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Der Späti ruft

Das wahre Berlin findet man beim Spätkauf um die Ecke

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.

Viele denken ja, Techno wäre so eine Art immer noch wummerndes Herzstück der urbanen Berliner Kultur, sodass auch heute noch eifrig Kasse damit gemacht wird. Der Mythos der technoiden, stroboskopisierten und reichlich verdrogten Clubkultur auf städtischen Brachen wirkt selbst noch Jahrzehnte später, nachdem die einschlägigen Locations vom disruptiven Charakter der kapitalistischen Ordnung längst gnadenlos plattgemacht und die nächtlichen Straßenzüge der Ost-Berliner City mit dem einsam-verträumten Rattern der Straßenbahnen längst in vor sich hin schnurrende disneyfizierte Konsumzonen verwandelt worden sind.

Um sich wirklich dem nächtlichen, an jeder Straßenecke anders klingenden sommerlichen Summen der Stadt auszusetzen und mit dem alltäglichen Berlin nach Sonnenuntergang in tropisch warmen Nächten auf Tuchfühlung zu gehen, ist es geboten, zentrale innerstädtische und touristisch kompatible Zonen zu meiden. An den Rändern Neuköllns und Treptows, in Kreuzberger Seitenstraßen, an versteckten Plätzen im Wedding und in Pankower Sackgassen – da findet sich der eine oder andere in die Stadtlandschaft hineingetupfte ganz originäre Berliner Ort, der mit einsetzender Dunkelheit vor allem im Sommer kulturelle und soziale Bedeutung hat: der Späti.

Dabei geht es nicht um die gut laufenden kleinen bis mittelgroßen Betriebe an den Magistralen oder U-Bahnstationen, die günstig harten Alkohol an feierwütige Jugendliche verkaufen und Einweg-Grills verhökern, damit die Wiese im Park um die Ecke mal ein binnentouristisches Branding mit Wurstgeschmack verpasst bekommt. Nein, es geht um die kleinen, mäßig besuchten Spätis, in denen der Flaschenöffner mit Kette am Tresen festgeschraubt darauf wartet, die Flasche mit dem eiskalten Getränk aufzuhebeln, und wo zwischen dem Zahlen mit klingender Münze und dem Nach-draußen-Schlurfen eine minimalistische Unterhaltung mit dem Späti-Betreiber gar nicht ausbleiben kann.

Diese Sorte Späti funktioniert eher wie der hintere Teil eines Wohnzimmers, weniger wie ein Geschäft. Draußen auf der Straße fläzt sich der Besucher auf eine meist nicht mehr ganz stabile Bierbank und trinkt einen Schluck, während irgendwo ein Hund bellt, ein Auto vorbeischleicht und im Hintergrund ein testosterongesteuerter Depp sein Motorrad jaulend hochjagt. Noch ein Schluck und durchatmen. Die Zeit kann hier langsam vergehen, mitunter noch langsamer als auf dem Land.

Deshalb will man manchmal auch gar keine Unterhaltung führen, sondern einfach die Beine ausstrecken und noch einen Schluck trinken. Ein paar Nachbarn kommen vorbei. Gespräche drehen sich um Banalitäten, wenn nicht gerade der neueste Anwohner-Gossip um Mieterhöhungen ausgetauscht wird, sich jemand darüber aufregt, wie lame der letzte Jane-Campion-Film war oder dass das Bier teurer geworden ist.

Um die Berliner Spätis wird ja immer wieder ein ziemliches Gewese gemacht, als würde die Welt untergehen, wenn sie etwa sonntags zu sind. Dabei ist das Abhängen vor dem Späti in einer lauen Sommernacht mit der abgeschiedenen Straßenlandschaft eines nicht boomenden Kiezes das eigentlich außergewöhnliche urbane Erlebnis, das sich auch gar nicht vermarkten lässt, weil es irgendwo ganz weit draußen, jenseits der Peripherie der blöden städtischen Eventkultur mit ihren Happenings stattfindet. In den letzten gemütlichen Nischen der Stadt lässt sich noch ganz ohne Stress in der nächtlichen Sommerhitze etwas trinken.

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