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Wen vertritt Verdi?
Orhan Akman will in den Vorstand, doch dieser scheint zu klüngeln und sich querzustellen
Orhan Akman bringt die Vorgänge um seine Nichtnominierung für den Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in einen größeren Zusammenhang. »Wenn wir als Gewerkschaft die nächsten Dekaden überleben wollen, müssen wir jetzt die Weichen für die nächsten Jahrzehnte stellen«, sagt der 46-Jährige dem »nd«. Er meint damit, dass Verdi wieder zu seiner Bestimmung zurückkehren müsse. »Zurzeit ist es so, dass die Mitglieder zunehmend herangezogen werden, wenn die oben sie für eine Abstimmung brauchen. Wir müssen wieder zurückkehren zu einer Mitglieder- und Tarifgewerkschaft und wegkommen von dieser Art Funktionärsgewerkschaft«, so Akman.
Der Machtkampf um die Nachfolge von Stefanie Nutzenberger, die bei Verdi im Bundesvorstand für den Fachbereich Handel zuständig ist, tobt bereits seit Längerem. Akman, Bundesfachgruppenleiter Einzel- und Versandhandel, hatte im April seine Kandidatur für den Bundesvorstand gegenüber den ehrenamtlichen Gremien erklärt – offen und transparent und zeitlich vor seiner Konkurrentin, wie er betont. Doch letztlich wurde Silke Zimmer, Landesfachbereichsleiterin Handel in Nordrhein-Westfalen, statt Akman bei einer außerordentlichen Sitzung des Bundesfachbereichsvorstands Ende Juni mit 20 von 21 Stimmen als Nachfolgekandidatin nominiert.
Akman sagt, das Nominierungsverfahren sei undemokratisch gelaufen. So sei Zimmer bewusst als Kandidatin auf einer Bundesfachgruppenvorstandssitzung im Mai vorgestellt worden, als er selbst im Urlaub war. Zudem sei die außerordentliche Sitzung, in der sie nominiert wurde, vorgezogen worden, ohne dass es dafür einen Anlass gegeben hätte. Akman war an diesem Tag verhindert und teilte dies laut eigener Aussage dem Gremium mit – doch es habe nichts genützt. Daher akzeptiere er das Nominierungsverfahren nicht. »Ich ziehe nicht zurück, halte meine Kandidatur aufrecht und werde mich auf dem Kongress im kommenden Jahr dem Souverän der Gewerkschaft, also den rund 1000 Delegierten, zur Wahl stellen«, sagt er. Und er betont, dass es seit der Gründung von Verdi 2001 dort noch nie eine Kampfabstimmung für Wahlen im Bundesvorstand gegeben habe.
»Wir gehen jetzt in die inhaltliche politische Auseinandersetzung um die Zukunft unserer Gewerkschaft – intern wie extern«, so Akman. Mit »wir« meint er sich und seine Unterstützer. So setzt sich eine Online-Petition unter dem Titel »Demokratie bei Verdi-Handel ernst nehmen und stärken!« für ihn als Nachfolger für den Bundesvorstand ein. Knapp 650 Unterzeichner, darunter viele Vorsitzende von Betriebs- und Gesamtbetriebsräten aus den wichtigsten Handelsunternehmen, unterstützen die Petition bereits.
»Wie bei Online-Petitionen üblich können sie ohne Überprüfung des Wahrheitsgehalts von allen Interessierten unterzeichnet werden – vor allem auch von Nichtmitgliedern oder von Konkurrenzorganisationen, Parteien, Arbeitgebern, Querdenkern. Insofern ist diese Petition irrelevant«, sagt Verdi-Pressesprecher Jan Jurczyk dem »nd«. Für Akman ein Scheinargument, da Verdi selbst immer wieder Petitionen starte, um gesellschaftspolitische Themen zu platzieren und um Unterstützung zu werben.
Und auch Jurcziks Verweis, dass mehrstufige Beteiligungsverfahren sicher stellten, dass Alleingänge von Funktionären eingehegt würden und der Bundesfachbereichsvorstand allein nach fachlichen Kriterien entscheide, kontert Akman: »In der Vergangenheit hat es eine breite Beteiligung der Gremien für die Nominierungen gegeben, das ist richtig. Bevor der Bundesfachbereichsvorstand über eine Nominierung entschieden hat, gab es Debatten und die Vorstellung in den Bundesfachgruppen. Doch all das wurde diesmal völlig übergangen.« Bezogen auf die Unterstützung, die er erfährt, beruft sich Akman längst nicht nur auf besagte Petition. Der 1987 aus der Türkei nach Westdeutschland immigrierte Kurde ist seit mehr als 26 Jahren aktiver Gewerkschafter, erst bei der NGG und seit 2002 bei Verdi. Er wäre das erste Mitglied mit Migrationshintergrund im Bundesvorstand, seine Kompetenz ist innerhalb von Verdi unbestritten. Er gilt als harter Verhandler, lässt im Sinne der Beschäftigten nicht locker gegenüber Konzernen wie Amazon, H&M, Ikea, Rewe, Primark, Zalando oder Kaufland/Lidl.
Aber er kritisiert eben auch offen die Strukturen und Entwicklungen bei Verdi. »Ich erlebe, dass wir in unserer Gesellschaft einen strukturellen Rassismus haben, der auch vor den Türen von Verdi nicht haltmacht«, so Akman. Und das bei dem hohen Anteil von Beschäftigten mit Migrationshintergrund, fügt er an. Zudem legt er den Finger auch in andere Wunden aktueller deutscher Gewerkschaftsarbeit. »Der DGB hatte Anfang der 1990er rund zwölf Millionen Mitglieder, heute hat er deutlich weniger als sechs Millionen. Und Verdi hat seit der Gründung eine Million Mitglieder verloren«, rechnet er vor. Der somit schwindende Einfluss führe dazu, dass die Gewerkschaften in allen Branchen nicht mehr in der Lage seien, auch nur die Mindeststandards zu erkämpfen. »Aktuell herrscht unter den Beschäftigten große Angst vor der digitalen Transformation der Arbeit. Doch die Gewerkschaften kümmern sich wenig darum, die Vorstände und viele Spitzenfunktionäre haben sich längst von den Beschäftigten entfremdet«, sagt er deutlich.
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