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Das Gold der Landwirtschaft
Die Abhängigkeit der Landwirtschaft von Kunstdünger verschärft die Ernährungskrise
»Manche sagen, Dünger sei keine Silberkugel. Sie liegen richtig: Aus meiner Sicht ist er eine Goldkugel.« Das Zitat wird Akinwumi Adesina, dem nigerianischen Präsidenten der Afrikanischen Entwicklungsbank, zugeschrieben. Die gerade vom Düngemittelproduzenten Yara veröffentlichten Zahlen geben Adesina scheinbar recht.
Der norwegische Multi – als Firmenlogo dient ein Wikingerschiff – ist einer der ganz Großen in seiner Branche weltweit. Yaras Umsatz stieg im zweiten Quartal dieses Jahres von rund 3,9 Milliarden auf 6,5 Milliarden Euro, der Profit kletterte auf 670 Millionen Euro. Wie golden das Geschäft in Wirklichkeit läuft, zeigt ein Blick hinter die Kulissen der Gewinn- und Verlustrechnung: In Summe seien 1,3 Millionen Tonnen Ammoniak sowie 1,7 Millionen Tonnen fertiger Dünger weniger produziert worden als im Vorjahresquartal, teilt der Konzern mit. Trotz eines schwankenden Marktes sei das Geschäftsmodell »widerstandsfähig«, sagte Vorstandschef Svein Tore Holsether.
Weniger Dünger verkauft und dennoch zwei Drittel mehr Umsatz? Der Grund dafür ist die, nennen wir es Preisrallye, die Kunstdünger seit gut einem Jahr hinlegt. Jahrelang kostete die Tonne um die 200 Euro, doch dann raste der Preis seit Sommer 2021 – parallel zum Erdgaspreis – bis auf 900 Euro hoch. Zuletzt hat sich der Markt nach Angaben des Infodienstes »Trading Economics« immerhin wieder ein wenig beruhigt.
Es ist nicht der sogenannte Wirtschaftsdünger, der den Weltmarkt in Aufruhr versetzt hat. Gülle, Mist oder Kompost können Bauern selbst erzeugen. Der darin enthaltene Stickstoff ist einer der wichtigsten Nährstoffe für Pflanzen. In der Landwirtschaft wird aber vor allem Mineraldünger eingesetzt, der synthetisch hergestellt wurde. Der Deutsche Bauernverband schätzt mit Verweis auf das Bundesumweltamt, dass etwa 30 bis 50 Prozent der landwirtschaftlichen Erträge auf unserer Erde letztlich auf der Nutzung solcher mineralischer Dünger basieren.
Für unser tägliches Brot braucht es Getreide, für Getreide braucht es fruchtbare Böden. Doch damit die Pflanzen üppig sprießen können, wird von Bauern massenhaft Kunstdünger aufgebracht, und zwar weltweit. Dieser besteht aus Mineralien, die aus fossilen Brennstoffen gewonnen wurden. Üblicherweise wird dafür Erdgas eingesetzt. Die Synthese und zahlreiche Prozesse drumherum sind zudem überaus energieintensiv. So bestehen die Kosten, die bei der Produktion eines klassischen Stickstoffdüngers insgesamt anfallen, bis zu 80 Prozent aus Energiekosten.
Im wirklichen Agrar-Leben werden den Böden durch Wachstum und Ernte allerdings laufend Mineralsalze entzogen. Der Boden »verarmt« und die Pflanzenerträge sinken. Seit der später für seinen Rindfleischextrakt berühmt gewordene Justus von Liebig (1803–1873) den synthetischen Dünger erfand, können Verluste an Mineralsalzen durch Kunstdüngung ausgeglichen werden. Die dadurch bald steigenden Erträge verhinderten die bis dahin üblichen Hungersnöte, ermöglichten dadurch Landflucht und Industrialisierung, später die Industrialisierung der Landwirtschaft, zuerst in Europa und Nordamerika, dann im globalen Süden. Die »Grüne Revolution« schaffte es, das westliche Agrarmodell in andere Regionen der Welt zu exportieren.
Die Sache hat aber mehrere Haken: Gesundheitsschädliches Nitrat aus Stickstoffdüngern belastet das Grundwasser. In der Umwelt trägt zu viel Dünger zum Schwund der Artenvielfalt bei. Durch den hohen Energieeinsatz bei der Herstellung werden große Mengen Treibhausgase frei. Zudem entsteht ein Teufelskreis: Da die Bodenqualität durch den Düngereinsatz sinkt, braucht es bei jeder nächsten Saat etwas mehr Dünger.
Und nicht nur das: »Maßgeblich vorangebracht von der profitierenden Düngemittelindustrie, entstand ein weltweites Milliardengeschäft«, so die Heinrich-Böll-Stiftung. Heute produzieren die vier größten Düngemittelhersteller Yara, Nutrien (Kanada), CF Industries (USA) und Mosaic (USA) ein Drittel aller global verfügbaren Stickstoffdünger. Dieser Zentralisierungsgrad ist zwar niedriger als in der Pestizid- und Saatgutindustrie, doch bilden die Düngermultis regionale Vermarktungsoligopole, was ihnen eine Preissetzungsmacht verschafft, selbst in den gesättigten Märkten Asiens und Lateinamerikas. Ihren mengenmäßigen Umsatz deutlich steigern können die westlichen Konzerne nur noch in einigen »unterentwickelten« Regionen Afrikas. China ist der größte Düngemittelverbraucher, aber auch Selbstversorger.
Die Preisexplosi on trifft aktuell besonders hart Kleinbäuerinnen und -bauern im globalen Süden. Anlässlich der sich verschärfenden Lebensmittelpreis- und Ernährungskrise veröffentlichte das entwicklungspolitische Inkota-Netzwerk jetzt eine Studie zur Abhängigkeit der globalen Landwirtschaft von synthetischen Düngemitteln. Sie zeigt den engen Zusammenhang zwischen der Preisentwicklung von Erdgas sowie anderen fossilen Brennstoffen, Kunstdünger und Lebensmitteln. »Die letzte große Welternährungskrise 2007/08 hat gezeigt, dass eine Verdopplung der Düngemittelpreise im Schnitt zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise um 44 Prozent führt«, schreibt Studienautor Gideon Tups von der Universität Köln. Von den gestiegenen Preisen profitierten derzeit vor allem die wenigen global operierenden Konzerne. »Damit gehören sie zu den großen Kriegsgewinnlern.«
Die Branche verweist lieber auf die zügig gesteigerten Erträge der Bauern. Und schweigt meist über die späteren Folgen für Boden, Umwelt und Menschen. Doch wie der Automobilindustrie oder den Logistikkonzernen gelingt es der Düngemittelbranche offenbar, aus Corona, Lieferkettenproblemen und globalen Konflikten Kapital zu schlagen. Auch dies illustriert die goldene Bilanz der norwegischen Yara. Zwar steigen die Gas- und Energiepreise und damit die Herstellungskosten der Konzerne. Doch sie können aufgrund ihrer Marktmacht und der großen weltweiten Nachfrage nach ihren »Goldkugeln« die steigenden Kosten über den Preis an die Kundschaft weitergeben – plus Übergewinn.
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