRW-Verfassung höher zu werten sei als das Konkordat und das Erzbistum das Recht habe, an einer eigenen Hochschule Priester auszubilden. Die Debatten um den Kölner Erzbischof und seine konservative Linie werden also auch in den kommenden Monaten nicht abebben.

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